Deutsche Herzchirurginnen suchen mehr Verantwortung in ihrem Fach und streben einen höheren Anteil an leitenden Positionen an. Aktuell gibt es keine Frau unter den Chefärzten auf herzchirurgischen Stationen in Deutschland. Helfen soll das 2020 gegründete „Netzwerk Herzchirurginnen“, das von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) gefördert wird.
Das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bezüglich der Karriereaussichten ist im Fach Medizin besonders auffällig. 70% der Medizinstudierenden sind weiblich, aber in leitenden Funktionen im Arbeitsalltag liegt der Frauenanteil fächerübergreifend nur bei rund 10%. „In der Herzchirurgie ist der Anteil noch niedriger“, sagte PD Dr. Gloria Färber, Herz-Thorax-Chirurgin, Leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Jena, bei der 51. Jahrestagung der DGTHG [1]. Denn nur wenige Medizinstudentinnen entscheiden sich aktuell für die Herzchirurgie.
Für die jungen Kolleginnen in diesem Fach bedeutet dies: Es ist nur ein geringer Austausch untereinander möglich, und es fehlen weibliche Vorbilder. Auf chirurgischen Kongressen ist nur eine Minderheit der Chairs mit Frauen besetzt, und an wissenschaftlichen Publikationen sind Frauen deutlich seltener beteiligt als Männer, ganz besonders in der Herzchirurgie.
Dabei müssen sich Chirurginnen generell in ihren operativen Ergebnissen keineswegs hinter ihren männlichen Kollegen verstecken, im Gegenteil: In einem Vergleich des postoperativen Outcomes abhängig vom Geschlecht des Operateurs erzielten Frauen in den meisten Disziplinen, auch in der Herz-Thorax-Chirurgie, zumindest tendenziell bessere Ergebnisse als Männer. „Unterschiede im postoperativen Outcome zeigten sich vor allem, wenn Männer Frauen operierten, im Vergleich dazu, wenn Frauen Frauen operierten“, berichtete Färber.
Aufgaben des „Netzwerks Herzchirurginnen“
Vor diesem Hintergrund wurde unter dem Dach der DGHTG 2020 das „Netzwerk Herzchirurginnen“ gegründet. Als wesentliche Aufgaben nannte Färber:
den Netzwerkausbau untereinander,
die Zusammenarbeit mit ähnlichen Gruppierungen wie den „Chirurginnen e.V.“,
das Angebot von Trainingskursen und Mentoringprogrammen nur für Frauen sowie
wissenschaftliche Projekte wie die aktuelle deutschlandweite Umfrage „Frauen in der Herzchirurgie“.
Bei diesem Projekt wurde im Zeitraum November 2020 bis Januar 2021 an allen 78 deutschen Zentren zunächst die Personalzusammensetzung erhoben, anschließend wurden sowohl Herzchirurginnen als auch Abteilungsleiter zu Karrierechancen von Frauen online befragt.
Ergebnisse der Online-Befragung: Nur 13% Oberärztinnen, keine Chefärztin
Immerhin: Fast ein Viertel aller rund 2.600 medizinischen Angestellten auf diesen Stationen waren weiblich, berichtete Dr. Jasmin Hanke, Herzchirurgin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Allerdings zeigte sich ein Schereneffekt: Die Ungleichheit im Geschlechtsverhältnis nahm auf höheren Ebenen der Karriereleiter deutlich zu. Während unter dem Assistenzpersonal bis zur Facharztebene das Verhältnis von Frauen zu Männern bei etwa 1 zu 2 lag, betrug der Anteil der Oberärztinnen nur noch 13%. Chefärzte auf herzchirurgischen Stationen waren ausschließlich Männer.
„40% der Kliniken beschäftigten gar keine chirurgischen Oberärztinnen“, betonte Hanke. Dabei gab es keine Unterschiede zwischen Universitätskliniken und nicht-universitäten Zentren und auch kein Ost-West-Gefälle.
Insgesamt war die Kohorte der Herzchirurginnen laut der detaillierten Online-Befragung unter 202 Teilnehmerinnen (35% der Gesamtgruppe) sehr heterogen, berichtete Hanke. Die Mehrheit (58%) war in Weiterbildung und spezialisierte sich vor allem auf Klappen- und Aorten-Chirurgie. 26% waren nicht promoviert, 37% hatten keine Forschungstätigkeiten, obwohl sich die Mehrheit dies wünschte.
60% der Frauen hatten ein Kind, 30% 2 Kinder. 90% der Herzchirurginnen mit Kindern arbeiteten in Vollzeit. 22% gaben an, bewusst für ihre Karriere auf Kinder zu verzichten.
Bedenklich: 64% der Befragten berichteten, dass sie aufgrund ihres Geschlechts am Arbeitsplatz bereits diskriminiert worden seien, z.B. mit Worten wie „Herzchirurgie ist nichts für Frauen“ oder „Ihr Beruf und eine Familie sind nicht vereinbar“. 88% der Herzchirurginnen waren der Meinung, dass ihre Karrierechancen schlechter als die der männlichen Kollegen seien.
Hindernisse für die Karriere
Bei der Beurteilung von Hindernissen für eine erfolgreiche Karriereentwicklung von Frauen unterschieden sich die Ansichten der Herzchirurginnen von denen der Chefärzte zum Teil deutlich.
Die meisten Frauen stimmten zu, dass ihre Leistung weniger als die von männlichen Kollegen anerkannt werde und dass sie mehr Aufgaben hätten, die nicht karrierefördernd seien.
Die Chefärzte bejahten diese Fragen deutlich seltener und betonten vielmehr die geringere Qualifikation von Frauen, fehlendes Durchsetzungsvermögen und weniger Bereitschaft zur Übernahme von Führungspositionen – Punkte, die auch von den Herzchirurginnen eingeräumt wurden.
Chancen für einen Wandel
Trotz dieser Hindernisse werden Chancen für einen Wandel gesehen. „Jetzt ist die richtige Zeit für neue Ansätze in der Herzchirurgie“, zog Prof. Dr. Sabine Bleiziffer, Leitende Oberärztin der Klinik für Thorax- und Kardiovaskularchirurgie des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen, das Fazit zu ihren persönlichen Erfahrungen als Mutter und erfolgreiche Herzchirurgin.
Wichtige Bausteine seien mehr Optionen der Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und die Anpassung der Leitlinie an die Möglichkeit, in der Schwangerschaft operieren zu können.
Prof. Dr. Payan Akhyari, Herzchirurg und Stellvertretender Klinikdirektor der Klinik für Herzchirurgie am Universitätsklinikum Düsseldorf, sieht ohnehin einen Wandel der Interessen bei seinen Kolleginnen und Kollegen. Es werde mehr Teilzeitarbeit gewünscht, auch von Männern.
Hanke zog ein positives Fazit aus der DGTHG-Umfrage: „Es wird besser, der Anteil der Herzchirurginnen auf deutschen Stationen ist höher als erwartet“, sagte sie. Gesetzt wird auf den Schneeballeffekt, den die Schauspielerin Adele Neuhaus, bekannte Tatort-Kommissarin, in einem aufgezeichneten Gespräch mit Bleiziffer auf den Punkt brachte: „Je mehr sich trauen, desto leichter werden es die Nachfolgerinnen haben.“
Credits:
Lead Image: Stefano LunardiDreamstime
Medscape Nachrichten © 2022 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Traurige Zahlen – Mehrheit fühlt sich diskriminiert: So will das „Netzwerk Herzchirurginnen“ Karrierechancen von Frauen verbessern - Medscape - 23. Feb 2022.
Kommentar