Nächster Omega-3-Flop: Fischöl-Kapseln bessern Depressionen und mentale Gesundheit überhaupt nicht – im Gegenteil

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

10. März 2022

Wieder ein Schlag ins Wasser für Fischöl: So wenig, wie es schon in der VITAL-Studie weder Herz-Kreislauf-Attacken noch Krebs verhindert hat, so wenig konnte es jetzt in einem Ableger dieses Mega-Projekts ältere Menschen vor Depressionen schützen, wie Forscher jetzt im JAMA veröffentlichten [1].

Vielmehr lautet das Ergebnis: Selbst eine mehrjährige Nahrungsergänzung reduziert die psychische Erkrankung keineswegs – die marinen Fettsäuren sind nicht nur nutzlos, sondern sie erhöhen das Risiko sogar: zwar geringfügig, aber doch signifikant.

 
Ich rate Ärzten dringend davon ab, Patienten diese Substanzen vorzuschlagen… Die jetzige Publikation reiht sich ein in eine lange Kette von Studien, die nicht die geringste Wirkung gefunden haben. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
 

Expertengremien hatten die Omega-3-Fettsäuren eingeschränkt zur Vorbeugung empfohlen, nämlich gegen häufige Rezidive einer Major Depression. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener würde nicht einmal diese enge Indikation befürworten: „Ich rate Ärzten dringend davon ab, Patienten diese Substanzen vorzuschlagen, selbst bei manifesten Symptomen nicht. Die jetzige Publikation reiht sich ein in eine lange Kette von Studien, die nicht die geringste Wirkung gefunden haben“, sagt der Leiter der Abteilung für Neuroepidemiologie an der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit Medscape.

Eskimos blieben von Atherosklerose verschont

Der Hype um die Omega-3-Fettsäuren begann kurz nach dem 2. Weltkrieg, und zwar in der Kardiologie. Wie Diener in einer Folge des Neuro-Tal ks von Medscape erläutert, war damals aufgefallen, dass Eskimos selten atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Den Grund verortete man in eben jenen Fettsäuren, die in den traditionellen Lebensmitteln Grönlands und Alaskas – Fisch und Robbenfleisch – reichlich enthalten sind.

Bald füllten Studien zur kardiovaskulären Prävention die Fachliteratur, doch eine Verringerung von Herzinfarkt, Schlaganfall oder Sterblichkeit meldeten sie meist nicht.

Das endgültige Aus brachte dann die Placebo-kontrollierte VITAL-Studie im Jahr 2018. „In den USA wurde dem Fischöl daraufhin die Zulassung als Medikament verweigert. Das hindert Millionen Menschen nicht, die Kapseln tagtäglich zu schlucken, denn als Nahrungsergänzung sind sie ja nach wie vor überall frei verkäuflich“, stellt Diener fest.

Omega-3-Fettsäuren schwächen Entzündungen ab

Eine gewisse Rechtfertigung bieten allein physiologische Beobachtungen an Zellen, Tieren und Probanden: Omega-3-Fettsäuren mildern inflammatorische Reaktionen, etwa durch Hemmung von Zytokinen, nicht nur im Gefäßepithel, sondern auch in anderen Geweben.

Schon früh hatten Forscher ihnen deswegen fast das Potenzial von Alleskönnern zugetraut, weit über die Kardiologie hinaus. Sie produzierten eine ebenfalls immense Zahl von Studien, die sich mit beinahe 20 Indikationen quer durch die Medizin ziehen: Krebs aller Art einschließlich den Nebenwirkungen der Chemotherapie, Stoffwechselstörungen wie erhöhte Lipidspiegel, Fettleber oder Diabetes, Entzündungsprozesse wie rheumatoide Arthritis, Asthma oder Parodontitis und sogar Hormonschwankungen, die zu Wechseljahresbeschwerden oder dem prämenstruellen Syndrom führen.

Kaum jemals ließ sich ein Nutzen nachweisen. VITAL vor allem, die zusätzlich den Endpunkt „Krebs“ im Programm hatte, fand keine Reduktion.

Antidepressiver Effekt wäre biochemisch erklärbar

Nicht zuletzt hatte die Hoffnung bestanden, dass die Fettsäuren – neben anderen psychiatrisch-neurologischen Anwendungsgebieten wie Epilepsie, Alzheimer, ADHS, oder Ängsten – bei Depressionen helfen könnten. „Diese Annahme basiert auf Hinweisen, dass Entzündungen auch bei dieser Krankheit eine Rolle spielen“, erklärt Diener.

Zusätzlich zu ihrem anti-inflammatorischen Effekt verstärken die marinen Fette im Gehirn die „Glückshormone“ Serotonin und Dopamin sowie die Blutversorgung. Dazu scheint zu passen, dass in Nationen wie Japan oder Island, wo viel Fisch auf dem Speiseplan steht, auffällig wenig depressive Menschen leben.

Tatsächlich ergaben manche Assoziationsstudien eine geringere Inzidenz von Depressionen bei Menschen, die reichlich Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen. Doch bei der Interpretation ist nach Dieners Worten Vorsicht angebracht: „Man darf nicht automatisch einen kausalen Zusammenhang unterstellen.“

Studien mit Placebo-Vergleich, die generell aussagekräftiger sind, endeten widersprüchlich und hatten oft Schwächen: Sie erstreckten sich nur über wenige Wochen, schlossen zu kleine oder stark gemischte Stichproben ein oder Teilnehmer mit früheren Depressionen aus.

„Dieses Material floss dann in eine Metaanalyse ein, die den Fettsäuren in Summe zwar eine günstige Wirkung bescheinigt. Gewissheit schaffen konnte sie aber nicht, eben weil sie auf so schwachem Fundament stand“, kritisiert Diener.

VITAL-DEP sollte endlich für Klarheit sorgen

In VITAL-DEP – Vitamin D and Omega-3 Trial-Depression Endpoint Prevention – wurde daher der Anspruch realisiert, die bisherigen Defizite zu vermeiden, um endlich die entscheidende Frage zu klären: Eignet sich eine langfristige Supplementierung als Prophylaxe von Depressionen für die Allgemeinbevölkerung?

Das Akronym bezeichnet einen Zweig der „Mutter“ VITAL, die knapp 26.000 US-Bürger ab 50 Jahre umfasste, ausgewählt unter dem Gesichtspunkt der Diversität. So gehörte ein Viertel rassischen und ethnischen Minderheiten an.

Randomisiert in mehrere Gruppen nahmen sie 5,3 Jahre lang täglich – neben Vitamin D – eine Weichkapsel Omacor® mit 1.000 mg eines Gemischs aus Eicosapentaen- und Docosahexaensäure oder aber Placebo. Einmal jährlich berichteten sie per Mail-Formular über eventuelle Herz-Kreislauf-Ereignisse und Karzinome – aber auch über Depressionen.

6-mal jährlich füllten sie das Modul „Depressivität“ des Patient Health Questionnaire PHQ-8 aus. Damit wird über 8 Schlüsselsymptome die Stimmung ermittelt, in der Variationsbreite von 0 „überhaupt nicht“ bis 3 „beinahe jeden Tag“.

Vitamin D – der erste Flop von VITAL-DEP

Die Daten zu Depressionen haben Prof. Dr. Olivia I. Okereke vom Brigham and Women's Hospital Boston und ihre Kollegen dann in VITAL-DEP für rund 18.400 Teilnehmer im Durchschnittsalter von 68 Jahren analysiert. Die meisten waren zuvor nicht an dieser Störung erkrankt, knapp 1.700 aber hatten schon einmal eine depressive Episode gehabt.

Zunächst – nämlich im Jahr 2020 – veröffentlichten die Forscher die Auswertung zu Vitamin D. Wieder eine Enttäuschung: Die „Sonnenarznei“ schützte nicht vor Depressionen, ja sie hellte nicht einmal die Stimmung auf.

Noch erfolgloser schnitt das Fischöl ab, wie die jetzige Publikation offenlegt. Denn es steigert sogar das Gesamtrisiko für Depressionen – neu auftretenden und rezidivierenden sowie relevanten depressiven Symptomen. Zwar ist der Überschuss nicht gravierend, beträgt aber doch signifikante 13%. In Zahlen: Damit ereigneten sich 651 Episoden, in der Kontrollgruppe aber nur 583 (14 zu 12,3 pro 1000 Personenjahre; Hazard Ratio 1,13).

Die Werbung kann ihr Versprechen nicht einlösen

Damit bestätigt sich, was Diener im Neuro-Talk auf Medscape kürzlich monierte: „Ich sehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Werbung für Omega-3-Fettsäuren, sei es im Fernsehen, sei es in der Yellow Press, sei es in Anzeigen, und der tatsächlichen wissenschaftlichen Evidenz.“

 
Ich sehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Werbung für Omega-3-Fettsäuren … und der tatsächlichen wissenschaftlichen Evidenz. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
 

Als bemerkenswert heben die Autoren hervor, dass Fischöl einerseits ausschließlich Frauen zu schaden schien, nicht aber Männern, und andererseits ausschließlich neu auftretende Depressionen förderte, nicht aber Rückfälle.

Beide Faktoren verstärkten sich: Bei zuvor nicht depressiven Teilnehmerinnen war die Wahrscheinlichkeit einer Ersterkrankung um 38% erhöht – erstaunlicherweise allerdings nur in den ersten beiden Jahren der Nachbeobachtung.

Abweichung bei Frauen ist nicht schlüssig

„All diese Unterschiede sind meiner Meinung nach reine Artefakte. Ich sehe kein vernünftiges Argument, warum Omega-3-Fettsäuren bei Frauen anders wirken sollten als bei Männern“, sagt Diener.

Eine Veränderung der Stimmung bewirkten die Fettsäuren dagegen nicht, zumindest nach der Gesamtpunktzahl im PHQ-8 betrachtet. Bei feinerer Betrachtung zeigte sich jedoch, dass die Werte für 2 Merkmale – Anhedonie und Traurigkeit – in der Omega-3-Gruppe leicht erhöht waren, wiederum besonders bei Frauen.

 
Ich sehe kein vernünftiges Argument, warum Omega-3-Fettsäuren bei Frauen anders wirken sollten als bei Männern. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
 

Diener stellt fest: „Dass die Einnahme Depressionen begünstigen soll, die Stimmung aber nicht beeinträchtigt, steht im Widerspruch zueinander – ein weiteres Indiz dafür, dass statistische Verzerrungen im Spiel sind.“

Nebenwirkungen verursacht der Konsum offenbar nicht

Das Resümee der Autoren ist unmissverständlich: „Diese Befunde stützen nicht die Verwendung von Omega-3-Fettsäuren, um Depressionen vorzubeugen.“

 
Diese Befunde stützen nicht die Verwendung von Omega-3-Fettsäuren, um Depressionen vorzubeugen. Prof. Dr. Olivia I. Okereke und Kollegen
 

Für die ungezählten Konsumenten, die unbeirrt an den Sinn der Supplemente glauben, haben sie aber noch eine gute Nachricht parat: Abträgliche Folgen wie kardiovaskuläre Ereignisse, kleine Hautblutungen oder Magenverstimmungen sind nicht vermehrt zu befürchten.

 

Kommentar

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