„Komplett inakzeptabel“: Marburger Bund empört über Tarifangebot kommunaler Arbeitgeber – fast jeder 4. Arzt will Klinik verlassen

Christian Beneker

Interessenkonflikte

16. Februar 2022

Erschöpft und wütend – so fühlen sich tausende Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte in Deutschland derzeit. Der Bundesverband des Marburger Bundes (MB) hat in einer Ad-hoc-Umfrage seinen Mitgliedern den Puls gefühlt. Das Ergebnis ist verheerend. Nur noch 20% der 3300 befragten Mitglieder sehen ihre Zukunft „definitiv“ im Krankenhaus.

Tausende von Freitextkommentaren offenbarten zudem den Frust der Klinikärzte über das Angebot der Arbeitgeberseite in den laufenden Tarifverhandlungen.

Mit der Umfrage will der MB den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. In der Tat scheinen die Tarifverhandlungen festgefahren zu sein. Am Dienstag, den 15. Februar, haben sich der Marburger Bund und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA), zum 4. Mal vertagt.

Ärzte sehen immer häufiger Alternativen zur Anstellung im Krankenhaus

Der MB hatte zwischen dem 27. Januar und dem 7.Februar anlässlich der laufenden Tarifverhandlungen seine Mitglieder aus kommunalen Krankenhäusern befragt, die nach dem Tarifvertrag für Ärzte bezahlt werden. 3.299 Ärztinnen und Ärzte nahmen teil.

71 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Arbeitsbelastung durch die Pandemie eher zugenommen habe, bei etwa einem Fünftel (22 %) ist sei in etwa gleichgeblieben. Rund 91 Prozent der Klinikärzte fühlten sich durch ihre Arbeit regelmäßig erschöpft (31 % „immer“ und 60 % „zunehmend“), so die Ergebnisse der MB Umfrage. Fast ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte (23,5 %) in kommunalen Krankenhäusern sähe seine berufliche Zukunft außerhalb des Krankenhauses, etwa 56,5 Prozent seien noch unentschieden.

Ungewöhnlich viel Ärztinnen und Ärzte nutzten bei der Umfrage die Freitextmöglichkeit. „Wir haben 250 Seiten mit rund 2600 Kommentaren im Rahmen der Umfrage erhalten“, berichtet Hans-Jörg Freese, Pressesprecher des MB. Darin sei das Angebot der kommunalen Arbeitgeber als „absolute Frechheit“ und „bodenlose Unverschämtheit“ angesichts der enorm gestiegenen Arbeitsbelastung bezeichnet worden. In einem Kommentar habe es geheißen: „Das ist kein Angebot. Das ist ein Schlag ins Gesicht derer, die in den Kliniken die Versorgung aufrechterhalten - allen Widrigkeiten zum Trotz.“

 
Die Krankenhäuser müssen sich jetzt Gedanken machen, wie sie ihr Personal halten wollen. Hans-Jörg Freese
 

„Die Krankenhäuser müssen sich jetzt Gedanken machen, wie sie ihr Personal halten wollen“ kommentiert Freese die Umfrage-Ergebnisse. „Viele Ärztinnen und Ärzte sehen offenbar Alternativen zu ihrer Krankenhaustätigkeit. Und sie sind immer öfter bereit, den Arbeitgeber Krankenhaus zu verlassen.“

Viele angestellte Ärzte sind denn auch schon in den ambulanten Bereich gegangen. „Derzeit arbeiten schon 50.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte in Praxen, Berufsausübungsgemeinschaften oder Medizinischen Versorgungszentren (MVZ)“, so Freese zu Medscape.

Der Anteil der ambulant arbeitenden Ärzte im ambulanten Bereich steige stetig. Auch weil die jungen Mediziner mehr Wert legten auf einen geregelten Freizeitausgleich. „Das spiegelt sich dann auch in unseren Umfragen wider“, so Freese.

„Inakzeptables Angebot“

Der Marburger Bund verhandelt derzeit mit dem VKA die Tarifbedingungen der mehr als 55.000 Ärztinnen und Ärzte der kommunalen Krankenhäuser. Die zweitägigen Verhandlungen sind in der 4. Runde erneut „ohne greifbares Ergebnis“ zu Ende gegangen, wie der MB schreibt.

Die VKA indessen sieht leichte Annäherungen. Wolfgang Heyl, Verhandlungsführer der VKA, sagte: „Es ist sehr bedauerlich, dass wir nach 4 Verhandlungsrunden noch immer keinen Tarifabschluss für die Ärzteschaft an den kommunalen Kliniken erreichen konnten. Wir haben jedoch Lösungsansätze erörtert, wie wir insbesondere bei den Bereitschaftsdiensten vorankommen können.“

 
Wir haben klar gemacht, dass unsere Mitglieder substanzielle Verbesserungen ihrer Arbeitssituation erwarten. Christian Twardy
 

Der MB hat in den Verhandlungen mit Verweis auf die Umfrageergebnisse vor allem auf bessere Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern gepocht. „Wir haben klar gemacht, dass unsere Mitglieder substanzielle Verbesserungen ihrer Arbeitssituation erwarten“, sagte Christian Twardy, Verhandlungsführer des MB am Dienstag.

Dazu zähle, die Belastungsgrenzen bei den Ruf- und Bereitschaftsdiensten zu wahren, Dienstpläne nicht kurzfristig umzuwerfen sowie verbindliche Zusagen im Hinblick auf die Belastung durch Dienste außerhalb der Regelarbeitszeit. Die Arbeitgeberseite fordert, die Flexibilität der Arbeitszeiten vor allem in kleinen Krankenhäusern nicht zu stark einzuschränken.

Keine Bewegung hat sich offenbar bei den Tarifen ergeben. Das letzte Angebot der Arbeitgeberseite hatte der MB als „komplett inakzeptabel“ zurück gewiesen. Dieses sah bei einer Laufzeit von 39 Monaten zwei Entgelterhöhungen in Höhe von insgesamt 3,3 % vor, die mit einer Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.200 Euro je Ärztin und Arzt in Vollzeit kombiniert würde. Das Angebot lassen sich die kommunalen Krankenhäuser nach Angaben der VKA rund 254 Millionen Euro kosten.

In dieser Woche werde die Kleine Tarifkommission des Marburger Bundes den Verlauf der 4. Verhandlungsrunde bewerten, teil der MB mit. Für den 5. März sei eine Sitzung der Großen Tarifkommission des MB anberaumt worden, auf der „abschließende Entscheidungen“ getroffen werde sollen, wie der MB wenig missverständlich einen Streik ins Auge fasst. „Bis dahin bleiben die Gesprächskanäle offen“, erklärte aber MB-Verhandlungsführer Twardy.

 

Kommentar

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