Noch mehr Lockerungen; schon leichtes COVID-19 verändert das Gehirn; neue Delta-Omikron-Variante in Frankreich

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

10. März 2022

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 10. März 2022

Gesundheitsämter haben dem Robert Koch-Institut 262.752 Neuinfektionen innerhalb der letzten 24 Stunden gemeldet (Vorwoche: als 210.673 positive Tests). Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz stieg von 1.319,0 am Vortag auf 1.388,5 Fälle pro 100.000 Einwohner. Weitere 259 COVID-19-Patienten sind gestorben. Damit erhöht sich die Zahl der Todesfälle bundesweit auf 125.023 Tote.

Prof. Dr. Lars Kaderali, Bioinformatiker aus Leipzig, erklärt solche Trends mit einer weiteren, 6. Corona-Welle. „Das liegt vor allem daran, dass der Omikron-Subtyp BA.2 noch infektiöser ist als die ursprüngliche Variante“, sagt der Experte. Hinzu kämen Lockerungen bestehender Maßnahmen. „In Kombination führt das beides zu den steigenden Fallzahlen“, so Kaderali.

Als 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nennt das RKI 6,62 Fälle pro 100.000 Einwohner, Stand 9. März, verglichen mit 6,06 am 7. März. Für den 8. März gibt es keinen Bericht.

Laut DIVI-Intensivregister waren am 9. März genau 2.117 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, sprich 32 weniger als am Vortag. Aktuell sind 842 Betten im Low-Care- und 2.201 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 444 freie ECMO-Behandlungsplätze.

„Wir sind in allen Krankenhaus-Clustern des Landes bei den Normalstationen voll ausgelastet. Die Situation ist angespannt“, so Kaderali. Auf Intensivstationen sei die Lage noch nicht angespannt, aber eine Prognose sei schwierig.

  • Lockerungen geplant: So geht es in Deutschland weiter

  • Weniger PCR-Tests – Positivrate auf Rekordhoch

  • Österreich setzt Impfpflicht aus – Signalwirkung für Deutschland?

  • Rekombinante Delta-Omikron-Variante in Frankreich nachgewiesen

  • Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen gegen Omikron

  • Genetische Studie liefert Einblicke in schweres COVID-19

  • Wie COVID-19 das Gehirn beeinträchtigt

Lockerungen geplant: So geht es in Deutschland weiter

Am 19. März enden Einschränkungen des Infektionsschutzgesetzes. In letzter Minute hat sich die Ampelkoalition auf weitere Maßnahmen verständigt. Klar ist: Der Bund delegiert etliche Zuständigkeiten an die Länder. Sie sollen ohne Parlamentsbeschluss entscheiden, ob Maskenpflichten, Abstandsgebote, Hygienekonzepte sowie Impf-, Genesenen- oder Testnachweise erforderlich sind. Schutzmaßnahmen können generell oder in einem bestimmten Setting, etwa in Schulen, Krankenhäusern oder Altenheimen, im Nah- oder im Fernverkehr, eingeführt werden.

Im Alltagsleben der Bürger werde es „so gut wie keine Einschränkungen mehr geben“, erklärt Justizminister Marco Buschmann (FDP). Ausnahmen seien Masken und Tests dort, wo es viele vulnerable Menschen gebe, also in der Pflege oder in Krankenhäusern. Eine Maskenpflicht könne es auch in öffentlichen Verkehrsmitteln geben. Buschmann erwähnt zudem sogenannte „Hot-Spot-Regelungen“, also Maßnahmen in Gebieten mit hohen Inzidenzen oder mit neuen Varianten. „Alles öffnen, das ist natürlich nicht vorgesehen“, so Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Zuletzt hatten die Grünen vorsichtige Öffnungen angemahnt, während die FDP gegen weitere Einschränkungen nach dem 19. März war. Für den Kompromiss gilt eine Übergangsfrist bis zum 1. April.

Weniger PCR-Tests – steigende Positivrate

Tests gehören weiter zur Regierungsstrategie gegen COVID-19. Eine neue Datenerhebung der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) zeigt, dass zwischen 28. Februar und 6. März bei sinkenden Zahlen an PCR-Tests die Positivrate weiter angestiegen ist. Die Gesamtzahl der PCR-Tests verringerte sich um 7% auf insgesamt 1.757.140 (Woche 8: 1.885.360, Woche 7: 2.048.786, Woche 6: 2.366.691). Gleichzeitig erhöhte sich die Zahl an positiven Ergebnissen um 6% auf 912.150 (Woche 8: 860.273, Woche 7: 950.651, Woche 6: 1.054.238).

„Die aktuellen Zahlen aus der Datenerhebung deuten auf ein wieder steigendes Infektionsgeschehen hin“, kommentiert der 1. Vorsitzende von ALM, Dr. Michael Müller. „Vor dem Hintergrund der aktuell sicher ausreichenden PCR-Testkapazitäten ist eine Aufhebung der noch geltenden Priorisierung in der PCR-Testung sinnvoll.“

Österreich setzt Impfpflicht aus – Signalwirkung für Deutschland?

Seit Anfang Februar gilt in Österreich eine Impfpflicht für volljährige Einwohner. Eigentlich sollten ab 15. März Verstöße mit Geldstrafen von bis zu 3.600 Euro geahndet werden – die Regierung wollte intensive Kontrollen durchführen. Doch es kam anders.

Zwar steigen Inzidenzen weiter stark an. Doch sei angesichts der derzeit vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus nicht verhältnismäßig, sagte Karoline Edtstadler (ÖVP). Sie ist Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt. Deshalb werde die Impfpflicht auf Eis gelegt. In 3 Monaten plant die Regierung, erneut die Situation zu bewerten.

Der Deutsche Bundestag will im April über die Impfpflicht abstimmen. Schon jetzt ist unklar, ob einer der Gesetzesentwürfe Mehrheiten bei der Koalition und der Opposition findet. Der österreichische Rückzieher gibt Zweiflern neuen Rückenwind.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weicht vom bestehenden Kurs nicht ab: „Wir brauchen die allgemeine Impfpflicht, um uns für den Herbst und Winter vorzubereiten.“ Hier bestehe Einigkeit mit den Ländern. Scholz will Deutschland perspektivisch auf den Herbst – und gegebenenfalls auf neue Varianten von SARS-CoV-2 – vorbereiten.

Rekombinante Delta-Omikron-Variante in Frankreich nachgewiesen

Genau dieses Risiko ist präsenter denn je: Seit 18. Februar 2022 überwachen französische Virologen eine Delta-Omikron-Rekombinante, wie Medscape berichtet.

Zuvor hatten sich mehrere vermeintliche Nachweise neuer Rekombinanten als falsch herausgestellt, etwa zwischen Alpha und Delta in Japan oder zwischen Beta und Delta in China.

Anfang Januar 2022 behauptete ein zypriotisches Team, 25 Fälle einer Delta-Omikron-Rekombinante entdeckt zu haben, die mit Deltakron bezeichnet wurde. Die Existenz dieser Variante konnte von weiteren Forschergruppen nicht bestätigt werden. Weitere Verdachtsfälle meldeten australische oder US-amerikanische Forscher.

Am 11. Februar berichtete die britische Gesundheitsbehörde, dass sie den 1. Fall einer hybriden Infektion festgestellt habe. In Großbritannien wurde die Variante als „rekombinantes Delta x Omikron“ bezeichnet. Sie steht nun auf der Liste der Varianten unter Beobachtung als Variant of Interest (VOI).

In Frankreich haben Gesundheitsbehörden eine verstärkte Überwachung von Delta-Omikron-Koinfektionen eingeführt, um mögliche rekombinante Varianten so früh wie möglich zu erkennen. Proben mit einem C1D1-Screening-Ergebnis, sprich mit typischen Mutationen von Delta und Omikron, werden systematisch sequenziert. Bis 21. Februar wurden 59 wahrscheinliche Delta-Omikron-Koinfektionen anhand der EMERGEN-Datenbank identifiziert. Und bis 2. März fanden Virologen 18 echte rekombinante Infektionen.

Der Großteil des Genoms dieser Rekombinanten entspricht der Delta-Sublinie AY.4. Ein großer Teil des S-Gens, welches für das Spike-Protein kodiert, kam von der Omikron-Sublinie BA.1.

Virologen weisen darauf hin, dass Rekombinanten bei SARS-CoV-2 häufig vorkommen. Eine amerikanische Studie, die an 1,6 Millionen SARS-CoV-2-Genomen durchgeführt wurde, identifizierte 2,7% Rekombinanten. Allerdings wurden vor dem Auftreten von Omikron nur wenige Rekombinationsereignisse zwischen 2 SARS-CoV-2-Varianten nachgewiesen, da die genetische Nähe zwischen den zirkulierenden Viren den Nachweis unmöglich gemacht hat.

Die Situation änderte sich zwischen Dezember 2021 und Januar 2022, als Delta und Omikron, die genetisch deutlich voneinander entfernt sind, in großem Umfang gemeinsam zirkulierten, was die Wahrscheinlichkeit des Auftretens und des Nachweises von Rekombinanten erhöhte.

Wirksamkeit von COVID-19-Impfstoffen gegen Omikron

Ein rapider Anstieg der Infektionen mit der Omikron-Variante bei geimpften Bevölkerungsgruppen hat Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der derzeitigen Impfstoffe geweckt. Um mehr Evidenz zu schaffen, haben Forscher britische Daten zur Impfeffektivität erfasst und ausgewertet.

Sie arbeiteten mit einem Fall-Kontroll-Design. Die Wirksamkeit wurde nach der Grundimmunisierung mit 2 Dosen der Impfstoffe BNT162b2 (BioNTech/Pfizer), ChAdOx1 nCoV-19 (AstraZeneca) oder mRNA-1273 (Moderna) und nach 1 Auffrischungsdosis von BNT162b2, ChAdOx1 nCoV-19 oder mRNA-1273 berechnet.

Zwischen 27. November 2021 und 12. Januar 2022 wurden insgesamt 886.774 Personen, die mit Omikron infiziert waren, 204.154 Personen, die mit Delta infiziert waren, und 1.572.621 testnegative Kontrollen identifiziert. Zu allen untersuchten Zeitpunkten und für alle Kombinationen von Grundimmunisierung und Auffrischungsimpfung war die Wirksamkeit des Impfstoffs gegen symptomatische Erkrankungen bei Delta höher als bei Omikron. Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Gegen die Omikron-Variante wurde ab 20 Wochen nach 2 ChAdOx1 nCoV-19-Dosen (AstraZeneca) keine Wirkung mehr festgestellt.

  • Die Wirksamkeit von 2 Dosen BNT162b2-Dosen (BioNTech/Pfizer) betrug nach 2 bis 4 Wochen 65,5% betrug und fiel nach 25 oder mehr Wochen auf 8,8%.

  • Bei Personen mit Grundimmunisierung durch ChAdOx1 nCoV-19 stieg die Wirksamkeit des Impfstoffs 2 bis 4 Wochen nach einer BNT162b2-Auffrischung auf 62,4%, bevor sie nach 10 oder mehr Wochen auf 39,6% abfiel.

  • Bei Personen mit BNT162b2-Grundimmunisierung stieg die Wirksamkeit 2 bis 4 Wochen nach einer BNT162b2-Auffrischung auf 67,2%, bevor sie 10 oder mehr Wochen später auf 45,7% zurückging.

  • Die Wirksamkeit des Impfstoffs ChAdOx1-nCoV-19 stieg 2 bis 4 Wochen nach einem mRNA-1273-Booster auf 70,1% und fiel 5 bis 9 Wochen später auf 60,9%.

  • Nach einer Grundimmunisierung mit BNT162b2 erhöhte ein mRNA-1273-Booster die Impfstoffwirksamkeit auf 73,9% nach 2 bis 4 Wochen; die Impfstoffwirksamkeit fiel auf 64,4% nach 5 bis 9 Wochen.

„Die Grundimmunisierung mit 2 Dosen ChAdOx1 nCoV-19 oder BNT162b2 bot einen begrenzten Schutz gegen symptomatische Erkrankungen durch die Omikron-Variante“, fassen die Autoren zusammen.

„Eine Auffrischungsimpfung mit BNT162b2 oder mRNA-1273 nach der ChAdOx1 nCoV-19- oder BNT162b2-Primärimpfung erhöhte den Schutz erheblich, aber dieser Schutz nahm mit der Zeit ab.“

Genetische Studie liefert Einblicke in schweres COVID-19

Neue Erkenntnisse gibt es auch zu genetischen Risikofaktoren: Forscher des GenOMICC-Konsortiums, einer globalen Kooperation zur Erforschung der Genetik kritischer Erkrankungen, haben die Genome von 7.491 COVID-19-Patienten aus 224 britischen Intensivstationen sequenziert. Die Daten wurden mit 48.400 Kontrollen ohne COVID-19 und mit weiteren 1.630 Personen, die eine milde COVID-19-Erkrankung hatten, verglichen.

Das Team identifizierte wesentliche Unterschiede in 16 Genen. Darunter befand sich eine Genvariante, welche die Synthese von Interferon alpha-10 stört. Sie war mit schwerem COVID-19 assoziiert. „Dies unterstreicht die Schlüsselrolle des Gens im Immunsystem und deutet darauf hin, dass die Behandlung von Patienten mit Interferon … bei der Behandlung von Krankheiten in den frühen Stadien helfen kann“, heißt es im Artikel.

Variationen in Genen, welche für den Faktor VIII, einer zentralen Komponente der Blutgerinnung, codieren, wurden ebenfalls mit schwerem COVID-19 in Verbindung gebracht. „Dies könnte einige der Gerinnungsanomalien erklären, die in schweren Fällen von COVID-19 beobachtet werden“, vermuten die Autoren.

Wie COVID-19 das Gehirn beeinträchtigt

 

Seit Beginn der Pandemie gibt es Hinweise auf Anomalien im Gehirn von COVID-19-Patienten. Bislang war jedoch unklar, ob solche Effekte auch bei mildem Verlauf bedeutsam sind – und welche Areale des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen werden. In Nature tragen Forscher jetzt neue Erkenntnisse zusammen. Der US-Kardiologe und Editor-in-Chief von Medscape Eric Topol hat darüber in The Guardian berichtet.

Wissenschaftler erfassten Gehirn-Veränderungen bei 785 Teilnehmern einer britischen Biobank-Studie im Alter von 51 bis 81 Jahren. Alle Probanden wurden 2-mal per Bildgebung untersucht. Unter ihnen befanden sich 401 Personen, die zwischen beiden Scans positiv auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 getestet wurden, wobei zwischen Diagnose und zweitem Scan im Durchschnitt 141 Tage lagen. Hinzu kamen 384 Kontrollen. 15 Personen mit stationärer Therapie aufgrund eines schweren COVID-19-Verlaufs wurden ausgeschlossen.

Beim Vergleich der beiden Gruppen konnten Neurologen signifikante Effekte durch SARS-CoV-2, verglichen mit der Kontrollgruppe, feststellen:

  • Eine stärkere Verringerung der Dicke der grauen Substanz und des Gewebekontrasts im orbitofrontalen Cortex und im Gyrus parahippocampalis,

  • eine stärkere Veränderung der Marker für Gewebeschäden in Regionen, die funktionell mit dem olfaktorischen Cortex verbunden sind,

  • eine stärkere Verringerung der Gesamtgröße des Gehirns.

Die infizierten Teilnehmer wiesen außerdem im Durchschnitt einen stärkeren kognitiven Abbau zwischen beiden Untersuchungen auf.

„Ergebnisse der Bildgebung, die sich hauptsächlich auf das limbische Gehirn beziehen, könnten die In-vivo-Hinweise auf eine degenerative Ausbreitung der Krankheit über die Riechbahnen, auf neuroinflammatorische Ereignisse oder auf den Verlust des sensorischen Inputs aufgrund der Anosmie sein“, kommentieren die Autoren. „Ob diese nachteiligen Auswirkungen teilweise rückgängig gemacht werden können oder ob sie langfristig bestehen bleiben, muss durch weitere Nachuntersuchungen geklärt werden.“

 

Kommentar

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