Soziale Isolation und Einsamkeit erhöhen bei älteren Frauen in den USA das Risiko einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung um bis zu 27%. Das legen die Resultate einer prospektiven Kohortenstudie mit fast 60.000 Probandinnen im Alter zwischen 65 und 99 Jahren nahe, die in der Open-Access-Zeitschrift JAMA Network Open veröffentlicht sind [1].
„Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese weit verbreiteten psychosozialen Probleme bei der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen älterer Frauen mehr Aufmerksamkeit verdienen – insbesondere in der Ära von COVID-19“, schreiben die Forscher um Dr. Natalie Golaszewski von der Herbert Wertheim School of Public Health and Human Longevity Science an der University of California in San Diego.
Einsamkeit bedeutet Stress – und kann so Bluthochdruck auslösen
„Das ist eine gut gemachte und interessante Studie, auch wenn ihr Ergebnis natürlich nicht ganz unerwartet kommt“, kommentiert Prof. Dr. Andreas Zeiher, außerordentlicher Professor für Kardiologie am Institute of Cardiovascular Regeneration der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK), im Gespräch mit Medscape.
„Frühere Studien haben ähnliche Effekte gezeigt, die zum Teil sogar noch etwas größer waren als in der aktuellen Untersuchung, insbesondere bei Männern“, sagt Zeiher.
Man könne den Zusammenhang auch auf physiologischer Ebene erklären: „Eine Vereinsamung, egal ob sie objektiver oder subjektiver Natur ist, bedeutet für die Betroffenen eine permanente niedriggradige Stresssituation“, so Zeiher. Dadurch komme es zu Störungen in der neuroendokrinen Regulation – was unter anderem Bluthochdruck verursachen könne und Entzündungen in den Gefäßwänden hervorrufe, die wiederum zu Arteriosklerose führen könnten.
„Leider wurden die soziale Isolation und die Einsamkeit der Probandinnen nur jeweils einmal im Verlauf der Studie gemessen“, sagt Zeiher. „Da beide Probleme mit steigendem Alter meist größer werden, wäre es für noch exaktere Ergebnisse wünschenswert gewesen, die beiden Faktoren wiederholt zu bestimmen.“
Darüber hinaus bedauert der Kardiologe, dass keine Daten zum Body-Mass-Index (BMI) der Frauen vorliegen. „Diesen auch noch in die verschiedenen Modellrechnungen, die die Forscher vorgenommen haben, miteinzubeziehen, wäre sicherlich interessant gewesen“, sagt Zeiher.
Auch das Gesundheitsverhalten der Frauen wurde berücksichtigt
Golaszewski und ihr Team werteten für ihre Studie Daten der „Women's Health Initiative Extension Study II“ aus, die zwischen 2011 und 2019 erhoben worden waren. Die Teilnehmerinnen, 57.825 Frauen mit einem mittleren Alter von 79 Jahren, hatten zu Beginn der Studie noch keinen Myokardinfarkt oder Schlaganfall gehabt und litten auch nicht an koronarer Herzkrankheit.
Die soziale Isolation und die Einsamkeit der Probandinnen wurden mithilfe validierter Fragebögen erfasst:
Als sozial isoliert galt eine Frau beispielsweise, wenn sie nicht verheiratet oder in einer festen Partnerschaft war, allein lebte, nur sporadisch Kontakt zu Freunden oder Familienmitgliedern hatte und selten an gemeinsamen Aktivitäten oder kulturellen Veranstaltungen teilnahm.
Die Einsamkeit der Teilnehmerinnen wurde bewertet, indem die Frauen zum Beispiel gefragt wurden, wie oft sie sich isoliert oder von anderen ausgeschlossen fühlen würden und wie häufig es ihnen an Gesellschaft mangele.
Als primären Endpunkt der Studie formulierten Golaszewski und ihre Kollegen schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen (koronare Herzkrankheit, Schlaganfall oder Tod durch Herz-Kreislauf-Leiden), die anhand von Krankenakten ärztlich beurteilt wurden.
Bei ihrer Analyse berücksichtigten die Wissenschaftler Aspekte wie das Alter, Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Bewegung, Alkohol- und Tabakkonsum, die ethnische Zugehörigkeit, das Bildungsniveau und das Vorhandensein einer Depression oder eines Diabetes.
Zudem prüften die Forscher, ob die ebenfalls per Fragebogen erfasste soziale Unterstützung der Frauen die negativen Auswirkungen von sozialer Isolation und Einsamkeit zumindest teilweise ausgleichen konnte.
Soziale Unterstützung hat kaum einen positiven Effekt aufs Herz
Wie das Team um Golaszewski berichtet, traten im Laufe von 186.762 Personenjahren insgesamt 1.599 schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse auf. Unter Berücksichtigung der genannten Faktoren, insbesondere des Gesundheitsverhaltens und -zustands der Frauen, ermittelten die Forscher, dass das Risiko durch soziale Isolation um 8% und durch Einsamkeit um 5% erhöht war. Wurden Gesundheitsverhalten und -zustand der Studienteilnehmerinnen nicht in die Analyse miteinbezogen, lagen die entsprechenden Werte bei 18% und 14%.
Probandinnen, die stark sozial isoliert waren und sich zusätzlich sehr einsam fühlten, hatten im Vergleich zu Frauen ohne diese beiden Probleme sogar ein um 13% bis 27% höheres Risiko für das Auftreten schwerer Herz-Kreislauf-Ereignisse – je nachdem ob die Lebensstilfaktoren und Begleiterkrankungen in die Modellrechnungen miteingeflossen waren oder nicht.
Die soziale Unterstützung, die die Teilnehmerinnen erfuhren, änderte entgegen der Erwartungen der US-Wissenschaftler an den gefundenen Zusammenhängen nur wenig und wurden daher als nicht signifikant eingestuft. „Der geringe Effekt der sozialen Unterstützung liegt womöglich daran, dass diese den Frauen quasi aufgezwungen wurde – unabhängig davon, ob die daraus resultierenden Kontakte überhaupt ihren Bedürfnissen entsprachen“, vermutet der deutsche Kardiologe Zeiher.
Sozial isolierte oder einsame Frauen waren seltener körperlich aktiv
Die Mechanismen, durch die soziale Isolation und Einsamkeit mit dem Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht würden, könnten teilweise mit dem Gesundheitsverhalten der Frauen und der Veränderung ihres Gesundheitszustands zusammenhängen, schreiben Golaszewski und ihre Kollegen im Diskussionsteil ihrer Studie.
Längsschnittuntersuchungen hätten gezeigt, dass sozial isolierte oder einsame Personen häufiger rauchen und Alkohol konsumieren würden, körperlich inaktiver seien und sich schlechter ernähren würden – also viele Faktoren aufweisen, die ebenfalls mit dem Entstehen und Fortschreiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert sind.
Ihre eigene Studie habe gezeigt, dass postmenopausale Frauen mit hohen Werten für soziale Isolation und Einsamkeit mit größerer Wahrscheinlichkeit an Diabetes und Depressionen leiden würden und dass ein größerer Prozentsatz rauchen würde sowie körperlich wenig aktiv und leistungsfähig sei, so die Autoren. Dennoch würden die Resultate der Studie darauf hindeuten, dass die gefundenen Assoziationen nicht vollständig durch diese Faktoren erklärbar sind.
Es sei wichtig zu verstehen, inwieweit soziale Isolation und/oder Einsamkeit mit dem Risiko eines schlechten Gesundheitsverhaltens verbunden seien oder ob ein schlechter Gesundheitszustand vermehrt soziale Isolation und Einsamkeit nach sich zöge, schreiben die Forscher weiter. „In unserer Studie fehlten ausreichende wiederholte Messungen dieser Faktoren, um die potenzielle Bidirektionalität der Zusammenhänge zu bewerten.“
Künftige Forschungsarbeiten sollten diese Muster untersuchen, um die Dynamik der sozialen Isolation, der Einsamkeit, des Gesundheitsverhaltens, der gesundheitlichen Ergebnisse und des Auftretens von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verstehen, wünscht sich das Team um Golaszewski.
In der Pandemie gewinnt das Thema noch einmal an Bedeutung
Darüber hinaus seien Studien anzustreben, um die Effektivität verschiedener Maßnahmen zur Verringerung der sozialen Isolation und Einsamkeit und deren potenzielle Auswirkungen auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die allgemeine Lebensqualität zu bewerten, schreiben Golaszewski und ihre Kollegen.
Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten könnten dazu beitragen, konkrete Möglichkeiten zu finden, wie Personen, die sozial isoliert sind oder sich einsam fühlen, gesellschaftliche Kontakte besser pflegen können. Das National Institute on Aging empfehle beispielsweise, jeden Tag Zeit einzuplanen, um mit Familie, Freunden und Nachbarn in Kontakt zu bleiben. Darüber hinaus könne die Teilnahme an Gruppenübungen, um körperlich aktiv zu bleiben, ebenfalls ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln.
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, insbesondere in Anbetracht der weit verbreiteten Folgen der COVID-19-Pandemie für die psychosozialen Bedingungen, unterstützen die Ergebnisse unserer Studie den potenziellen Wert der Messung von sozialer Isolation und Einsamkeit in der Primärversorgung und die Überweisung älterer Frauen an psychosoziale oder kommunale Ressourcen, um die soziale Verbundenheit zu verbessern und das Gefühl der Einsamkeit zu verringern“, lautet ein Fazit der US-Forscher.
Hierzulande laufen Studien des Netzwerks Universitätsmedizin
Der Frankfurter Kardiologe Zeiher ist in diesem Zusammenhang besonders gespannt auf die Ergebnisse von Studien, die derzeit ermitteln, inwieweit sich die Folgen des pandemiebedingten Lockdowns hierzulande auf die Herzgesundheit der Bevölkerung ausgewirkt haben und noch auswirken werden.
Um diese Fragen zu klären, hat das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM), das im April 2020 als Teil des Krisenmanagements zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie gegründet wurde, Untersuchungen initiiert, in denen Assoziationen zwischen der Isolation im Lockdown und mehreren kardiovaskulären Endpunkten aufgedeckt werden sollen. Erste Ergebnisse werden für das Jahr 2024 erwartet.
Credits:
Lead Image: Katarzyna Bialasiewicz/Dreamstime
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Diesen Artikel so zitieren: Einsamkeit ist schlecht fürs Herz – ein „niedriggradiger Dauerstress“: Die Folgen zeigt eine große US-Studie mit Seniorinnen - Medscape - 14. Feb 2022.
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