Mens sana in corpore sano: Adipositas könnte sich negativ auf kognitive Funktionen bei Erwachsenen auswirken

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

28. Februar 2022

Adipositas kann die kognitiven Funktionen bei Erwachsenen beeinträchtigen: Das zeigt eine kanadische Studie, die in JAMA Network Open erschienen ist [1]. Dr. Sonia S. Anand, McMaster University in Ontario, und ihre Kollegen stellten in ihrer Querschnittsanalyse fest, dass Menschen mit überschüssigem Fettgewebe in kognitiven Tests niedrigere Werte für die Verarbeitungsgeschwindigkeit erzielten.   

In ihre Analyse bezogen sie 9.189 Teilnehmer ein. Davon unterzogen sich 9.166 einer bioelektrischen Impedanzanalyse zur Bestimmung des Körperfettanteils und 6.773 Teilnehmer einer Magnetresonanztomografie (MRT), um mögliche vaskuläre Hirnschädigungen zu beurteilen. Auch das Volumen des viszeralen Fettgewebes wurde erfasst. Die Probanden waren zwischen 30 und 75 Jahre alt, 56% waren Frauen.

Die kognitiven Funktionen wurden mit dem Digital Symbol Substitution Test (DSST) und dem Montreal Cognitive Assessment (MoCA) bewertet, das kardiovaskuläre Risiko mit dem Interheart-Risiko-Score.

Es zeigte sich, dass die kognitive Funktion – bereinigt um kardiovaskuläre Risikofaktoren und vaskuläre Hirnschädigungen – mit zunehmendem Körperfettanteil und viszeralem Fett abnahm: Für jede Erhöhung des Körperfettanteils oder des vaskulären Fetts um einen Punkt war der DSST-Score für die kognitive Funktion um 0,8 Punkte (95%-Konfidenzintervall: 0,4-1,1; p < 0,001) für den Körperfettanteil und um ebenfalls um 0,8 Punkte (95%-KI: 0,4-1,2; p < 0,001) für das viszerale Fett niedriger.

Adipositas-Prävention schützt auch vor verringerter kognitiver Funktion

„Übermäßige Adipositas ist ein Risikofaktor für schlechtere kognitive Leistungen – unabhängig von kardiovaskulären Risikofaktoren, dem Bildungsniveau und einer im MRT nachgewiesenen vaskulären Hirnschädigung“, schlussfolgern Anand und ihre Kollegen.

Übermäßige Adipositas ist ein Risikofaktor für schlechtere kognitive Leistungen. Dr. Sonia S. Anand und Kollegen

Komplett neu ist das nicht, bestätigt Prof. Dr. Matthias Blüher, Direktor des Helmholtz-Instituts für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung am Universitätsklinikum Leipzig und Sprecher der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) im Gespräch mit Medscape.

„Es gab Anhaltspunkte, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Adipositas und einer eingeschränkten Kognition, aber belegt wurde das bislang in dieser Größe nicht. Insofern liefern die Studienergebnisse einen wichtigen zusätzlichen Beitrag“, so Blüher.

Strategien zur Vorbeugung oder Reduzierung von Adipositas können die kognitiven Funktionen von Erwachsenen erhalten. Dr. Sonia S. Anand und Kollegen

Fest steht, dass eine gute Adipositas-Prävention Betroffene auch vor verringerter kognitiver Funktion schützen würde. Die Studienautoren weisen in ihrem Resümee selbst darauf hin: „Strategien zur Vorbeugung oder Reduzierung von Adipositas können die kognitiven Funktionen von Erwachsenen erhalten“, betonen Anand und ihre Kollegen. Sie weisen auch darauf hin, dass ihre Ergebnisse zwar eine deutliche Assoziation zwischen Adipositas und verminderter kognitiver Funktion zeigen, aber keine Kausalität belegen könnten.

Bislang setzt man seitens des Staates eher auf die Verhaltens-Prävention … Das Problem ist nur: Das reicht nicht aus. Prof. Dr. Matthias Blüher

Prävention wird immer wichtiger, betont auch Blüher. Zumal die Therapie der Adipositas eher frustrierend ist. Eine gute Adipositas-Prävention setzt sich aus Verhältnis-Prävention und Verhaltens-Prävention zusammen. „Bislang setzt man seitens des Staates eher auf die Verhaltens-Prävention, d.h. der einzelne ist selbst dafür verantwortlich. Das Problem ist nur: Das reicht nicht aus, die Adipositas-Epidemie schreitet ja fort“, sagt Blüher.

Verhältnis-Prävention: Eine andere Steuerstruktur könnte viel bewirken

Seit langem setzt sich die DAG dafür ein, die Verhältnis-Prävention auszubauen. Eine im Auftrag der DAG durchgeführte Studie zeigt, dass durch eine Änderung der Steuerstruktur – bei der die Mehrwertsteuer auf adipogene Lebensmittel verteuert und auf Obst und Gemüse verbilligt wird – die Adipositas-Prävalenz nachhaltig reduziert und die Krankheitskosten gesenkt werden können. „Besonders erwähnenswert hierbei ist, dass durch bloße Neuordnung der Mehrwertsteuer – Obst und Gemüse 0%, alles andere 19% – ein bereits beachtlicher Effekt realisieren lässt“, schreibt die DAG in ihrer Stellungnahme dazu.

Auch die Werbung hat enorme Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten: So zeigt eine Studie zu Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel von PD Dr. Tobias Effertz: Mediennutzende Kinder zwischen 3 und 13 Jahren sehen pro Tag im Durchschnitt 15 Werbeanzeigen bzw. -sendungen für ungesunde Lebensmittel (5 im Internet und 10 im Fernsehen).  

„Früher waren zuckerhaltige Lebensmittel ein Luxus, heute gehören sie für Kinder zum Alltag“, sagt Blüher. Er fordert, die Werbung für zuckerhaltige Kinderlebensmittel deutlich einzuschränken.

In der Lebensmittel-Ampel sieht Blüher bestenfalls einen ersten Schritt: „Sinnvoller wäre, die Gesamtkalorienzahl auf der Lebensmittelverpackung aufzudrucken. Dann kann sich jeder Konsument schnell einen Überblick verschaffen.“

Blüher berichtet, dass für Burgerketten in den USA Vergleiche zwischen Kalorien-gekennzeichneten und nicht gekennzeichneten Produkten rückblickend ausgewertet wurden. „Allerdings schien die Information zum Kaloriengehalt keinen starken Einfluss auf das Kaufverhalten zu haben, wobei hier gezielte Studien belastbarere Daten liefern könnten.“

Adipositas wird als Erkrankung noch immer zu wenig ernst genommen, bestätigt Blüher. „Klar ist – ohne dass man zu viele Kalorien zu sich nimmt und sich zu wenig bewegt, wird man in der Regel nicht dick. Dass wir aber dazu neigen, zu viel zu essen, ist Teil unseres genetischen Programms. In Zeiten, als immer wieder Nahrungsmangel herrschte, war es überlebenswichtig, sich Reserven anzuessen“, erklärt Blüher. Ohne Nahrungsmangel führe dieses Verhalten aber dazu, krank zu werden.

Erst seit eineinhalb Jahren als chronische Erkrankung anerkannt

Die Spannbreite der Adipositas-Behandlung beginnt bei Änderungen des Lebensstils, also Änderungen des Essverhaltens, gesünderer Ernährung und Bewegung. Hinzu kommt eine medikamentöse Unterstützung.

Reicht beides nicht aus, kommt für wenige Patienten eine chirurgische Lösung infrage. „Die bariatrische Chirurgie ist allerdings mit Nebenwirkungen verbunden und nur für wenige sehr stark von Adipositas betroffene Menschen eine Therapieoption“, sagt Blüher.

Ein nicht geringes Problem ist, dass die medikamentöse Therapie der Adipositas sehr stiefmütterlich behandelt wird. „Patienten müssen Medikamente zur Gewichtsreduktion selbst bezahlen“, betont Blüher. Weil Adipositas nach dem Sozialgesetzbuch keine Erkrankung ist, sind Mittel zur Gewichtsreduktion für adipöse Menschen nicht Teil des Erstattungskatalogs der Kassen. „Das ist nicht wirklich nachvollziehbar“, sagt Blüher.

Ich hege die Hoffnung, dass sich mit der Etablierung eines Disease Management Programms etwas verändert. Prof. Dr. Matthias Blüher

Schon in ihrer S3-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Adipositas“ (2014, derzeit in Überarbeitung) hatte die DAG Adipositas explizit als chronische Erkrankung bezeichnet. So langsam scheint in der Öffentlichkeit ein Umdenken einzusetzen: Am 3. Juli 2020 hat der Deutsche Bundestag Adipositas endlich als Krankheit anerkannt. „Ich hege die Hoffnung, dass sich mit der Etablierung eines Disease Management Programms etwas verändert“, sagt Blüher.

Kommentar

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