Prof. Dr. Hans-Chris
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich möchte Ihnen heute die Highlights vom Europäischen Schlaganfallkongress 2022 (ESOC 2022) vorstellen, der Anfang Mai in Lyon stattfand.
Es gibt neue wichtige Studien, die unser klinisches Vorgehen in Zukunft bestimmen werden.
Thrombektomie bei Basilaris-Verschluss
Lassen Sie mich mit Verschlüssen der Arteria basilaris oder bilateralen Verschlüssen der Arteria vertebralis beginnen. Hier gab es bislang 2 kleinere Studien, die BEST aus China mit 131 Patienten und die BASICS aus den Niederlanden mit 300 Patienten mit einem relativ kurzen Einschlussfenster, die keinen eindeutigen Nutzen der Thrombektomie gezeigt haben, was sehr überraschend war.
Jetzt gibt es 2 neue positive Studien aus China. Eine davon ist die Basilar Artery Occlusion Chinese Endovascular (BAOCHE) Studie. Hier war das Einschlusskriterium ein NIHSS > 6 und ein Zeitfenster von 24 Stunden. Primärer Endpunkt war modified Ranking Scale (mRS) 0-3 nach 90 Tagen.
Hier war die Thrombektomie eindeutig besser wirksam als Best Medical Treatment. Der primäre Endpunkt wurde bei 51/110 Patienten (46,4%) mit Thrombektomie und bei 26/107 Patienten (24,3%) mit konservativer Therapie erreicht. Die Odds Ratio ist 2,92, das heißt, dass diese Patienten mit Thrombektomie eine 3fach höhere Wahrscheinlichkeit haben, einen besseren Outcome zu erreichen.
Es gab auch signifikante Unterschiede für die Reduktion der Sterblichkeit mit 30,8% versus 42% und nur einen geringen Anstieg von symptomatischen intrazerebralen Blutungen.
Die 2. Studie war die ATTENTION-Studie (Abstract 1734) mit einem Einschlussfenster von 12 Stunden und einer 2:1-Randomisierung. Primärer Endpunkt war mRS 3 nach 90 Tagen. Diesen erreichten 104/228 Patienten (46%) bei Thrombektomie versus 26/114 Patienten (22,8%) bei konservativer Behandlung. Die Risikoreduktion ist 2,1. Es gab auch eine signifikante Reduktion von Tod mit 36% versus 55%. Symptomatische intrazerebrale Blutungen (sICH) waren 5% bei Thrombektomie versus 0% bei konservativer Behandlung.
Es gab darüber hinaus in dieser Zeit in China noch ein prospektives Register (ATTENTION-Register, Abstract 1755) mit 2.034 Patienten mit Basilaris-Verschluss. Hiervon wurden 1.672 thrombektomiert und 462 bestmöglich konservativ behandelt. Ein Outcome mRS 0-3 nach 90 Tagen ergab ein relatives Risiko zugunsten Thrombektomie von 1,42, die absolute Differenz zugunsten der Thrombektomie betrug 12%. Auch die Sterblichkeit war um fast 30% signifikant reduziert.
Was sind die Konsequenzen? Jetzt ist eindeutig belegt, dass die Thrombektomie beim Basilaris-Verschluss in einem Zeitfenster von bis zu 24 Stunden einer konservativen Therapie überlegen ist. Und das ist jetzt vermutlich auch das Ende der Diskussion.
Tenecteplase versus Alteplase beim akuten Schlaganfall
Der 2. Schwerpunkt ist der Vergleich von Tenecteplase mit Alteplase beim akuten ischämischen Insult. Tenecteplase hat eine längere Halbwertszeit und den großen Vorteil, dass es nur als Bolus gegeben wird, während Alteplase einen Bolus braucht und dann für mindestens 1 h noch intravenös infundiert werden muss.
In der großen kanadischen ACT-Studie wurde Tenecteplase 0,25 mg/kg Körpergewicht mit Alteplase verglichen (Abstract 1712). Der primäre Endpunkt war mRS 0-1 nach 90 Tagen.
Die 1.600 Patienten wurden innerhalb von 4,5 Stunden eingeschlossen. Es gab keinen Unterschied weder für den primären Endpunkt mRS 0-1 (37% und 35%) noch für alle sekundären Endpunkte, noch für die Sicherheit zwischen Tenecteplase und Alteplase. Beide Substanzen sind gleich wirksam und sicher.
Eine 2. Studie in Norwegen, die NOR-TEST-2.Studie hat eine höhere Dosis von Tenecteplase (0,4 mg/KG) versus Alteplase untersucht (Abstract 1739, Lancet Neurol 2022, online 4. Mai 2022). Nach dem Einschluss von 216 Patienten musste die Studie abgebrochen werden, weil intrakranielle Blutungen bei Tenecteplase mit 21% (21/100) signifikant häufiger waren als bei Alteplase mit 7% (OR 3,68). Auch die Mortalität war mit 16% bei Tenecteplase versus 5% signifikant erhöht. Wahrscheinlichste Erklärung ist, dass die Dosis von Tenecteplase zu hoch war.
Eine kleine Studie, die TASTE-A Studie in Melbourne (Abstract 1737, Lancet Neurol 2022, online 4. Mai 2022), verglich Tenecteplase und Alteplase bei 104 Patienten, die in einer mobilen Stroke Unit behandelt wurden. Sie hatte einen komischen primären Endpunkt, nämlich die Größe des Perfusionsdefizits im CT bei Ankunft im Krankenhaus. Die kleine Studie mit 104 Patienten zeigte einen Trend zugunsten der Tenecteplase für diesen primären Endpunkt. In den harten klinischen Endpunkten bestand kein Unterschied.
Was bedeutet das für die klinische Praxis? Tenecteplase ist viel bequemer zu geben, weil man nur einen Bolus benötigt und nicht eine einstündige Infusion. Nachteil ist, dass Tenecteplase in vielen Ländern für die Schlaganfallindikation nicht zugelassen ist und auch nicht erstattet wird.
Glenzocimab verhindert Thrombosen
Ein 3., vielleicht künftiger Höhepunkt war der neue Antikörper Glenzocimab gegen Plättchenfaktor 6. Er verhindert Thrombosen und interessanterweise ist das Blutungsrisiko nicht erhöht. Hier wurde eine Sicherheitsstudie mit 1.000 mg Glenzocimab versus Placebo bei 100 Patienten durchgeführt, die eine Thrombolyse erhalten (Abstract 1758).
Es zeigte sich eine deutliche Reduktion von symptomatischen intrakraniellen Blutungen von 1% mit diesem Antikörper versus 8%. Auch die Mortalität war mit 8% versus 19% deutlich verringert. Diese Substanz muss natürlich jetzt in große Phase-3-Studien.
Studien in Kurzform
Exenatid, ein GLP-1-Agonist zur Senkung eines erhöhten Blutzuckerspiegels, war beim akuten Schlaganfall nicht wirksam (Abstract 1756).
Tranexamsäure war bei Patienten mit intrakraniellen Blutungen unter NOAKS nicht wirksam (Abstract O036/990). Das hat aber keinerlei praktische Konsequenz, weil wir die spezifischen Antidote für Dabigatran und die Xa-Hemmer haben.
Eine wichtige Metaanalyse von allen Patienten, die in Studien mit intraventrikulärer Fibrinolyse entweder eine lokale Lyse über einen Katheter (n = 596) oder Best Medical Treatment (n = 905) erhielten, ergab einen besseren Outcome und eine um 50% reduzierte Mortalität für die lokale Lyse (Abstract O209/924, Stroke online 6. Mai 2022).
Eine Studie (AMETIS), bei der bei Thrombektomie Narkose mit Sedierung bei 329 Patienten verglichen wurde, ergab keinen Unterschied (Abstract O035/928). Auch dies hat keine praktischen Konsequenzen, weil man üblicherweise die Thrombektomie mit Sedierung macht und nur, wenn das nicht geht, erhalten die Patienten eine Narkose.
In einer Studie mit 328 schwerst kranken Patienten auf der Intensivstation wurde eine frühe Tracheotomie mit einer üblichen Tracheotomie verglichen. Auch hier zeigte sich im Outcome kein Unterschied (Abstract 1740, JAMA online 4. Mai 2022).
Es gab diesmal wirklich wichtige Erkenntnisse und jetzt noch ein Hinweis: Es wurden eine ganz Reihe von Studien vorgestellt, die einfach zu klein waren von der Patientenzahl oder die vorzeitig abgebrochen wurden. Hier muss man sich wirklich hüten, die Ergebnisse dieser Studien in den klinischen Alltag zu übertragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt aufregende Neuigkeiten beim Schlaganfall.
Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: „Wirklich wichtige Erkenntnisse für die Praxis“ vom Europäischen Schlaganfallkongress – kurz zusammengefasst - Medscape - 19. Mai 2022.
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