Vorsicht bei Rheumatherapie: Höheres Risiko für Krebs und schwere Herzprobleme durch Tofacitinib versus TNF-Blocker

Dr. Bianca Bach

Interessenkonflikte

10. Februar 2022

Neue Sicherheitsdaten belegen: Ältere Menschen mit Rheumatoider Arthritis (RA) und zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren haben unter Einnahme des Januskinase(JAK)-Inhibitors Tofacitinib im Vergleich zu Tumornekrosefaktor(TNF)-alpha-Inhibitoren ein höheres Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (major adverse cardiovascular events, MACE) und bösartige Tumorerkrankungen [1]. Dies belegen Daten der im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie Oral Rheumatoid Arthritis Trial (ORAL) Surveillance.

 
Für Raucher und für über 65-Jährige gilt ganz offensichtlich …, dass die kardiovaskulären Ereignisse häufiger sind. Prof. Dr. Klaus Krüger
 

„Die häufigsten MACE-Fälle waren nicht-tödliche Myokardinfarkte unter Tofacitinib und nicht-tödliche Schlaganfälle unter TNF-Inhibitoren“, so Studienautor Prof. Dr. Steven R. Ytterberg, Rheumatologie, Mayo Clinic, Rochester, USA. Während unter TNF-Inhibitoren bei den Malignomen Brustkrebs am häufigsten beobachtet wurde, war es unter Tofacitinib Lungenkrebs.

„Das ist ein Grund zur Sorge und zur Vorsicht im Hinblick auf seinen gegenwärtigen und zukünftigen Gebrauch in der Behandlung bei Rheumatoider Arthritis“, schreibt Prof. Dr. Jasvinder A. Singh, Veterans Affairs Medical Center in Birmingham, USA, im Kommentar [2].

Risiko nicht verallgemeinern

Der Rheumatologe und Epidemiologe weist ausdrücklich darauf hin, dass die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf jüngere Patienten oder Ältere ohne zusätzliche kardiovaskuläre Risikofaktoren übertragen werden können.

„Die Risikoerhöhung ist für bestimmte Risikogruppen gefunden worden“, betonte auch Prof. Dr. Klaus Krüger, Mitverfasser der deutschen S2e-Leitlinie zur Therapie der RA mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten. „Für Raucher und für über 65-Jährige gilt ganz offensichtlich – und das lässt sich anhand der Daten auch nicht wegdiskutieren –, dass die kardiovaskulären Ereignisse häufiger sind“, sagte der in München niedergelassene Rheumatologe beim 37. Wintersymposium der Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Asklepios Klinikum, Bad Abbach.

 
Das ist ein Grund zur Sorge und zur Vorsicht im Hinblick auf seinen (Tofacitinibs) gegenwärtigen und zukünftigen Gebrauch in der Behandlung bei Rheumatoider Arthritis. PProf. Dr. Jasvinder A. Singh
 

Es sei vor allem das Malignom-Risiko unter Tofacitinib, „was einem ein bisschen Unbehagen verschafft und im Moment nicht einzuschätzen ist“, so Krüger. Dazu bedarf es hoher Patientenzahlen und vor allem Zeit. „Da brauchen Sie ja Registerdaten, möglichst über einen Zeitraum von 10 Jahren“, sagt er im Gespräch mit Medscape. „Das werden wir noch lange nicht ganz sicher wissen.“

Rund 4.500 Patienten

Die aktuelle Post-Marketing-Studie zur Sicherheitsüberwachung hatte die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) eingefordert. Die Teilnehmer waren über 50 Jahre alt, hatten unter Methotrexat (MTX) weiter eine aktive RA und mindestens einen zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktor.

Primäre Endpunkte waren MACE und Krebserkrankungen. Nicht-Melanom-Hautkrebs (non-melanoma skin cancer, NMSC) war hier ausgenommen, wurde aber als sekundärer Endpunkt berücksichtigt.

1:1:1 randomisiert wurden sie offen im Median 4 Jahre lang behandelt. 1.455 erhielten 2-mal täglich 5 mg Tofacitinib, entsprechend der üblichen Dosis bei RA und Psoriasisarthritis. 1.456 bekamen 2-mal täglich 10 mg. Diese Dosierung ist in Deutschland der initialen und bei Bedarf auch der Erhaltungstherapie bei Colitis ulcerosa vorbehalten. Die 3. Gruppe mit 1.451 Patienten erhielt einen TNF-Inhibitor. In Nordamerika war das Adalimumab und in den übrigen Ländern Etanercept.

Risiko bei Über-65-Jährigen besonders hoch

Grundannahme der Nicht-Unterlegenheitsstudie war, dass die Obergrenze des Konfidenzintervalls für das MACE- und Krebs-Risiko unter Tofacitinib, beide Dosierungen zusammengenommen, nicht mindestens 1,8-mal höher wäre als unter TNF-Inhibitoren.

Erreicht wurde das nicht. Im Vergleich ergab sich für Tofacitinib ein Risiko von 1,33 (95%-Konfidenzintervall: 0,91-1,94) für MACE und 1,48 (1,04-2,09) für Krebs. Die jeweiligen Inzidenzen lagen für den JAK-Inhibitor bei 3,4% und 2,9% und für die TNF-Hemmer bei 2,5% und 2,9%. Besonders ausgeprägt waren die Unterschiede bei den Über-65-Jährigen.

Unterschiede zwischen den Tofacitinib-Dosierungen gab es bei den Krebserkrankungen nicht. Für MACE war das Risiko unter 2-mal 10 mg um 15% höher als unter 2-mal 5 mg. Mit Tofacitinib Behandelte wiesen höhere Lipidspiegel auf als die Vergleichsgruppe.

Wirksamkeit von Tofacitinib und TNF-Blockern gleich gut

Die Inzidenzen für opportunistische Infektionen insgesamt, Herpes zoster allein sowie für NMSC waren unter Tofacitinib höher. Schwere Infektionen waren unter der 10mg-Dosis um 48% häufiger als unter TNF-Blockern.

Als auffiel, dass in der 10-mg-Gruppe mehr Menschen starben als unter TNF-Inhibitoren, wurde diese Dosierung im Februar 2019, knapp 5 Jahre nach Einschluss des ersten Patienten, bis zum Studienende im Juli 2020 auf die niedrigere Dosis umgestellt. Bei den Todesursachen dominierten MACE, es starben aber im Vergleich auch mehr Menschen an Lungenembolien.

Die Wirksamkeit, gemessen am Simple Disease Activity Index (SDAI) und Health Assessment Questionnaire-Disability Index (HAQ-DI), war in allen 3 Gruppen gleich und blieb ab dem 2. Behandlungsmonat bis zum Studienende erhalten.

Insgesamt weist das Nutzen-Risiko-Verhältnis in der Studie zu Ungunsten des JAK-Inhibitors. Behandelt man 113 beziehungsweis 55 Patienten aus dem Risikokollektiv über 5 Jahre mit 2-mal 5 mg/d Tofacitinib anstatt mit einem TNF-Blocker, ist rechnerisch 1 zusätzlicher Todesfall zu erwarten.

Ein Klasseneffekt ist nicht abzuleiten

„Zu den Stärken der Studie gehört eine große Patientenkohorte, die über bis zu 6 Jahre nachbeobachtet wurde“, so Ytterberg. Das entspricht nahezu 16.500 Patienten-Jahren mit entsprechender Medikamentenexposition.

„Im Hinblick auf Alter und Geschlecht waren die Patienten in unserer Studie generell repräsentativ für die breitere Patientenpopulation in Studien zur Rheumatoiden Arthritis“, so Ytterberg weiter.

Allerdings erhielten sie zusätzlich nur weiter MTX. Kontrollgruppen mit anderen Disease Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs) oder ohne spezifische Therapie fehlten. Unterschiede zwischen Adalimumab und Etanercept wurden nicht analysiert. So bleibt unklar, ob die Risiken spezifisch für die Studienpopulation oder für Tofacitinib sind, oder ob sie auch für andere JAK-Inhibitoren gelten.

Bei Annahme eines Klasseneffekts schiebe man laut Krüger „völlig beiseite, dass es sehr wohl deutliche Unterschiede gibt“. Etwa bei Molekülstruktur und JAK-Selektivität. „Schon allein in der Verstoffwechslung und Ausscheidung gibt es sehr deutliche Unterschiede.“ All das könnte eine Rolle spielen.

Indem sie ihre Warnhinweise im Hinblick auf MACE aufgrund der Studie auf die gesamte Medikamentenklasse ausgeweitet hat, sei die FDA „weit über das Ziel hinausgeschossen“, meint Krüger. „Es gibt bis jetzt nicht das geringste Signal, dass das berichtigt wäre.“ Während für Baricitinib eine vergleichbare Langzeit-Sicherheitsstudie laufe, deren Ergebnisse erst 2025 zu erwarten seien, sind die anderen Substanzen noch zu kurz auf dem Markt.

Außerhalb von ORAL Surveillance gebe es für Tofacitinib keine vergleichbaren Risiko-Hinweise. Die Besonderheit vermutet Krüger in der Patientenselektion: „Das, was bisher an Real-Life-Daten vorhanden ist, zeigt solche Signale nicht.“

Unterschied wegen kardioprotektiver Wirkung der TNF-Blocker?

RA-Patienten haben im Vergleich zur Normalbevölkerung per se ein erhöhtes Risiko für Malignome und thromboembolische kardiovaskuläre Ereignisse. Letzteres korreliert mit der Krankheitsaktivität und wird durch die Therapie verbessert.

Auch bei ORAL Surveillance dürfte sich das ausgewirkt haben. Krüger: „Bei den kardiovaskulären Ereignissen war das vermutlich zum guten Teil auch der positive Effekt der TNF-Inhibitoren, der den Unterschied hervorgerufen hat, und nicht so sehr ein negativer Effekt von Tofacitinib.“

Das vermutet auch Singh, wenngleich es sich aus der Studie nicht ableiten lasse. „Allerdings ändert es nicht die Risiko-Nutzen-Analyse, wenn es darum geht, unter Berücksichtigung des MACE-Risikos zwischen den beiden Medikamenten zu wählen.“

Pragmatisch gibt Krüger Risikopatienten mit Indikation zur Zweitlinientherapie zunächst einen TNF-Blocker. „Nur wenn der nicht funktioniert, kommen die JAK-Inhibitoren als Möglichkeit in Betracht.“

Was tun bei Krebserkrankung in der Vorgeschichte?

Ähnlich hält er es bei Malignom-Anamnese. Tofacitinib würde er einem solchen Patienten derzeit nicht geben. „Aber das würde ich bisher, nachdem es keinerlei derartige Signale gibt, nicht auf die anderen JAK-Inhibitoren ausdehnen.“

Die Sorge, durch die Immunmodulation Entstehung oder Wachstum von Tumoren zu begünstigen, ist nicht neu: „Wir haben ja im Grunde ewig lang Angst vor Malignomen bei TNF-Inhibitoren gehabt.“ Nach 10-15 Jahren habe man dann allmählich so viele Daten gewonnen, um die Bedenken ausräumen zu können. „Und so lange wird es bei den JAK-Inhibitoren auch dauern.“

„Langfristige bevölkerungsbasierte Studien sind nötig, um das Krebsrisiko bei Patienten mit Rheumatoider Arthritis zu untersuchen, inwieweit es der Rheumatoiden Arthritis, DMARDs oder Begleiterkrankungen zuzuschreiben ist, und um zu untersuchen, ob das Krebsrisiko sich je nach DMARD-Typ unterscheidet“, so auch Singh.

Unklar ist, warum unter Tofacitinib mehr Malignome auftreten sollten. Krüger: „Das kann man vom Wirkmechanismus und von den immunologischen Abläufen einfach nicht erklären.“

Nutzen-Risiko-Abwägung ist zentral

In den USA wurden in den Fachinformationen die Indikationen für die dort zugelassenen JAK-Inhibitoren – Tofacitinib, Baricitinib und Upadacitinib – von unzureichendem Ansprechen auf MTX in unzureichendes Ansprechen auf einen TNF-Blocker geändert. In Deutschland, wo zusätzlich Filgotinib zugelassen ist, fußt sie weiterhin auf unzureichender Krankheitskontrolle unter DMARDs wie MTX. Daten aus ORAL Surveillance sind aber in die Fachinformation von Tofacitinib eingegangen.

Wichtig ist, Nutzen und Risiko sorgfältig abzuwägen. „Ich bespreche das mit den Patienten“, so Krüger. Das gilt besonders auch für Risikopatienten, die bereits Tofacitinib bekommen, und deren RA darunter gut kontrolliert ist. Man könne die Therapie bei einem solchen Patienten nicht einfach ohne Aufklärung und gemeinsame Therapieentscheidung weiterlaufen lassen, so Krüger. „Das wäre auch juristisch gesehen etwas problematisch.“

Gute Krankheitskontrolle senkt auch Risiken

Letztlich muss man aber auch die Erkrankung in Schach halten. „Bei Rheumatoider Arthritis mit einem wirksamen DMARD zu behandeln, ist von entscheidender Bedeutung“, betont Singh.

Darum schreibt Krüger einen JAK-Inhibitor auch bei Risikopatienten nicht gänzlich ab: „Wenn er nötig ist, würde ich das nicht als Grund sehen, komplett darauf zu verzichten.“ Zumal es in keiner Fachinformation, auch nicht bei Tofacitinib, als Kontraindikation formuliert sei. Eine gute Krankheitskontrolle senkt letztlich auch wieder das kardiovaskuläre Risiko. Und die lasse sich mit JAK-Inhibitoren zweifelsohne erzielen.

 

Kommentar

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