Prozessbeginn für Kollegen und Vorgesetze: Warum stoppten sie den Patientenmörder Niels Högel nicht – Warnzeichen übersehen?

Christian Beneker

Interessenkonflikte

24. Februar 2022

Hätten die Kollegen und Vorgesetzten des Patientenmörders Niels Högel seine Untaten stoppen können? Diese Frage soll nun bei dem Prozess vor dem Landgericht Oldenburg geklärt werden. Angeklagt sind 8 Mitarbeiter der beiden Krankenhäuser in Delmenhorst und Oldenburg, in denen Högel als Krankenpfleger gearbeitet und gemordet hat – mehrere Ärzte, Führungskräfte aus der Pflege und ein Geschäftsführer. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Totschlag durch Unterlassen in 8 Fällen: 3 Morde im Oldenburger Klinikum und 3 Morde und 2 Mordversuche im Krankenhaus Delmenhorst. Auch Niels Högel wird aussagen.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft haben die Angeklagten alle Warnzeichen der Morde in ihren Häusern übersehen. Nun, zweieinhalb Jahre nach der Verurteilung Högels im Jahr 2019 wegen 85-fachen Mordes an Patienten, wird der Verantwortung von Kollegen und Vorgesetzen an den Taten nachgegangen. Corona-bedingt findet der Prozess in der Oldenburger Weser-Ems-Halle Stadt.

Die 8 Angeklagten hatten zum Prozessauftakt 18 Strafverteidiger aus Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg mitgebracht. Bereits vor Prozessbeginn bestritten die Juristen die Taten ihrer Mandanten. Christian Marbach, Sprecher der Opferfamilien, sagte dem Norddeutschen Rundfunk (NDR), die Anwälte würden „einen Zirkus, ein ziemliches Spektakel“ abziehen.

Kein Einschreiten aus Sorge über die Reputation

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft wiegen schwer: Die Angeklagten aus dem Klinikum Oldenburg sollen „die Taten des N. Högel spätestens seit Ende Oktober des Jahres 2001 für tatsächlich möglich gehalten haben“, so die Zusammenfassung der Anklageschrift. „Sie sollen jedoch nicht eingeschritten sein und sollen die Begehung weiterer Taten auf der Station 211 billigend in Kauf genommen haben.“

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Angeklagten die Taten hätten verhindern können. Statt aber einzugreifen und das Leben ihrer Patienten zu schützen hätten die Angeklagten „sich mit den – wenn auch unerwünschten – Taten Högels abgefunden“. Mehr noch. Sie haben den Ruf des Krankenhauses über das Leben ihrer Patienten gestellt. „Ihr Einschreiten soll aus Sorge um die Reputation der Station 221 und des Klinikums Oldenburg insgesamt unterblieben sein, so die Anklageschrift.“

Bei den Angeklagten aus dem Krankenhaus Delmenhorst handelt es sich unter anderen um 2 Oberärzte des Klinikums. Obwohl Högel in Delmenhorst praktisch auf frischer Tat ertappt worden sei, die beiden Angeklagten über den Verdacht gegen den Pfleger informiert gewesen seien und seine Patiententötungen für möglich gehalten haben sollen, seien sie nicht eingeschritten. Stattdessen haben sie die Taten „billigend in Kauf genommen“ und ließen Högel sogar 2 weitere Dienste auf der Station versehen. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten die Angeklagten auch deshalb nicht gehandelt, weil sie sich um die Reputation des Hauses sorgten und aus Angst, des Mobbings in Form von falschen Verdächtigungen bezichtigt zu werden.

„Es geht um Zivilcourage!“

Karsten Krogmann, Sprecher der Opferhilfe-Vereinigung „Weißer Ring“ und Autor des Buches „Der Todespfleger“, erklärt: „Für viele Opfer-Angehörige ist der Fall Högel mit der Verurteilung des ehemaligen Pflegers aufgearbeitet und weitgehend abgeschlossen.“ Die Wenigsten würde noch Wert darauf legen, erneut über den Fall zu sprechen. Krogmann erinnerte aber auch daran, dass es 2019 beim Prozess gegen Högel 15 Freisprüche gegeben hat. Hier hätten Opferfamilien sicherlich noch Fragen, so Krogmann.

Der neuerliche Prozess in Oldenburg sei aber von noch größerer, gesellschaftlicher Bedeutung, noch mehr als der Prozess davor, sagt Krogmann zu Medscape. „Es geht um Zivilcourage! Welche Verantwortung hat der Einzelne wenn ihm etwas auffällt? Auch in verantwortlicher Position geht es darum zu priorisieren: Muss der Patient geschützt werden oder der Ruf des Krankenhauses?“ Es gelte im Zweifel einzuschreiten statt zuzuschauen. Eben das sei in Oldenburg und Delmenhorst nicht geschehen. Schließlich hätten die Kollegen über Högel Auffälligkeiten sogar untereinander gesprochen. Aber sie seien Niels Högel nicht in den Arm gefallen.

 

Kommentar

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