„Eine der häufigsten Todesursachen“: Antibiotika-Resistenzen forderten 2019 weltweit 1,2 Millionen Todesopfer

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

25. Januar 2022

Mehr als 1,27 Millionen Menschen starben 2019 als direkte Folge von Infektionen mit Antibiotika-resistenten Bakterien, und bei 4,95 Millionen Todesfällen spielen Antibiotika-resistente Infektionen eine Rolle. Das ergab jetzt die bisher umfassendste Prognose der globalen Auswirkungen der Antibiotika-Resistenz (AMR) [1].

Die im Lancet veröffentlichte Analyse zeigt, dass Antibiotika-Resistenz inzwischen weltweit eine der häufigsten Todesursachen ist – noch vor HIV/AIDS und Malaria. Viele Hunderttausende von Todesfällen werden durch häufige, früher behandelbare Infektionen (Lungenentzündung, Sepsis) verursacht, weil die Bakterien, die die Infektion auslösen, resistent gegen die Behandlung geworden sind.

 
Die neuen Daten zeigen das wahre Ausmaß der weltweiten Resistenz gegen Antibiotika und sind ein klares Signal, dass wir jetzt handeln müssen. Prof. Dr. Chris Murray
 

Antibiotika-Resistenz stellt damit eine globale Gesundheitsbedrohung dar. Am schlimmsten sind Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (LMICs) davon betroffen, aber auch Länder mit höherem Einkommen weisen ein alarmierend hohes Maß an Antibiotika-Resistenz auf.

Klares Signal, jetzt zu handeln

„Die neuen Daten zeigen das wahre Ausmaß der weltweiten Resistenz gegen Antibiotika und sind ein klares Signal, dass wir jetzt handeln müssen, um die Bedrohung zu bekämpfen“, sagt Prof. Dr. Chris Murray vom Institute for Health Metrics and Evaluation an der University of Washington, USA und Mitautor der Studie.

 
Wir müssen diese Daten nutzen, um den Kurs zu korrigieren und Innovationen voranzutreiben. Prof. Dr. Chris Murray
 

Frühere Schätzungen, so Murray, gingen von 10 Millionen jährlichen Todesfällen aufgrund von Antibiotika-Resistenzen bis zum Jahr 2050 aus, „aber wir wissen jetzt mit Sicherheit, dass wir dieser Zahl schon viel näher sind, als wir dachten. Wir müssen diese Daten nutzen, um den Kurs zu korrigieren und Innovationen voranzutreiben, wenn wir im Wettlauf gegen die Antibiotika-Resistenz die Nase vorn haben wollen.“

Die Wissenschaftler hatten 204 Länder und Regionen, 23 krankmachende Bakterien und 88 Kombinationen von Bakterien und Antibiotika untersucht und dazu Daten aus der Fachliteratur, aus Krankenhaus-Datenbanken, Monitoringsystemen und anderen Datenquellen zusammengetragen und analysiert.

Die Krankheitslast durch Antibiotika-Resistenz wurde auf 2 Arten bestimmt:

  • Im 1. Ansatz legten sie zugrunde, dass sich die Menschen nicht mit einem resistenten Bakterium infiziert hätten, sondern mit einem, das auf Antibiotika empfindlich reagiert. Bei solchen Fällen waren die resistenten Keime für 1,27 Millionen Tote verantwortlich, der Ansatz zeigt den direkten Einfluss der Antibiotika-Resistenz.

  • Im 2. Ansatz legten die Forscher zugrunde, dass sich die Menschen überhaupt nicht mit einem resistenten Bakterium angesteckt und stattdessen gar keine Infektion hatten, und errechneten die Zahl von 4,95 Millionen Todesfällen.

Die Analyse zeigt damit, dass AMR im Jahr 2019 direkt für schätzungsweise 1,27 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich war und mit 4,95 Millionen Todesfällen in Verbindung gebracht wurde. Zum Vergleich: AIDS und Malaria haben im Jahr 2019 schätzungsweise 860.000 bzw. 640.000 Todesfälle verursacht.

Arzneimittel-resistente Lungenentzündungen haben den größten Einfluss

    • Resistenzen bei Infektionen der unteren Atemwege – wie Lungenentzündung – hatten den größten Einfluss auf die Krankheitslast durch AMR, verursachten mehr als 400.000 Todesfälle und wurden mit mehr als 1,5 Millionen Todesfällen in Verbindung gebracht.

    • Arzneimittel-Resistenzen bei Infektionen der Blutbahn – die zu einer lebensbedrohlichen Sepsis führen können – verursachten rund 370.000 Todesfälle und wurden mit fast 1,5 Millionen Todesfällen in Verbindung gebracht.

    • Arzneimittel-Resistenzen bei intra-abdominalen Infektionen – häufig verursacht durch Blinddarmentzündung – führten direkt zu etwa 210.000 Todesfällen und wurden mit etwa 800.000 Todesfällen in Verbindung gebracht.

    AMR stellt eine Bedrohung für Menschen aller Altersgruppen dar, aber Kleinkinder sind einem besonders hohen Risiko ausgesetzt: Etwa jeder 5. Todesfall, der auf AMR zurückzuführen ist, tritt bei Kindern unter 5 Jahren auf.

    Die direkt durch AMR verursachten Todesfälle waren in Afrika südlich der Sahara und in Südasien mit 24 bzw. 22 Todesfällen pro 100.000 Einwohner am höchsten. In Afrika südlich der Sahara wurde AMR mit 99 Todesfällen pro 100.000 und in Südasien mit 77 Todesfällen pro 100.000 in Verbindung gebracht.

    In Ländern mit hohem Einkommen führte AMR direkt zu 13 Todesfällen pro 100.000 und wurde mit 56 Todesfällen pro 100.000 in Verbindung gebracht.

    Von den 23 untersuchten Krankheitserregern führte die Antibiotika-Resistenz bei 6 Keimen (E. coli, S. aureus, K. pneumoniae, S. pneumoniae, A. baumannii und P. aeruginosa) direkt zu 929.000 Todesfällen und wurde mit 3,57 Millionen in Verbindung gebracht.

    Der Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus) verursachte 2019 100.000 Todesfälle.

    Resistenzen vor allem gegen Fluorchinolone und Betalaktam-Antibiotika

    Bei allen Krankheitserregern ist die Resistenz gegen 2 Antibiotikaklassen, die oft als erste Verteidigungslinie gegen schwere Infektionen gelten – Fluorchinolone und Betalaktam-Antibiotika – für schätzungsweise 70% der durch AMR verursachten Todesfälle verantwortlich.

    Die Auswirkungen von Krankheitserregern auf die Gesundheit waren je nach Standort sehr unterschiedlich, wobei die auf AMR zurückzuführenden Todesfälle in Afrika südlich der Sahara am häufigsten durch S. pneumonia (16% der Todesfälle) oder K. pneumonia (20%) verursacht wurden, während etwa die Hälfte der auf AMR zurückzuführenden Todesfälle in Ländern mit hohem Einkommen durch S. aureus (26%) oder E. coli (23%) verursacht wurde.

     
    Da die Resistenzen je nach Land und Region so stark variieren, ist eine bessere weltweite Datenerfassung von entscheidender Bedeutung. Prof. Dr. Christiane Dolecek
     

    „Da die Resistenzen je nach Land und Region so stark variieren, ist eine bessere weltweite Datenerfassung von entscheidender Bedeutung, um die Resistenzentwicklung besser verfolgen zu können und Klinikern und politischen Entscheidungsträgern die Informationen an die Hand zu geben, die sie benötigen, um die dringendsten Herausforderungen im Zusammenhang mit Antibiotika-Resistenzen anzugehen“, sagte die Mitautorin der Studie, Prof. Dr. Christiane Dolecek, wissenschaftliche Leiterin der GRAM-Studie am Zentrum für Tropenmedizin und globale Gesundheit der Universität Oxford und an der Mahidol Oxford Tropical Medicine Research Unit (MORU).

    „Wir haben in vielen einkommensschwachen Ländern gravierende Datenlücken festgestellt, was die Notwendigkeit unterstreicht, die Laborkapazitäten und die Datenerfassung in diesen Ländern zu verbessern“, so Dolecek.

    Forderungen an Verantwortliche in Gesundheitswesen und Politik

    „Nachdem es bisher ein unerkanntes und verstecktes Problem war, zeichnet sich nun endlich ein klareres Bild der Belastung durch AMR ab“, schreibt Dr. Ramanan Laxminarayan vom Center for Disease Dynamics, Economics & Policy (USA) in einem begleitenden Kommentar im Lancet  [2].

    „Selbst die von Murray und Kollegen geschätzte Zahl von 911.000 Todesfällen ist höher als die Zahl der Todesfälle durch HIV, für die jedes Jahr fast 50 Milliarden US-Dollar aufgewendet werden“, so Laxminarayan weiter. Die weltweiten Ausgaben für die Bekämpfung von AMR lägen jedoch wahrscheinlich weit darunter.

     
    Die Verantwortlichen … müssen die Bedeutung der Bekämpfung der Antibiotika-Resistenz und die Herausforderung des schlechten Zugangs zu erschwinglichen, wirksamen Antibiotika ernst nehmen. Dr. Ramanan Laxminarayan
     

    „Das muss sich ändern. Die Ausgaben müssen darauf ausgerichtet werden, Infektionen von vornherein zu verhindern, sicherzustellen, dass vorhandene Antibiotika angemessen und vernünftig eingesetzt werden, und neue Antibiotika auf den Markt zu bringen. Die Verantwortlichen im Gesundheitswesen und in der Politik müssen die Bedeutung der Bekämpfung der Antibiotika-Resistenz und die Herausforderung des schlechten Zugangs zu erschwinglichen, wirksamen Antibiotika ernst nehmen.“
     

    Kommentar

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