Ärzte, Apotheker und Kassen sind bereit: So soll die medizinische Versorgung der Flüchtlinge funktionieren – mit Praxis-Tipps

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

9. März 2022

Seit der russischen Invasion verlassen Hunderttausende Menschen die Ukraine. Nach Angaben der UN-Hilfsorganisation UNHCR sind bereits 2 Millionen Menschen in die Nachbarländer der Ukraine geflüchtet, die meisten nach Polen.

Schätzungen zufolge könnten etwa 225.000 Menschen nach Deutschland kommen. „Die Städte rechnen damit, dass die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine, die hierher kommen, schnell zunehmen wird“, sagt Städtetagspräsident Markus Lewe. Bund, Länder und Kommunen bereiten sich vor – ein Überblick.

Kein Asylantrag erforderlich

Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten zunächst für 1 Jahr Schutz; sie müssen keinen Asylantrag stellen. Das Dublin-Verfahren kommt nicht zum Einsatz. Anders als Asylsuchende sollen Menschen aus der Ukraine laut § 24 des Aufenthaltsgesetzes sofort Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Als Herausforderung gilt die medizinische Versorgung.

Patienten auf die Bundesländer verteilen

„Zu den Verwundeten des Krieges kommen noch diejenigen, die ihre medizinische Versorgung verlieren“, sagt Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach. Deutschland sei auf die Versorgung vorbereitet. „Weil wir mit sehr vielen Fällen rechnen, werden wir die Menschen auf die Bundesländer verteilen“, so der Minister.

Unterstützung durch Krankenkassen

Zur Aufnahme der Flüchtlinge gehöre auch, „dass sie die notwendige medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können“, erklärt Gernot Kiefer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes. „Das ist das Mindeste, was wir als Gesellschaft in einer solchen Situation tun können.“

Kiefer: „Auch, wenn es nach geltendem Recht die Kommunen und Länder übernehmen, diese Versorgung sicherzustellen, so geben wir als gesetzliche Krankenversicherung unser Bestes, dabei zu unterstützen.“ Details hat der GKV-Spitzenverband in einem Merkblatt zusammengestellt. Zahlreiche Kollegen bieten kostenlose Behandlungen an, etwa in Berlin.

Auch Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, bietet Unterstützung an: „Es ist wichtig, dass wir in dieser Situation solidarisch sind und den Menschen, die vor dem Krieg flüchten, unbürokratisch helfen.“

COVID-19 – aktuell eine der größten Gefahren

Ein Blick auf Details: Der Ukraine-Krieg ist zu einem Zeitpunkt ausgebrochen, als die COVID-19-Welle mit der Omikron-Variante gerade ihren Höhepunkt überschritten hatte. Niedrige Impfquoten und wenig Tests zu Beginn des Konfliktes könnten jetzt zu einer hohen Zahl schwerer COVID-Verläufe im Land führen. Das geht aus einer Mitteilung des BMJ hervor; Univadis.de hat darüber berichtet.

In Kiew sind laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 65% der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 geimpft. Außerhalb der Hauptstadt liegt die Impfrate mit rund 20% deutlich niedriger. Our World in Data gibt an, dass etwa 35% grundimmunisiert sind. Unter den Ungeimpften seien zudem viele Menschen, die ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf hätten, gibt die WHO zu bedenken.

„Niedrige Testraten bedeuten außerdem, dass es wahrscheinlich zu einer erheblichen unentdeckten Übertragung von COVID-19 kommt, sagte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus. In Verbindung mit der geringen Durchimpfungsrate würde dadurch das Risiko schwerer COVID-Verläufe erhöht. Flüchtlingsströme würden laut Ghebreyesus wahrscheinlich weiter zur Übertragung von COVID-19 beitragen und möglicherweise den Druck auf die Gesundheitssysteme in den Nachbarländern erhöhen.

Impfangebote in Deutschland

In einer Sondersitzung beschäftigt sich der Gesundheitsausschuss des Bundestages mit dieser Problematik, wie Univadis.de berichtet. Den Menschen in der Ukraine sowie Flüchtlingen, die nach Deutschland kämen, solle „umfangreiche medizinische Hilfe“ angeboten werden, heißt es in einer Pressemitteilung des Bundestags. Ein allgemeines Impfangebot, dass nicht nur die Corona-Impfung umfasse, werde vorbereitet.

Ein wichtiger Aspekt für Ärzte und für impfende Apotheker: „Personen, die im Ausland bereits mit nicht in der EU zugelassenen COVID-19-Impfstoffen geimpft wurden, benötigen gemäß aktueller Rechtslage und unter Berücksichtigung der altersentsprechenden Impfempfehlungen eine erneute Impfserie (…), schreibt das Robert Koch-Institut im Epidemiologischen Bulletin. „Die erneute Impfserie soll in einem Mindestabstand von ≥28 Tagen zur letzten Impfstoffdosis begonnen werden.“ Sie seien auf „vermehrte bzw. verstärkte lokale und systemische Reaktionen“ hinzuweisen.

Hilfe auch vor Ort – das ist geplant

Die WHO hat dringend dazu aufgerufen, lebenswichtige medizinische Hilfsgüter in die Ukraine zu liefern. Dazu gehört vor allem medizinischer Sauerstoff, der auch für COVID-19-Patienten knapp ist. Laut Angaben der WHO wurden in der vergangenen Woche etwa 2.000 an COVID-19 erkrankte Menschen mit Sauerstoff behandelt. „Angesichts der schwindenden Vorräte ist es jedoch ungewiss, wie lange die Behandlung weitergeführt werden kann“, sagte Michael J. Ryan, Exekutivdirektor des WHO-Programms für Gesundheitsnotfälle.

Wie die All Ukrainian Pharmaceutical Chamber (AUPC; die ukrainische Apothekerkammer) berichtet, seien vor Ort Arzneimittel und Medizinprodukte Mangelware. Und das größte Insulin-Lager sei zerstört worden. Deshalb bittet die AUPC Apotheker weltweit um Hilfe.

Auf diese Herausforderung reagiert die Bundesregierung ebenfalls. „Ich habe gerade veranlasst, dass Deutschland eine pauschale Ausfuhrgenehmigung durch das BfArM vorbereitet“, schrieb Lauterbach auf Twitter . „Deutschland wird die Versorgung mit Arzneimitteln und Hilfsmitteln für die Menschen in der Ukraine maximal unterstützen.“

Das betrifft vor allem Betäubungsmittel. Laut § 11 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) ist dafür eine spezielle Genehmigung erforderlich. Letztes Wochenende hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin (BfArM) dafür grünes Licht gegeben. Nachbarländer der Ukraine, die EU-Mitgliedstaaten sind, profitieren ebenfalls von Liferungen.

Ärzte wiederum können sich bei der Bundesärztekammer (BÄK) für Einsätze in der Ukraine oder den Nachbarländern registrieren. Sie werden in Absprache mit dem Auswärtigen Amt und dem Zentrum für internationale Friedenseinsätze kontaktiert, sobald humanitäre Tätigkeiten vor Ort möglich sind.

Flüchtlinge in Deutschland versorgen – die wichtigsten Fragen

Welche Formalien sind wichtig? Erstuntersuchungen organisieren Landesaufnahmebehörden; vertragsärztliche Leistungen werden individuell geregelt. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) werden über einen Berechtigungsschein abgerechnet.

Welche Leistungen sind abgedeckt? Ukrainische Geflüchtete, die sich in Deutschland aufhalten und um medizinische Versorgung bitten, haben Anspruch auf Gesundheitsleistungen nach dem AsylbLG. Übernommen werden Kosten bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen, aber auch Schutzimpfungen und Vorsorgeuntersuchungen entsprechend der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Wie werden Arzneimittel abgerechnet? Generell können Medikamente nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen verordnet werden, und zwar mit dem Muster 16. Zuzahlungen entfallen; ansonsten gelten die bekannten Regeln zur Verordnung. Darüber hinaus können gemäß § 6 AsylbLG weitere Leistungen gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Für die Gewährung der Leistungen ist das örtliche Sozialamt bzw. die Erstaufnahmeeinrichtung zuständig.

Wie erkennen Ärzte, wer Leistungsansprüche hat? Zu Beginn sollten Kollegen sich den Behandlungsausweis vorzeigen lassen. Hier ist die Gültigkeitsdauer ersichtlich. Abgerechnet wird mit der zuständigen KV.

Was ist bei Notfallbehandlungen zu beachten? Bei Notfallbehandlungen entfallen Formalien. Wichtig ist der „Abrechnungsschein für den ärztlichen Notdienst“ (Muster 19) zur Vorlage bei der jeweiligen KV.

Was ist bei Überweisungen wichtig? Der Sozialhilfeträger geben auf dem Behandlungsschein an, ob eine zusätzliche Genehmigung erforderlich ist oder nicht.

Welchen Status haben unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge? Sie werden vom zuständigen Jugendamt bei einer gesetzlichen Krankenkasse angemeldet und erhalten eine Krankenversichertenkarte.

 

Kommentar

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