Lohnen sich Faktenchecks gegen Fake News bei COVID-19? Sie wirken, aber leider weniger als erhofft

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

9. Februar 2022

Facebook, Twitter & Co. – die sozialen Netzwerke sind voll mit Falschinformationen zu COVID-19. Widerspruch ist nicht nur geboten, sondern offenbar auch effektiv: Die Ergebnisse einer in Nature Human Behaviour erschienenen Studie zeigen, dass Faktenchecks Falschwahrnehmungen tatsächlich korrigieren können [1].

Brendan Nyhan vom Department of Government am Dartmouth College, New Hampshire, und Kollegen hatten Probanden aus den USA, aus Großbritannien und aus Kanada befragt und ihnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten Faktenchecks zu Falschbehauptungen über COVID-19 vorgelegt. Im Anschluss bewerteten die Befragten wahre und falsche Aussagen zu COVID-19.

Dabei konnten Probanden, die Faktenchecks zu bestimmten Falschbehauptungen gelesen hatten, Fake News häufiger entlarven. Allerdings zeigte sich dieser Effekt einige Wochen später kaum noch.

Nyhan und Kollegen fanden auch keine Evidenz für Übertragungseffekte auf andere Falschwahrnehmungen zu COVID-19. Vielmehr änderte sich die Meinung der Befragten nur zu den konkreten Themen, die in Faktenchecks behandelt wurden. Auch die Wiederholung von Faktenchecks nach einigen Wochen erhöhte ihre Wirkung nicht.

Nicht wirkungslos, aber auch keine Wunderwaffe

„Die Studie bestätigt: Faktenchecks sind nicht wirkungslos, aber auch keine Wunderwaffe im Kampf gegen Misinformation”, kommentiert Prof. Dr. Christian Hoffmann vom Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Leipzig die Studienergebnisse. „Faktencheck-Texte können den Glauben an Fehlinformationen bei den Lesern deutlich reduzieren”, bestätigt Dr. Sabrina Heike Kessler vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Das zeigten auch Meta-Studien

 
Die Studie bestätigt: Faktenchecks sind nicht wirkungslos, aber auch keine Wunderwaffe im Kampf gegen Misinformation. Prof. Dr. Christian Hoffmann
 

Nach Einschätzung von Dr. Lena Frischlich, Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin an der Universität Münster, zeige die Studie auch, dass Faktenchecks zu einer Anpassung der eigenen Einschätzung an die Einschätzung der Faktenchecks führten.

Allerdings ist diese Anpassung nicht sehr stabil, wird die ‚richtige‘ Antwort nicht ins Bewusstsein gerufen, pendelt sich die Bewertung der Fehlinformationen wieder auf ihrem vorherigen Niveau ein. Greift man auf die Schule als Metapher zurück, stellt sich die Frage, ob durch die Faktenchecks wirklich ein Lernen stattfindet oder lediglich vorgesagt wird, was die richtige Antwort ist.“

Fehlinformationen lassen sich nicht einfach überschreiben

Hoffmann gibt zu bedenken, dass es sich um eine Experimentalstudie handelt: „Die größten Effekte zeigen sich unter relativ künstlichen Laborbedingungen. Je lebensnäher die untersuchte Nutzungssituation ist, desto geringer sind die nachweisbaren Effekte”, sagt Hoffmann. Man müsse also davon ausgehen, dass die kurzfristigen Effekte von Faktenchecks im Alltag kleiner sind als in der Studie gezeigt. Auch Effekte von Faktenchecks auf die Einstellungen oder das Verhalten der Rezipienten seien kaum nachweisbar.

Bekannt ist aus der Forschung ebenfalls, dass sich der Effekt der Fehlinformation durch eine Korrektur nicht vollständig und langfristig eliminieren lässt. Das Phänomen wird als „continued influence effect“ der Fehlwahrnehmung bezeichnet. Mit der Zeit werde dieser Effekt leider auch stärker: „Die alte Weisheit stimmt: Etwas Dreck bleibt immer hängen. Und Fehlwahrnehmungen beeinflussen entsprechend oft trotz einer Korrektur weiter das Denken und Handeln von Menschen”, bestätigt Kessler. 

 
Fehlwahrnehmungen beeinflussen … oft trotz einer Korrektur … das Denken und Handeln von Menschen. Dr. Sabrina Heike Kessler
 

Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie an der Universität Duisburg-Essen, hebt hervor, wie schwierig es ist, den seit den 90er Jahren bekannten contiued influence effect zu überschreiben: „Selbst, wenn die betroffenen Personen die neue, korrigierte Information glauben, bleibt die ursprüngliche Information bei späteren Abfragen präsenter, da sie in die Wissensstrukturen plausibel eingebaut wurde.“ Sie betont, dass die korrigierende Information nur dann erfolgreich sein könne, wenn sie an die bestehenden Wissensstrukturen „so gut andockt – zum Beispiel durch höhere Plausibilität, Möglichkeit der Vernetzung mit bestehendem Wissen –, dass die alte (falsche) Information dann doch langfristig überschrieben wird“.

„Impfung gegen Fehlinformationen“ funktioniert am besten

„Aber grundsätzlich ist jeder Widerlegungsversuch besser als gar kein Widerlegungsversuch”, sagt Kessler. Es sei wichtig, die Verbreitung von Falschmeldungen von Beginn an einzudämmen. „Sind Falschwahrnehmungen einmal im Kopf eines Menschen, sind sie dort relativ stabil verankert und nicht wieder vollständig zu beseitigen. Man benötigt dann im Nachhinein spezifische Widerlegungsstrategien, die voraussetzen, dass diese Widerlegungstexte dann auch von den Menschen aufmerksam gelesen, verarbeitet und abgespeichert werden.” Gute Faktenchecks, so Kessler, nutzten effektive Widerlegungsstrategien und seien eine wertvolle Ressource.

Die Forschung zeige aber auch, dass eine vorherige „Impfung gegen Fehlinformationen“ noch effektiver sei als die Bekämpfung der Fehlwahrnehmung im Nachhinein, berichtet Kessler. Dabei geht es darum, Menschen die Risiken von verbreiteten Fehlinformationen vor Augen zu führen und gleichzeitig eine präventive Widerlegung vorzunehmen. „Das verbessert dann auch ganz allgemein deren Kompetenz, Fehlinformationen zu erkennen”, sagt Kessler.

Durch die Korrektur von Fehlwahrnehmungen entstehe praktisch eine Lücke im Kopf: „Man nennt das in der Psychologie eine Lücke im mentalen Modell. Diese entstandene Lücke muss geschlossen werden, damit die Fehlinformation hier keinen Platz mehr hat. Eine Widerlegung kann dabei faktenbasiert, logikbasiert oder quellenbasiert sein”, sagt Kessler.

Erklärt werden sollte auch, warum eine Falschnachricht überhaupt existiert und gestreut wird. „Idealerweise ist die Erklärung wissenschaftlich gesicherter und plausibler als die Falschnachricht und wird kurz und leicht verständlich kommuniziert”, so Kessler. Ein kontinuierliches Widerlegen hält sie vor allem im Kontext von COVID-19 für wichtig. „Dass wir es in Deutschland trotz vorhandenem Impfangebot nicht zu einer Herdenimmunisierung geschafft haben, das liegt auch an verbreiteten Fehlwahrnehmungen der Menschen.”

Zuverlässige Informationen stärker verbreiten

Hoffmann erinnert daran, dass nach der aktuellen Studienlage die Verbreitung von Misinformation „insgesamt gering” sei. Die Annahme, dass Nutzer im Netz zufällig auf eine Misinformation stießen und dann stark davon beeinflusst würden, sei kaum begründet.

„Misinformation wird vor allem von solchen Menschen gesucht und verbreitet, die damit ihr Weltbild bestärken und andere überzeugen oder kritisieren wollen. Gerade diese kleine entschlossene Gruppe zeigt sich jedoch besonders resistent gegen Faktenchecks”, erklärt Hoffmann. Wichtiger als die Korrektur einzelner Misinformationen durch Faktenchecks sei daher, „dass zuverlässige Informationen weiterhin die deutlich höhere Verbreitung finden”, betont Hoffmann.

Es gibt Evidenz, dass Menschen davon absehen, Misinformation zu verbreiten, wenn man sie auffordert, die Zuverlässigkeit der vorliegenden Information zu überdenken. Hinweise legen auch nahe, dass die Wirksamkeit von Faktenchecks gesteigert werden kann, wenn an die Werte derjenigen appelliert wird, die korrigiert werden sollen. „Das geschieht in der Praxis zu selten”, sagt Hoffmann.

Perspektive für weitere Studien

Die Wirkung von Faktenchecks sollte noch genauer untersucht werden, meint Frischlich: „Findet tatsächlich eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Fakten, also ein Lernen statt oder werden Faktenchecks eher als short-cuts genutzt, um Informationen zu bewerten, die auch grade präsent sind?“, lautet die Frage. „Außerdem müssen wir noch besser verstehen, wie wir diesem Verblassen von Faktenchecks entgegenwirken können.“

Die Bedeutung der Verfügbarkeit von korrekten Informationen im Netz dürfe nicht unterschätzt werden, so Frischlich. „Auch wenn die Studie diesen Aspekt nicht betont, kommt es auch darauf an, wie Faktenchecks aufgebaut sind. Das Debunking Handbook liefert praxisnahe Tipps, wie das gelingen kann.“

 

Kommentar

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