2 neue Gesetze könnten bei der Suizidprävention in Seniorenheimen helfen. Es handelt sich um die gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase (§ 32g SGB V), ein Beratungsangebot der Pflegeheime, und die Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken durch einen Netzwerkkoordinator (§ 39d SGB V).
Der neue § 132g SGB V unterstützt bei der vorausschauenden Planung zum Lebensende, die die Einrichtungen zu Lasten der Krankenkassen anbieten können. „Wenn dies flächendeckend gemacht wird, wird die Aufklärung der Bewohner sowohl über die Möglichkeiten des Suizids als auch die der palliativen Versorgung besser. Viele Bewohner mit Sterbewunsch dürften erstaunt darüber sein, was an Begleitung im Leben alles möglich ist,“ ist sich Melching sicher.
Auch das Gesetz zur Förderung der regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerke nach § 39d SGB V könnte die palliative Versorgung in Pflegeheimen voranbringen. Laut Gesetz sollen die Krankenkassen und die Kommunen je 15.000 Euro pro Antragsteller für die Organisation möglicher Partner zahlen. Melching: „Wo sich gute Palliativnetzwerke und zum Beispiel Pflegeeinrichtungen koordiniert zusammenschließen, da kann bessere Palliativversorgung und Suizidprävention entstehen.“
Heiner Melching, Geschäftsführer der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sieht in den neuen Gesetzen die Chance, „die Tür einen Spalt breit aufzudrücken zu einer besseren Palliativversorgung und damit einer besseren Suizidprävention in den Pflegeheimen“.
Hohe Suizidrate bei Älteren
Überdurchschnittlich viele alte Menschen in Deutschland sterben durch Suizid: 35% aller Suizide werden von über 65-Jährigen begangen. Das sind im Jahr 20 von 100.000 Menschen, so die Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Zum Vergleich: Bei den unter 25-Jährigen begehen 2,9 von 100.000 Einwohnern Suizid.
Die Zahlen legen nahe, dass auch oft Bewohner von Senioren- und Pflegeheimen betroffen sein dürften – und zwar nicht nur bei der Zahl der ausgeführten Suizide, sondern auch der Wünsche nach assistiertem Suizid, wie er seit Februar 2020 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Deutschland legal möglich ist.
Sterbehilfeverein fordert von Seniorenheimen, die Hausordnung zu ändern
Jakub Joros, Geschäftsführer des Vereins Sterbehilfe, erklärt, es gebe keine soliden Zahlen darüber, wie viele Seniorenheimbewohner begleitet sterben wollen oder begleitet gestorben sind. Allerdings kennt er die Zahlen seines Vereins. So haben sich im vergangenen Jahr von den 13.000 Mitgliedern des Vereins 130 Menschen per assistiertem Suizid das Leben genommen, „6 von ihnen lebten in Pflegeheimen“, so Joros zu Medscape. In Norddeutschland starb im Sommer 2020 mit einem 83-jährigen Mann ein erster Seniorenheimbewohner per assistiertem Suizid, so die Zahlen des Vereins Sterbehilfe
Die relativ geringe Zahl der assistierten Suizide in Seniorenheimen führt Joros darauf zurück, dass es in vielen Heimen keine Möglichkeit zum assistierten Suizid gebe. „Den Betroffenen in ihrem letzten Zuhause die Ausübung ihres Grundrechts vorzuenthalten, ist nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vereinbar“, so Joros zu Medscape. „Heimträger und deren Mitarbeiter können zwar entscheiden, dass sie keine Suizidhilfe anbieten und sich auch nicht daran beteiligen. Bewohnern von Pflege- und Seniorenheimen muss die Ausübung ihres Rechts auf Inanspruchnahme von Suizidhilfe jedoch auch innerhalb der Einrichtung garantiert sein.“
Deshalb fordert der Verein Sterbehilfe von den Wohn- und Pflegeheimen, ihre Hausordnungen zu ändern und die begleiteten Selbsttötungen zu dulden. „Ärztinnen und Suizidhelfern muss der Zugang zu Bewohnerinnen und Bewohnern auch zum Zweck der Suizidhilfe möglich sein, wenn diese es wünschen. Zu verlangen, dass Menschen ihr letztes Zuhause verlassen müssen, um anderenorts eine Suizidhilfe in Anspruch nehmen zu können, ist unmenschlich“, so Joros zu Medscape.
In Pflegeheimen fehlt die palliative Versorgung
Auch DGP-Geschäftsführer Melching kennt keine soliden Zahlen über Suizidwünsche in Pflege- und Wohnheimen. Aber die Suizidrate im Alter sei sehr hoch, so Melching. Das habe auch damit zu tun, ob das Leben für die Menschen noch einen erfahrbaren Wert habe.
Er spricht sich deshalb entschieden gegen die vorschnelle Erfüllung der Wünsche nach dem begleiteten Suizid im Pflegeheim aus. Denn die meisten Menschen, die sich den Tod wünschen, wissen nicht, was ihnen das Leben noch geben könne.
Melching bestätigt die Versorgungslücke an Palliativmedizin für die Senioren in Pflegeheimen, an einer Versorgung also, die die Patienten ihre Todeswünsche vielleicht vergessen machen kann. „Die Ursache für Suizidwünsche in Pflegeheimen ist oft die unzureichende Versorgung mit Palliativmedizin“, sagt Melching zu Medscape. „Das beginnt mit der Unsicherheit und Unkenntnis der Pflegenden. Und es endet für Sterbenskranke im Falle der Verschlechterung ihres Zustandes oft mit einer Fahrt im Rettungswagen auf die Intensivstation. Auch Rettungsdienste und Intensivmediziner handeln dann in Automatismen.“
Da wäre eine angemessene palliative Versorgung oft weit besser, meint Melching. Dabei gehe es nicht nur um gute Schmerztherapie, sondern auch um Fürsorge und Wertschätzung. „Ich sehe hier einen großen Bedarf.“
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Diesen Artikel so zitieren: Suizidprävention in Pflegeeinrichtungen: 2 neue Gesetze könnten sie verbessern - Medscape - 9. Feb 2022.
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