Für Dr. Justin Fiala, Lungen- und Intensivmediziner an der Northwestern Medicine in Chicago, USA, waren Pinsel und Leinwand während der gesamten Pandemie ein rettender Anker.
Als einer der zahllosen Ärzte, die an vorderster Front auf der Intensivstation arbeiten, hat Fiala schreckliche Dinge erlebt, die nur schwer zu verarbeiten sind. In seinen freien Tagen entdeckte er die Katharsis und die Reflexion wieder, die ihm die Malerei in seiner Jugend verschaffte – und jetzt umso mehr.
Fialas Arbeit bietet eine Linse, durch die er COVID-19 betrachtet. Für ihn sind seine Gemälde eine Möglichkeit, um die letzten Jahre mit ihren verheerenden Folgen für Ärzte, Pflegekräfte und Patienten emotional zu verarbeiten. Als jemand, der sowohl mit tödlichen Krankheiten als auch mit Kunst vertraut ist, glaubt Fiala, dass Malerei dabei helfen kann, Tragödien zu verstehen und zu verarbeiten.
In diesem Sinne schenkte er der Intensivstation des Northwestern ein Gemälde mit dem Titel „Many Moons“ („Viele Monde“). Er widmete es all den medizinischen Fachkräften, die tagtäglich ihr Leben riskieren, um Patienten zu versorgen.

Dr. Justin Fiala vor „Many Moons“, einem Gemälde, das er zu Ehren seiner Kollegen geschaffen hat.
„In vielen Kulturen und Epochen hat die Kunst eine Schlüsselrolle bei der öffentlichen Wahrnehmung tödlicher Krankheiten gespielt“, so Fiala. „Ich vermute, dass es auch bei uns irgendwann Kunstwerke geben wird, die kollektiv als Sinnbild der COVID-19-Ära angesehen werden, auch wenn man nicht weiß, in welcher Form.“
Das Gemälde, an dem der Arzt momentan arbeitet, „Self Portrait: Cannulated and Intubated“ („Selbstporträt: Durchbohrt und intubiert“), zeigt eine Figur, die inmitten abstrakter Farbflächen liegt. „Es waren die Linien, die die Wangenknochen bilden, die zuerst an eine menschliche Form erinnerten“, erzählt er Medscape. „Sobald das Gesicht in den Fokus rückte, erinnerten die Linien, die zum Mund hin verlaufen, an einen Endotrachealtubus.“ Fiala thematisiert damit lebensbedrohliche Krankheiten und fehlende Autonomie auf einer Intensivstation.

Momentan arbeitet Fiala an dem Werk Self Portrait: Cannulated and Intubated.
Der Arzt besuchte als Kind Kunstkurse, aber sein Hobby lag einige Jahre auf Eis, als er im College war und später sein Medizinstudium bzw. seine Assistenzzeit absolvierte. Wie jeder Künstler kämpfte auch Fiala mit seiner Arbeit und mit der Frage, ob sie wirklich „gut genug“ sei.
„In der heutigen, von Social Media geprägten Welt glaube ich, dass es ein Trugschluss ist, dass nur Kunstwerke, die 'Insta-würdig' [bezogen auf Instagram] sind oder wahrscheinlich Tausende von Likes auf sozialen Netzwerken erhalten, als wertvoll gelten“, sagt er. „Da ich schon früh mit dieser besonders toxischen Denkweise zu kämpfen hatte, hoffe ich, dass ich alle anderen, die durch ähnliche Gefühle entmutigt wurden, inspirieren kann, weiter künstlerisch aktiv zu sein, unabhängig von der öffentlichen Reaktion.“
Fiala: „Sobald ich Spaß am Experimentieren ohne Angst vor Konsequenzen hatte, wurde aus dem anfänglichen Frust bei der Professionalisierung meiner Fähigkeiten schnell Freude.“ Ähnlich wie in der medizinischen Ausbildung schien es der Schlüssel zu sein, zu vertrauen, dass der Prozess erfolgreich läuft – anstatt immer nur an das Ziel zu denken.
Obwohl Fialas Gemälde derzeit nicht zum Verkauf stehen, stellt er momentan eine Sammlung seiner Werke zusammen, um sie künftig in Galerien zu präsentieren und zu veräußern.

Fialas heimisches Atelier. Seine Bilder stehen derzeit nicht zum Verkauf, aber er stellt derzeit eine Sammlung seiner Werke zusammen, um sie professionell auszustellen und zu veräußern.
Laut Fiala zeichne sich die bildende Kunst durch einzigartige Flexibilität aus, da sie Interpretationen den Menschen überlasse. „Ohne Worte“, sagt er, „kann der Betrachter seine eigene Geschichte erschaffen, und ich glaube, dass er so eine engere Verbindung zu einem Werk aufbauen kann. Als Künstler ist es mein Ziel, den Betrachter zu Szenen und Ideen zu führen, die ich interessant oder relevant finde, und ihn die persönliche Bedeutung des Werks für ihn selbst bestimmen zu lassen.“
Einen Großteil der Inspiration für seine Kunst bezieht er von seinen Patienten, von Kollegen und von Erfahrungen auf der Intensivstation.
„Meine Patienten liegen mir sehr am Herzen“, sagt er. „Genauso wichtig sind mir meine Kollegen auf der Intensivstation – Fachärzte, Pflegekräfte, Apotheker, Atemtherapeuten, Sozialarbeiter und so weiter. Als Leiter eines Teams auf der Intensivstation ist es mein Ziel, niemanden, ob Patient oder Teammitglied, ohne Unterstützung zu lassen.“

Aquarellmalerei von Fiala: eine chirurgische Maske.
„Interprofessionellen Unterstützung ist Inspiration für meine Gemälde, um Licht auf das Engagement des Gesundheitspersonals in einer zunehmend barbarischen Welt zu werfen, quasi als Leuchtfeuer der Zivilisation“, erklärt Fiala.
„Vor allem hoffe ich, dass meine Kunstwerke all den Beschäftigten im Gesundheitswesen Hoffnung geben – und wenn nicht Hoffnung, dann zumindest ein Gefühl der Dankbarkeit“, sagt der Arzt. Sie würden weiterhin das Beste von uns verkörpern, während ein Großteil der Gesellschaft sich damit begnüge, das Schlimmste zu repräsentieren.
Obwohl die Kunst für Fiala ein Ventil darstellt, war und ist sie kein Allheilmittel. „Aber in Verbindung mit sozialer Unterstützung, Therapie und anderen Maßnahmen zur Verbesserung meines psychischen Wohlbefindens hat sie mir geholfen, meine Emotionen zu verarbeiten und mein Wohlbefinden zu verbessern.“
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Credits:
Images: Dr Justin Fiala
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Diesen Artikel so zitieren: Malen, um Belastendes zu verarbeiten: So hat ein US-Intensivmediziner auf die COVID-19-Pandemie reagiert - Medscape - 11. Feb 2022.
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