MEINUNG

Tai Chi für Krebsüberlebende: Auf sanfte Weise mehr Lebensqualität und Schlaf – weniger Fatigue? So sieht die Datenlage aus

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

14. März 2022

Viele Krebsüberlebende haben noch Jahre nach der Behandlung gesundheitliche Probleme. PD Dr. Georgia Schilling stellt einen Review zur Wirkung von Tai Chi als Interventionsmethode vor. 

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling, ich bin Chefärztin der internistisch-onkologischen Rehabilitation in der Asklepios-Nordsee-Klinik in Westerland auf Sylt und  ich bin auch leitende Oberärztin im Asklepios-Tumorzentrum in Hamburg.

Heute habe ich Ihnen einen systematischen Review aus Cancer Medicine von Yang und Mitarbeitern mitgebracht, in dem es um die Effektivität von Tai Chi für Überlende nach Krebs geht.

Tai Chi als Alternative zum Ausdauertraining

Wir wissen, dass die aktuellen Leitlinien ein moderates bis kräftiges Ausdauer- und Krafttraining empfehlen, um Langzeitfolgen, Spätfolgen und auch akute Nebenwirkungen von Krebserkrankungen und ihrer Therapie zu behandeln oder zu verbessern. Das Ausdauertraining sollte mindestens 3x wöchentlich über mindestens 30 Minuten stattfinden, das Krafttraining 2x wöchentlich über mindestens 30 Minuten, jeweils für 8 bis 12 Wochen.

Viele Krebspatienten sind jedoch aufgrund der Erkrankung, ihrer Komorbiditäten oder/und aufgrund ihrer Therapie nicht in der Lage intensive Sportprogramme durchzuhalten. Das stellt dann auch eine Barriere für die Patienten dar.

Tai Chi ist eine „Mind-Body“-Bewegungsart, die aus mehreren Komponenten besteht. Sie benötigt keine spezielle Ausrüstung, keine speziellen Termine – man kann es im Freien, im Zimmer, allein oder mit mehreren betreiben.

Das ist ein großer Vorteil, auch um mögliche Barrieren abzubauen. Es ist eine machbare Alternative zu traditionellen Sportarten mit leichter bis moderater Intensität.

Tai Chi ist charakterisiert durch langsame, fließende Bewegungen in Kombination mit Zwerchfellatmung, mit muskulo-skeletalem Stretching, mit Entspannung und auch mit kinästhetischer Körperwahrnehmung gepaart mit meditativen Elementen. Das unterscheidet Tai Chi und auch andere asiatische Bewegungsarten von konventionellen Sporttherapien.

Das Energielevel in MET (metabolischen Äquivalenten) ist 2,6 bis 6,5, je nach Intensität. Das entspricht einer leichten bis moderaten Intensität.

Zur Studie

In dem systematischen Review wurden 14 Studien analysiert, 13 waren randomisiert, 1 nicht-randomisiert, 5 fanden während der Therapie statt und 9 nach der Tumorbehandlung. 6 Studien stammen aus den USA, 6 aus China und 1 aus Thailand. Die Patientenzahl variierte zwischen 9 und 57. 7 Studien wurden bei Frauen mit Mammakarzinom durchgeführt, also die größte Gruppe, wie in vielen anderen Bereichen auch, 3 Studien bei Patienten mit Bronchialkarzinom, 2 bei Patienten mit Tumoren im Kopf-Hals-Bereich, 1 Studie bei Prostatakarzinom und 1 Studie bei gemischten Erkrankungen.

Die Krankheitsstadien variierten von 0 bis 4. Es handelte sich um ein sehr gemischtes Kollektiv, auch was die onkologischen Therapien anging, multimodal, unimodal, Strahlentherapie, Chirurgie und Systemtherapie.

Auch die Anwendung von Tai Chi unterschied sich, war in den meisten Studien jedoch 3x wöchentlich über 60 Minuten. Der Untersuchungszeitraum ging in den meisten Studien über 12 Wochen.

Ergebnisse

In den verschiedenen Studien waren verschiedene Langzeitfolgen untersucht worden, u.a. Angst (n = 1), depressive Symptomatik (n = 3), gesundheitsbezogene Lebensqualität (n = 6), Fatigue (n = 6), körperliche Funktion (n = 5), Knochengesundheit (n = 1), Schlaf (n = 5), kognitive Funktion (n = 1) und Schmerzen (n = 2).

Die 5 während der Therapie durchgeführten Studien kamen zu relativ gemischten Ergebnissen bei Fatigue und Lebensqualität.

6 weitere randomisierte und 1 nicht randomisierte Studie nach der Therapie zeigten konsistente Verbesserungen bei Fatigue und gemischte Ergebnisse bei Lebensqualität, Depression, körperlicher Funktion und Schlaf.

Insgesamt also wenig Evidenz.

Was steckt hinter Tai Chi?

Tai Chi scheint sich positiv auf das Schlafverhalten auszuwirken, in dem Arousals und Inflammation reduziert werden und die zirkadiane Rhythmik reguliert wird.

Biologische Mechanismen, die hypothetisch zur Verbesserung der Fatigue beitragen sollen, sind Inflammation, veränderte Immunantwort und eine mitochondriale Dysfunktion. Man weiß aber von Patienten mit koronarer Herzkrankheit oder Herzinsuffizienz, dass Tai Chi die kardiorespiratorische Fitness verbessern kann, und zwar durch die intensiven Thorax-Expansionen während der Intervention und das Stretching, was die Atemmuskulatur stärkt.

Die Zwerchfellatmung trägt zu einer verringerten Atemfrequenz bei und hält die Atemwege länger offen. Das ist bei kardial erkrankten Patienten gut untersucht.

Zusammenfassend kann man sagen, es gibt bislang nur eine geringe Evidenz für die Durchführung von Tai Chi. Um Fatigue und Schlaf zu verbessern sind mindestens 3x wöchentlich für 60 Minuten über 12 Wochen erforderlich.

Mehr Studien erforderlich

Es gibt leider nur diese 14 Studien und die Datenlage ist noch sehr schlecht.

Außerdem fehlen direkte Vergleiche mit konventionellen Bewegungsprogrammen. Hierzu wären 3armige Studien erforderlich – Tai Chi versus konventionelle Bewegungstherapie versus Nichts. Zudem müssen weitere Outcomes untersucht werden wie Polyneuropathie, Auswirkungen auf Lymphödeme, auf Kardiotoxizität, Fallneigung, Koordination, Übelkeit, sexuelle Funktion und Verträglichkeit der Krebs-Therapie.

Wir brauchen also mehr randomisierte Studien, am besten 3armig, um Evidenz zu generieren. Dafür benötigen wir gut ausgebildete Trainer, die die Patienten anleiten. Vielleicht wäre auch ein virtueller Ansatz oder ein Ansatz per App denkbar.

Insgesamt gilt jedoch, Tai Chi ist einfach durchführbar, die Intensität passt für Tumorpatienten und es kann manche Barrieren bei den Patient überwinden.

Zusammenfassend gilt, dass bislang wenige Ergebnisse vorliegen, diese jedoch vielversprechend sind. Daher empfehle ich meinen Patienten in der Reha Tai Chi als Fatigue-Therapie oder zur Schlafregulation.

Damit ganz herzlichen Dank fürs Zuhören und bis bald.

 

Referenz

Yang L, et al. Cancer Medicine, online publiziert am 17. September 2021

Kommentar

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