Das Blutzuckermanagement bei Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes ist eine Herausforderung. Ein System zur Automatisierten Insulin-Dosierung (AID) kann im Vergleich zu einer sensorunterstützten Pumpentherapie die glykämische Kontrolle verbessern, ohne das Risiko für Hypoglykämien zu erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine randomisierte Crossover-Studie mit Kindern aus Österreich, Deutschland, Luxemburg und dem Vereinigten Königreich [1].
„Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes stehen in Deutschland bereits 3 AID-Systeme zur Verfügung, bei Kleinkindern sind sie aber noch die Ausnahme“, berichtet Dr. Bernhard Gehr, Oberarzt an der Abteilung Innere Medizin am Diabetes- und Stoffwechselzentrum der m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn. „Mehr als 90% von ihnen werden mit einer sensorgestützten Pumpentherapie behandelt.“
CE-zertifiziert ab dem 2. Lebensjahr
In der im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie wurde ein von der Universität Cambridge entwickeltes AID-System – auch als Hybrid-Closed-Loop-System bezeichnet – untersucht. „Das von der Arbeitsgruppe um Prof. Roman Hovorka entwickelte AID-System ist das einzige, welches auch für Kinder ab 1 Jahr CE-zertifiziert ist“, so Gehr. In Deutschland könne es bisher nur als Selbstzahlerleistung bezogen werden, nur einige private Krankenversicherungen übernähmen die Kosten für Kleinkinder.
Der Algorithmus des AID-Systems aus Cambridge wird schon seit gut einem Jahrzehnt erforscht und gilt als sehr ausgereift. „Was bislang gefehlt hatte, war eine länger laufende Studie mit kleinen Kindern, um zu ermitteln, ob sich das System auch im Alltag bewährt“, sagt Gehr im Gespräch mit Medscape.
Aussagekräftige 16 Wochen
Insgesamt nahmen 74 Kinder von 1 bis 7 Jahren an der Crossover-Studie teil. Sie wurden randomisiert 16 Wochen lang mit dem in Cambridge entwickelten AID-System oder einer sensorunterstützten Pumpentherapie behandelt. Anschließend wurde das Therapieverfahren für weitere 16 Wochen getauscht.
„Nach 16 Wochen ist der HbA1c-Wert aussagekräftig. Außerdem lassen sich über einen solchen Zeitraum Studieneffekte nachweisen, etwa eine nachlassende Motivation nach den ersten Wochen“, so Gehr. Die Ergebnisse entsprächen letztlich dem, was man aus AID-Studien mit Erwachsenen und älteren Kindern kenne.
Mehr als 70% der Zeit im Zielbereich
Erstautorin Dr. Julia Ware vom Department of Paediatrics der University of Cambridge und ihre Kollegen berichten, dass sich die Kinder während der Nutzung des AID-Systems 71,6% der Zeit im Glukosezielbereich von 70 bis 180 mg/dl befunden hätten. Im Kontrollzeitraum mit sensorgestützter Pumpentherapie seien es dagegen nur 62,9% der Zeit gewesen. Der Unterschied von im Schnitt 8,7 Prozentpunkten war statistisch signifikant.
Mit dem AID-System wiesen sie außerdem weniger häufig zu hohe Blutzuckerwerte auf: Die Zeit im hyperglykämischen Bereich (>180 mg/dl) betrug mit AID-System 22,9% und mit sensorunterstützter Pumpentherapie 31,7% – auch hier ein statistisch signifikanter Unterschied von im Schnitt 8,5%.
Kein erhöhtes Hypoglykämie-Risiko
Diese Verbesserungen der glykämischen Kontrolle hätten keine vermehrten Hypoglykämien nach sich gezogen, berichten die Autoren um Ware: Einen Blutzuckerspiegel <70 mg/dl wiesen die Kinder unter beiden Therapieverfahren gleich häufig auf (4,9% vs. 4,5% der Zeit).
Der HbA1c-Wert von im Schnitt 7,3% zu Studienbeginn sank mit dem AID-System auf 6,6% ab, im Kontrollzeitraum erreichte er 7,0%. Und auch die vom Sensor gemessenen Glukosewerte lagen mit AID-System niedriger als mit sensorgestützter Pumpentherapie: 145,8 vs. 158,1 mg/dl.
Ein Bedienfehler und seine Folgen
Ware und ihre Kollegen berichten, dass die Komplikationsraten beider Therapieverfahren vergleichbar gewesen seien. Es gab keine schwerwiegenden Komplikationen, auch keine Ketoazidosen.
Unter Anwendung des AID-Systems kam es zu einer schweren Hypoglykämie, die Fremdhilfe erforderlich machte. Für Gehr handelte es sich dabei allerdings um einen Bedienfehler der Eltern.
Diese hatten den Glukosezielwert für die Nacht mit 80 mg/dl sehr niedrig angesetzt und anschließend nicht auf die vom Algorithmus wiederholt ausgelösten Alarme reagiert. „Um solche Vorfälle künftig auszuschließen, sollte die Software dahingehend überarbeitet werden, dass man nachts keine Werte unter 90 oder sogar 100 mg/dl einstellen kann“, empfiehlt Gehr.
„Gigantisch gute“ Nutzungsquote
Die Kontrolle über eine Typ-1-Diabetes-Erkrankung bei Kleinkindern zu behalten, kann für die Kinder und ihre Familien mit erheblichen Belastungen einhergehen. Dass sie dem System vertraut haben und es schon nach der kurzen Zeit nicht mehr missen wollten, zeige sich an der durchgehenden Nutzung, so Gehr. Die Zeit im Closed-Loop-Modus von 95% sei eine „gigantisch gute Quote“.
„Das System ist kein vollautomatisches künstliches Pankreas“, räumt der Diabetologe ein, „aber im Vergleich zur sensorunterstützten Pumpentherapie eine radikale Erleichterung für Eltern und Kinder.“
Gehr kritisiert deshalb, dass das untersuchte AID-System in Deutschland zwar CE-zertifziert und zugelassen ist, aber aufgrund der fehlenden Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen dennoch nicht allgemein verfügbar.
„Solange wir keine Rubrik im Hilfsmittelverzeichnis für AID-Algorithmen ohne bzw. unabhängig von der Hardware haben, werden sich solche guten Systeme bei uns nicht verbreiten. Das Hilfsmittelverzeichnis dahingehend zu aktualisieren, ist ein wichtiger politischer Auftrag“, so Gehr.
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Erleichterung für Familien: AID-System verbessert auch bei Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes die glykämische Kontrolle - Medscape - 4. Feb 2022.
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