Eine Sekundäranalyse der SPRINT-Studie deutet an, dass sich durch die Verordnung bestimmter Antihypertensiva das Demenzrisiko senken lassen könnte. Sowohl leichte kognitive Beeinträchtigungen (MCI) als auch Demenzerkrankungen waren bei einer Behandlung mit Antihypertensiva, die Angiotensin-II-Rezeptoren vom Typ 2 und 4 stimulieren, seltener als bei der Anwendung von Inhibitoren dieser Rezeptortypen.
„Jeder zweite Mensch hat Angst vor Demenz, die Furcht ist fast so groß wie vor Krebs“, sagt Prof. Dr. Rolf Wachter von der Klinik und Poliklinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig, im Gespräch mit Medscape. „Und die Angst ist nicht unbegründet, denn die Fallzahlen steigen und eine wirksame Therapie ist noch immer nicht gefunden.“
Angesichts der hohen Prävalenz von Hypertonie könnte schon eine kleine Reduktion des Demenzrisikos durch die Verordnung bestimmter Antihypertensiva einen messbaren Effekt auf die Gesamtlast an Demenzerkrankungen haben, schreiben die Autoren um Dr. Zachary A. Marcum vom Department of Pharmacy der University of Washington in Seattle in JAMA Network Open.
Niedriger Blutdruck hilft, aber spielt die Medikation eine Rolle?
Bekannt ist: Ein niedrigerer Blutdruck und eine striktere medikamentöse Blutdruckeinstellung sind mit einem geringeren Risiko für kognitive Beinträchtigungen assoziiert. „Unklar ist allerdings, ob bestimmte Klassen von antihypertensiven Medikamenten möglicherweise effektiver bei der Prävention von Demenz sind als andere, unabhängig von ihrem blutdrucksenkenden Effekt“, so Marcum und seine Kollegen weiter.
Tierstudien zeigen potenzielle Mechanismen auf: Das Renin-Angiotensin-System spielt eine integrale Rolle in der Pathogenese der Demenz, wobei Angiotensin-II der Hauptakteur ist. Antihypertensiva, die Angiotensin-II-Rezeptoren vom Typ 2 und 4 stimulieren, hatten bei Tieren günstige Effekte auf das Gehirn, möglicherweise durch eine verringerte Ischämie, eine bessere Durchblutung und eine Verbesserung des räumlichen Gedächtnisses.
Daten aus Beobachtungsstudien
Erste Hinweise darauf, dass ein solcher Zusammenhang existieren könnte, stammen aus kleineren Studien, etwa einer Post-hoc-Analyse der PreDIVA-Studie mit knapp 2.000 Teilnehmern: Sie zeigte, dass Antihypertensiva, die Angiotensin-II-Rezeptoren vom Typ 2 und 4 stimulieren, mit einem geringeren Demenzrisiko assoziiert waren.
Es handelte sich bei dieser Post-hoc-Analyse ebenso wie bei der aktuellen Analyse um eine Beobachtungsstudie, das heißt: „Wir wissen nicht, ob es sich um einen zufälliger oder einen kausalen Zusammenhang handelt“, betont Wachter. Allerdings basiere die Sekundäranalyse der SPRINT-Studie immerhin auf zeitgemäßeren Blutdruckzielen und umfasse deutlich mehr Teilnehmer.
SPRINT: Stimulierende, inhibierende oder gemischte Therapie
In der randomisierten SPRINT-Studie war untersucht worden, ob Über-50-Jährige mit Hypertonie und erhöhtem kardiovaskulären Risiko von einem niedrigeren Blutdruckziel profitieren (dies war der Fall gewesen!).
Zu den Antihypertensiva, die Angiotensin-II-Rezeptoren vom Typ 2 und 4 stimulieren, gehören AT1-Blocker, Dihydropyridin-Kalziumkanalblocker und Thiaziddiuretika. Zu den inhibierenden Antihypertensiva zählen ACE-Hemmer, Betablocker und Nicht-Dihydropyridin-Kalziumkanalblocker.
Von den 8.685 SPRINT-Teilnehmern, die bei der 6-Monats-Visite Antihypertensiva einnahmen, verwendeten 2.644 (30,4%) ausschließlich stimulierende Substanzen, 1.536 (17,7%) ausschließlich inhibierende Substanzen und 4505 (51,9%) ein gemischtes antihypertensives Regime.
Risikoreduktion um ein Viertel
„Die Behandlung mit einem ausschließlich stimulierenden antihypertensiven Regime war mit einem um etwa 25% niedrigeren Risiko für MCI oder Demenz assoziiert“, berichten Marcum und seine Kollegen.
Die Nachbeobachtung verlief über im Median 4,8 Jahre. In dieser Zeit kam es bei ausschließlich stimulierend behandelten Patienten zu 45 Fällen von leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Demenz pro 1.000 Personenjahren. Bei den Patienten mit ausschließlich inhibierenden Antihypertensiva waren es 59 Fälle pro 1.000 Personenjahren.
Weniger Fälle von leichter kognitiver Beeinträchtigung und Demenz
Eine getrennte Auswertung der Endpunkte leichte kognitive Beeinträchtigung und Demenz kam zu ähnlichen Ergebnissen: Eine leichte kognitive Beeinträchtigung entwickelten in der Gruppe mit stimulierenden Antihypertensiva 40 Patienten pro 1.000 Personenjahren – verglichen mit 54 Patienten in der Gruppe mit inhibierenden Antihypertensiva.
Zu einer Demenz kam es unter einer stimulierenden antihypertensiven Behandlung bei 8 Patienten pro 1.000 Personenjahren – verglichen mit 10 Patienten pro 1.000 Personenjahren unter inhibierender antihypertensiver Behandlung. Letzteres Ergebnis war statistisch nicht signifikant.
Demenz vorbeugen mit Antihypertensiva – klappt das schon?
Die Autoren um Marcum schlussfolgern, dass eine randomisierte klinischen Studie notwendig sei, um die Ergebnisse ihrer Beobachtungen zu bestätigen. Sollte sich der Zusammenhang als real erweisen, „könnten bestimmte antihypertensive Medikamente genutzt werden, um kognitivem Verfall vorzubeugen“.
So verlockend es angesichts der immer älter werdenden Gesellschaft und dem dramatischen Anstieg an Demenzerkrankungen ist: „Aktuell ist es noch zu früh, um basierend auf diesen Ergebnissen das Verordnungsverhalten in der Praxis zu ändern“, sagt Wachter.
Auch er betont die Notwendigkeit randomisierter klinischer Studien, um echte Evidenz für einen Zusammenhang zwischen bestimmten Antihypertensiva und einem niedrigeren Demenzrisiko zu generieren.
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: Schutz vor Demenz mit dem richtigen Antihypertensivum? SPRINT-Daten liefern vielversprechende Hinweise - Medscape - 14. Feb 2022.
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