Prof. Dr. Hans-Christoph Diener stellt 5 Studien vor, die Klarheit schaffen zu Loop-Recordern bei Schlaganfall, Antikörpern gegen Prionen und Alzheimer sowie einer Innovation gegen Muskeldystrophie.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich berichte Ihnen heute, welche wichtigen neuen Studien es im März 2022 gab.
Die gute Nachricht vorab: das war ein wissenschaftlich wirklich toller Monat mit ganz wichtigen neuen Erkenntnissen.
Kardiosphären-abgeleitete Stammzellen bei Duchenne-Muskeldystrophie
Ich beginne mit einer in Lancet publizierten Arbeit zur Duchenne-Muskeldystrophie [1]. Sie wissen, dass diese Erkrankung, die nur Jungen betrifft, zu progredienten Paresen zunächst der unteren und dann der oberen Extremitäten führt. Zum Schluss betrifft sie die Atemmuskulatur und löst eine Kardiomyopathie aus. Der Gendefekt ist sehr gut bekannt.
Bisher gibt es außer der Gabe von Glucocorticoiden keine wirksame Therapie. Es gibt allerdings eine Gentherapie. Jetzt gibt es noch einen ganz neuen, anderen Ansatz, und zwar mit sogenannten Kardiosphären-abgeleiteten Stammzellen.
Diese Stammzellen wurden zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz entwickelt. Dort gibt es bereits entsprechende randomisierte Studien.
Diese Progenitorzellen haben immunmodulatorische, antifibrotische und regenerative Eigenschaften und sind in Tiermodellen der Duchenne-Muskeldystrophie wirksam. Der Hauptanteil der Wirkung läuft wahrscheinlich über extrazelluläre Vesikel, nämlich Exosomen, die auch auf Makrophagen abzielen.
Publiziert wurde jetzt die erste Placebo-kontrollierte Studie bei Patienten mit Duchenne-Muskeldystrophie und Einschränkung der Kraft in den oberen Extremitäten. 8 Patienten erhielten die Zelltherapie, 12 Placebo alle 3 Monate über 1 Jahr.
Bei den Patienten, die die Zelltherapie erhielten, verbesserte sich die motorische Funktion der oberen Extremitäten, bei den Placebo-Patienten schritten die Paresen fort.
Die Therapie wurde relativ gut vertragen, es gab bei 3 Patienten eine Hypersensitivitätsreaktion.
Jetzt braucht man natürlich ganz dringend eine deutlich größere und längere Studie, um zu sehen, ob das eine Therapieoption für die Zukunft ist.
Antikörper gegen Prionen
Die 2. Studie ist in Lancet Neurology publiziert und beschäftigt sich mit Prionen-Erkrankungen [2]. Sie alle kennen die Jakob-Creutzfeldt-Erkrankung (CJD). Prionen sind fehlgefaltete Proteine, die sich wie ein infektiöses Agens verhalten und sich im Gehirn ausbreiten.
Eine Arbeitsgruppe im UK hat nun einen humanen monoklonalen Antikörper gegen das Prionen-Protein entwickelt. Sie hat in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 6 Patienten mit CJD behandelt. Bei allen Patienten war die Erkrankung leider progredient.
Bei 2 der verstorbenen Patienten ließen sich neuropathologische Untersuchungen durchführen. Die zeigten ganz eindeutig, dass die monoklonalen Antikörper im Gehirn binden und offenbar eine biologische Wirkung haben.
Was ist nun der zukünftige Ansatz? Wahrscheinlich dürfte er nicht bei der infektiösen CJD, sondern bei der genetischen Variante liegen. Vielleicht ist es in Zukunft mit diesem monoklonalen Antikörper bei Risikopersonen möglich, die Erkrankung zu verhindern oder zu verlangsamen.
Aducanumab bei Alzheimer-Erkrankung
Nun zur Alzheimer-Erkrankung. Sie wissen, dass es eine sehr heftige Kontroverse zu Aducanumab, einem monoklonalen Antikörper gegen Amyloid-beta gibt. Jetzt sind endlich nach langer Zeit die beiden Phase-3-Studien EMERGE und ENGAGE publiziert worden [3].
Das waren randomisierte, doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien bei Patienten in frühen Stadien der Alzheimer-Krankheit. Jede dieser Studien umfasste etwa 1.600 Patienten. Einschlusskriterium war der Nachweis einer Amyloid-Pathologie im PET.
Die beiden Studien war ursprünglich vorzeitig abgebrochen worden, nach dem etwa die Hälfte der Patienten eingeschlossen war, weil sich kein Unterschied zwischen Verum und Placebo fand. Die Firma hat aber dann eine Post-hoc-Analyse durchgeführt und in einer der beiden Studien (EMERGE) eine geringe Wirksamkeit nachweisen können, die zweite Studie (ENGAGE) war eindeutig negativ.
Jenseits der Wirksamkeit gibt es noch ein wesentliches Problem, nämlich dass 30% der Patienten durch diese Therapie ein Hirnödem entwickeln, deswegen sind regelmäßige MRT-Kontrollen notwendig.
Dieser Antikörper ist in den USA zugelassen und wird dort auch eingesetzt. Aber die europäische Zulassungsbehörde hat basierend auf diesen Daten bisher keine Zulassung empfohlen.
Hier muss man sagen, dass eine marginal wirksame Therapie mit erheblichen Nebenwirkungen und sehr hohen Kosten zugelassen wurde, bei der niemand weiß, ob sie wirklich einen vernünftigen Nutzen hat.
Langzeit-EKG-Monitoring nach Schlaganfall
Die 4. Studie ist in Neurology publiziert [4]. Sie beschäftigt sich mit der Frage, welchen Nutzen ein Langzeit-EKG-Monitoring insbesondere mit implantierbaren Loop-Rekordern nach TIA und Schlaganfall, in der Regel ESUS (Embolic Stroke of Undetermined Source), hat. Die Autoren haben eine Metaanalyse von 5 randomisierten Studien und 3 Beobachtungsstudien mit fast 3.000 Patienten durchgeführt, in denen Langzeit-EKG-Monitoring mit intermittierendem Monitoring verglichen worden ist.
Es ist nicht erstaunlich, dass ein Langzeit-EKG-Monitoring die Wahrscheinlichkeit, ein Vorhofflimmern zu entdecken, um den Faktor 2 bis 4 erhöht. Nun kommt aber leider das Frustrierende: Diese Studien konnten nicht zeigen, dass dadurch Schlaganfälle verhindert werden.
Das führt zu dem Dilemma, dass einige Krankenkassen in Deutschland sich in der Zwischenzeit weigern, diese implantierbaren EKG-Rekorder zu bezahlen.
DOAKs nach Sinusvenenthrombose
Die 5. Studie, in Stroke publiziert, beschäftigt sich mit der Langzeit-Therapie der zerebralen Sinusvenenthrombose (CVT) [5]. Sie wissen, dass die Initialtherapie mit Heparin oder niedermolekularem Heparin erfolgt, die weitere Therapie dann mit Vitamin-K-Antagonisten, z. B. Marcumar.
Wir hatten in einer kleinen Sicherheitsstudie mit 100 Patienten zeigen können, dass Dabigatran in der Langzeittherapie dieser Patienten genauso wirksam ist wie Warfarin, aber ein besseres Sicherheitsprofil hat.
Hier handelt es sich jetzt um ein Register aus vielen Ländern in das 845 Patienten mit zerebralen Sinusvenenthrombosen eingeschlossen worden sind. Davon erhielten 33% ein direkt wirkenden orales Antikoagulans (DOAK), 52% Warfarin und der Rest zu verschiedenen Zeitpunkten beide.
Nach einem Jahr hatten 5,7% erneute Venenthrombosen, 4% schwerwiegenden Blutungskomplikationen, 1,8% der Patienten waren verstorben.
Bezüglich rezidivierender venöser Thrombosen und Tod ergab sich kein Unterschied zwischen DOAKs und Warfarin. Aber schwerwiegende Blutungskomplikationen waren um 65% durch DOAKs reduziert verglichen mit Warfarin.
Das wäre m.E. ein ziemlich starkes Argument, die Langzeittherapie von zerebralen Sinusvenenthrombosen mit DOAKs durchzuführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der März 2022 war wissenschaftlich aufregend. Es gab viele Studien aus verschiedenen Bereichen und 1 Studie die tatsächlich für die Zukunft extrem wichtig ist, nämlich die Studie zur Duchenne-Muskeldystrophie.
Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: „Toller Monat mit wichtigen Erkenntnissen“ zu Duchenne, Alzheimer, Schlaganfall und Sinusvenenthrombosen - Medscape - 25. Apr 2022.
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