Mehr Cannabis-Crashs in Kanada: Seit der Legalisierung steigt die Zahl der Unfälle unter Drogeneinfluss

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

31. Januar 2022

Deutschland diskutiert die Legalisierung von Cannabis. Welche (negativen) Begleiterscheinungen eine solche Entscheidung auch haben kann, zeigen Erfahrungen aus Kanada: Dort hat sich seit der Legalisierung von Cannabis im Oktober 2018 im Staat British Columbia die Zahl mittelschwer verletzter motorisierter Verkehrsteilnehmer mit einem Tetrahydrocannabinol(THC)-Wert von mindestens 2 ng/ml Blut mehr als verdoppelt.

Das zeigt eine Studie, die ein Team um Prof. Dr. Jeffrey Brubacher vom Department of Emergency Medicine der University of British Columbia in Vancouver im New England of Medicine (NEJM) veröffentlicht hat [1]. Am deutlichsten sei der Anstieg bei älteren und männlichen Fahrern gewesen, schreiben die Wissenschaftler.

 
Diese und andere Untersuchungen zu den Effekten der Legalisierung von Cannabis sollten bei der gegenwärtigen Debatte in Deutschland berücksichtigt werden. Prof. Dr. Maximilian Gahr
 

„Auch wenn diese Studie keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen den untersuchten Verkehrsunfällen und dem Konsum von Cannabis nachweisen kann, zeigt sie, dass die Legalisierung von Cannabis deutliche Effekte hat und vermutlich zu einem Anstieg des Konsums von Cannabinoiden führt“, kommentiert Prof. Dr. Maximilian Gahr von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III am Universitätsklinikum Ulm gegenüber Medscape.

„Diese und andere Untersuchungen zu den Effekten der Legalisierung von Cannabis sollten bei der gegenwärtigen Debatte in Deutschland berücksichtigt werden“, fordert der Mediziner.

Mehr als 4.000 verletzte Verkehrsteilnehmer wurden auf THC untersucht

Das Team um Brubacher untersuchte für seine Studie das Blut von insgesamt 4.339 Fahrern, die zwischen Januar 2013 und März 2020 in 4 Traumazentren in British Columbia nach einem Zusammenstoß mit einem Kraftfahrzeug behandelt worden waren. Eingeschlossen wurden mittelschwer verletzte Fahrer, deren Zustand eine Blutuntersuchung erlaubt hatte und bei denen nach Abschluss der klinischen Untersuchung noch überschüssiges Blut vorhanden war.

3.550 Probanden erfüllten die Einschlusskriterien vor der Legalisierung von Cannabis und 789 Fahrer taten dies danach. 61,9% der Studienteilnehmer waren männlich; das mittlere Alter der Probanden lag bei 40 Jahren. Ihr Blut wurde im Toxikologiezentrum von British Columbia analysiert.

Als primäre Endpunkte ihrer Studie wählten die Forscher um Brubacher Tetrahydrocannabinol-Werte (THC-Werte) von mehr als 0 ng/ml Blut, von mindestens 2 ng/ml Blut – was dem gesetzlichen Grenzwert in Kanada entspricht – und von mindestens 5 ng/ml Blut.

Sekundäre Endpunkte waren ein THC-Gehalt von mindestens 2,5 ng/ml, verbunden mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 0,5 Promille, sowie ein Blutalkoholgehalt von mehr als 0 und von mindestens 0,8 Promille. Berechnet wurde die Prävalenz aller Endpunkte vor und nach der Legalisierung. Relevante Kovariaten flossen in die Analyse mit ein.

Unter den Verletzten ab 50 besonders viele THC-Konsumenten

Wie Brubacher und seine Kollegen berichten, ermittelten sie vor der Legalisierung von Cannabis bei 9,2% der Fahrer einen THC-Wert von mehr als 0 ng/ml, bei 3,8% einen Wert von mindestens 2 ng/ml und bei 1,1% einen Wert von mindestens 5 ng/ml Blut. Nach der Legalisierung lagen die entsprechenden Werte bei 17,9%, 8,6% und 3,5%. Damit stieg die Prävalenz von verletzten Fahrern mit einem THC-Gehalt von mehr als 0 ng/ml um den Faktor 1,33. Bei einem THC-Gehalt von mindestens 2 ng/ml betrug der Faktor 2,29 und bei 5 ng/ml 2,05.

Den größten Anstieg der Prävalenzen bei einem THC-Gehalt von mindestens 2 ng/ml Blut, also oberhalb des gesetzlich festgelegten Grenzwertes, gab es bei Fahrern im Alter von 50 Jahren oder mehr. In dieser Gruppe mehrten sich die Fälle mittelschwer verletzter Fahrer nach der Legalisierung um den Faktor 5,18. Bei männlichen Fahrern stieg die Zahl um das 2,44-Fache. Keine signifikanten Veränderungen ermittelten die Wissenschaftler hingegen bei der Prävalenz der verletzten Fahrer, die positiv auf Alkohol getestet worden waren.

Generell stieg Zahl der Cannabis-Konsumenten nach der Legalisierung

„Der beunruhigende Anstieg erfolgte trotz der gleichzeitigen Einführung von Verkehrsgesetzen, die vom Fahren unter Cannabiseinfluss abschrecken sollen“, schreiben die Forscher um Brubacher. Nach Angaben von Statistics Canada sei der Prozentsatz der kanadischen Erwachsenen, die eigenen Angaben zufolge Cannabis konsumieren, von 14,9% vor der Legalisierung auf 16,8% danach gestiegen. In British Columbia seien es 18,2% beziehungsweise 19,1% gewesen.

 
Der beunruhigende Anstieg erfolgte trotz der gleichzeitigen Einführung von Verkehrsgesetzen, die vom Fahren unter Cannabiseinfluss abschrecken sollen. Prof. Dr. Jeffrey Brubacher und Kollegen
 

„Unsere Feststellung, dass die Prävalenz der positiv auf THC getesteten Fahrer viel stärker gestiegen ist, lässt die Möglichkeit aufkommen, dass nicht nur mehr Personen nach der Legalisierung Cannabis konsumieren, sondern dass die Personen, die Cannabis konsumieren, danach auch häufiger Auto fahren als vor der Legalisierung“, schreiben die Forscher. Sie weisen allerdings auch darauf hin, dass das Vorhandensein von THC im Blut, insbesondere bei niedrigen Konzentrationen, nicht zwingend bedeute, dass der erlittene Verkehrsunfall durch Cannabis verursacht worden sei.

Ältere Fahrer durch Cannabis womöglich besonders gefährdet

Dass gerade ältere Erwachsene offenbar vermehrt nach dem Konsum von Cannabis noch Auto fahren, halten Brubacher und seine Kollegen für besorgniserregend. „Die meisten Informationen über die Pharmakologie von Cannabis und seine Auswirkungen auf das Verhalten stammen aus Studien mit jüngeren Erwachsenen“, schreiben die Forscher.

Die kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten, die für ein sicheres Fahren erforderlich seien, nähmen mit dem Alter ab, was darauf hindeute, dass ältere Fahrer anfälliger für die Auswirkungen von Cannabis sein könnten. „In Verbindung mit dem Potenzial für schwerere Verletzungen bei älteren Fahrern nach einem Zusammenstoß deutet dies darauf hin, dass der zunehmende Cannabiskonsum bei älteren Fahrern zu einem Anstieg der kollisionsbedingten Verletzungen führen könnte“, warnen sie.

Allerdings würden sich ihre Ergebnisse nur auf mäßig verletzte Fahrer beziehen, die in großen städtischen Traumazentren behandelt worden seien, geben die Forscher zu bedenken. Die Resultate könnten daher möglicherweise nicht auf Kollisionen mit leichten Verletzungen, auf tödliche Kollisionen oder auf Kollisionen in abgelegenen Gebieten übertragen werden.

Dennoch würden ihre Beobachtungen zeigen, dass die Folgen der Legalisierung von Cannabis weiterhin kontinuierlich überwacht werden müssten, betonen Brubacher und sein Team im Fazit der Studie. „Trotz der Gesetze, die auf die Regulierung der Verkehrssicherheit nach der Legalisierung zugeschnitten sind, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass mehr getan werden muss, um die abschreckende Wirkung von Verkehrsgesetzen zu erhöhen, die auf das Fahren nach dem Konsum von Cannabis abzielen“, schreiben sie.

Auch Anstrengungen, um das öffentliche Wissen über die schädlichen Auswirkungen des Konsums auf die Fahrsicherheit zu erweitern, seien gerechtfertigt.

Hierzulande Konsum-Zunahme vor allem bei jungen Erwachsenen

In Deutschland, wo Cannabis nach dem Willen der Ampelkoalition ebenfalls legalisiert werden soll, nimmt der Konsum der Droge aus der Hanfpflanze ähnlich wie in Kanada und anderen westlichen Ländern seit geraumer Zeit zu. Der größte Anstieg geht hierzulande allerdings auf die zunehmende Zahl junger Erwachsener, die Cannabis konsumieren, zurück.

In Nachbarländern wie Frankreich und den Niederlanden verzeichnete man hingegen zuletzt vor allem einen Anstieg des Konsums bei Erwachsenen mittleren Alters.

„Problematisch ist die Situation bei uns vor allem deswegen, da Cannabis insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Risiken verbunden ist“, sagt der deutsche Mediziner Gahr. „Bei ihnen besteht die Gefahr, dass die Droge die noch nicht abgeschlossene Entwicklung des Gehirns negativ beeinflusst.“ Ende 2020 publizierte der Wissenschaftler gemeinsam mit weiteren Ulmer Kollegen im Journal of Clinical Psychopharmacology eine Studie, der zufolge die Zahl cannabisinduzierter Psychosen bei Jugendlichen in den vorangegangenen Jahren stark gestiegen war.
 

Kommentar

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