MEINUNG

Neuro-Talk: Ein neues Schlafmittel, das am Morgen nicht müde macht, ASS bei COVID-19, Studien zu ALS sowie MS und Schwangerschaft 

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

21. März 2022

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener präsentiert 6 Studien vom Februar. Eine ganz neue Generation von Schlafmittel macht Hoffnung, aber auch ein Medikament gegen zuviel Schlaf war erfolgreich.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen.

Ich berichte Ihnen heute über 6 Studien, die im Januar und Februar 2022 publiziert worden sind.

Edavaron bei amyotropher Lateralsklerose (ALS)

Sie wissen, dass es außer einer Therapie mit Riluzol bisher keine wirksame Behandlung der ALS gibt. Allerdings ist in Japan und in den USA der freie Radikalfänger Edavaron zur Therapie zugelassen. Das basiert auf Subgruppenanalysen von Studien, die in Japan durchgeführt worden sind. In Europa wurde die Substanz nicht zugelassen.

Eine deutsche Arbeitsgruppe, die sich mit ALS beschäftigt, hat jetzt Daten von Patienten aus Deutschland publiziert, die mit i.v. Edavaron plus Riluzol im Vergleich zu Riluzol allein behandelt worden sind [1]. Die Studie war nicht randomisiert, die Patienten waren aber Propensity gematcht.

Die Kollegen konnten keine Unterschiede zeigen in der Krankheitsprogression, in der Sterblichkeit und in der Zeit bis zur Beatmungspflicht der Patienten. Diese Daten würden sehr dafür sprechen, dass Edavaron bei der ALS wahrscheinlich nicht wirksam ist.

Riluzol bei spinozerebellärer Ataxie

Eine 2. Studie beschäftigte sich mit der Therapie der spinozerebellären Ataxie. Hier wurde der NMDA-Antagonist Riluzol verwendet. Diese französische Studie wurde in Lancet Neurology publiziert [2]. Eingeschlossen waren 45 Patienten mit spinozerebellärer Ataxie. Leider ergab sich zwischen Verum und Placebo kein Unterschied für das Fortschreiten der Erkrankung. Damit ist leider weiterhin keine medikamentöse Therapie der spinozerebellären Ataxie verfügbar.

Daridorexant als neues Schlafmittel

Wir haben eine Reihe von Schlafmittel-Gruppen, z. B. Benzodiazepine oder Substanzen, die auf den GABA-Rezeptor wirken. Jetzt gibt es eine ganz neue Generation von Schlafmitteln, die Orexin-Rezeptorantagonisten.

Orexine sind Substanzen, die im Hypothalamus gebildet werden und dort auch an Rezeptoren binden. Sie haben eine ganz wichtige Rolle bei Schlafinduktion und -qualität.

In Lancet Neurology wurden 2 große randomisierte doppelblinde Studien publiziert, die den Orexin-Rezeptorantagonisten Daridorexant mit Placebo verglichen haben [3]. Beide Studien hatten über 900 Patienten.

Es zeigte sich, dass der Orexin-Antagonist die Latenz bis zum Einschlafen verkürzt, die Schlafqualität verbessert und gegenüber Benzodiazepinen einen ganz besonderen Vorteil hat, es besteht am nächsten Tag kein Überhang, es tritt also keine Tagesmüdigkeit auf.

Die Behandlung dauerte 3 Monate. Die Substanz ist in den USA zugelassen. Langzeiterfahrungen bestehen natürlich noch nicht.

Rein pharmakologisch wäre es überraschend, wenn es zu Gewöhnung oder Abhängigkeit kommen würde.

Oxybat bei idiopathische Hypersomnie

Das Gegenteil ist die idiopathische Hypersomnie, bei der die Patienten sehr viel schlafen und unter einer ausgeprägten Tagesmüdigkeit leiden.

In Lancet Neurology ist eine Studie publiziert worden, in der die Patienten mit einer Oxybat-Zubereitung mit niedrigem Natriumgehalt behandelt worden sind [4]. Diese Behandlung war signifikant wirksamer als Placebo. Die Tagesschläfrigkeit war deutlich reduziert und die Substanz wurde relativ gut vertragen.

Der Vorteil der Zubereitung mit einem niedrigen Natrium-Gehalt ist, dass sie keine Auswirkungen auf den Blutdruck hat.

MS und Schwangerschaft

Aus einem deutschen Schwangerschaftsregister wurde in JAMA Network Open eine Kohorte von 255 MS-Patientinnen analysiert, bei denen bei Kinderwunsch vor der Schwangerschaft oder während der Schwangerschaft eine immunmodulatorische Therapie mit Natalizumab beendet worden ist.

Leider kam es nach dem Absetzen zu erneuten Krankheitsschüben und insgesamt 11% der Frauen hatten nach der Schwangerschaft eine deutliche Zunahme ihrer Behinderung. Daraus resultiert, dass wahrscheinlich doch die immunmodulatorische Therapie während der Schwangerschaft fortgeführt oder auf eine andere Therapie vor der Schwangerschaft umgesetzt werden sollte.

ASS bei COVID-19

COVID-19 hat ein hohes Risiko für thromboembolische Komplikationen sowohl im arteriellen wie auch im venösen Schenkel. Daher wurde im RECOVERY-Studienprogramm untersucht, ob Acetylsalicylsäure (ASS) die Prognose verbessern kann [6].

Diese in Lancet publizierte Studie hatte 14.892 Patienten mit COVID-19, die entweder mit Acetylsalicylsäure oder ohne Acetylsalicylsäure behandelt wurden. Dabei zeigte sich, dass das keine Auswirkungen auf den funktionellen Outcome, die Sterblichkeit und die Dauer des Krankenhausaufenthalts hatte.

In der ASS-Gruppe gab es etwas weniger thromboembolische Ereignisse, das wurde aber durch mehr Blutungskomplikationen kompensiert.

Das Ganze ist darüber hinaus schwierig zu beurteilen, weil die meisten Patienten zumindest niedermolekulares Heparin und Cortison erhielten. Sehr wahrscheinlich ist ASS in dieser Situation nicht wirklich hilfreich und wirksam.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 6 spannende Studien aus dem Januar und Februar 2022, die ich Ihnen vorgestellt habe.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
 

Kommentar

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