Bei Typ-1-Diabetikern mit Symptomen einer diabetischen Ketoazidose und mit hohen pH- und Bikarbonatwerten sollte stets an die Möglichkeit eines zugrunde liegenden Cannabiskonsums gedacht werden, wie eine neue Untersuchung zeigt. Alle Ergebnisse der Studie wurden in Diabetes Care veröffentlicht [1].
Cannabis-Hyperemesis-Syndrom: Erbrechen nach Cannabis-Konsum
Zum Hintergrund: Das Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (CHS) wurde als Folge eines chronischen oder starken Cannabiskonsums beschrieben. Vermutlich ist eine verminderte Magenmotilität für das morgendliche zyklische Erbrechen und die Bauchschmerzen verantwortlich, die sich manchmal durch heißes Duschen lindern lassen.
Beim Typ-1-Diabetiker kann das Erbrechen zur Ketose und nachfolgend zur Hyperglykämie führen. Dies steht im Gegensatz zur typischen diabetischen Ketoazidose, bei der die Hyperglykämie aufgrund eines Insulinmangels der Ketoazidose vorausgeht.
Die Symptome sind bei beiden Formen gleich. In beiden Fällen kommt es zur erhöhten Ketonämie – ermittelt über das Serumhydroxybutyrat – und zu einer vergrößerte Anionenlücke. Zu den diagnostischen Kriterien bei der diabetischen Ketoazidose gehören jedoch ein arterieller pH-Wert < 7,3 und ein Bikarbonatwert von < 15 mmol/l, während nach der neuen Untersuchung Cannabiskonsumenten in über 90% der Fälle einen pH-Wert ≥ 7,4 und ein Bikarbonat > 15 mmol/l aufwiesen.
„Patienten mit diabetischer Ketoazidose und ungewöhnlichen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes sollten zu ihrem Cannabiskonsum befragt bzw. untersucht werden“, betont der Hauptautor der Studie Dr. Halis Kaan Akturk vom Barbara Davis Center for Diabetes an der University of Colorado in Aurora.
Er rät dazu, den Urin auf Cannabis-Abbauprodukte zu untersuchen. Die Akutbehandlung entspräche zwar der bei einer schweren diabetischen Ketoazidose mit Insulin- und Flüssigkeitsgabe zur Schließung der hohen Anionenlücke. Doch sehe die Langzeitprognose beim CHS anders aus, da die Patienten wahrscheinlich wiederholt in der Notaufnahme auftauchen würden, wenn sie ihren Cannabiskonsum nicht einstellten, so Akturk.
Ein neuer Name für ein bekanntes Krankheitsbild
Die Autoren haben für das Krankheitsbild jetzt „hyperglykämische Ketose bei Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (HK-CHS)“ als neuen Namen vorgeschlagen.
„Aufgrund des CHS erbrechen Patienten viel und leiden unter ständiger Übelkeit. Wir glauben, dass bei den Betroffenen die Darmaktivität herabgesetzt ist und sie daher zur Alkalose neigen“, erklärte Akturk.
„Die Frage ist also: Sollen wir es diabetische Ketoazidose nennen oder nicht? Da es keine Azidose ist, ist es aus unserer Sicht auch keine diabetische Ketoazidose. Wir wollten dem Krankheitsbild daher einen anderen Namen geben.“
„Der Zustand kann lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Das Beta-Hydroxybutyrat (BHB) ist hoch und die Anionenlücke ist groß. Die Betroffenen sind sehr krank. Man sollte bei Cannabiskonsumenten mit Typ-1-Diabetes und diabetischer Ketoazidose nicht nur auf pH und Bikarbonat achten“, warnt Akturk.
„Das Erbrechen im Zusammenhang mit dem CHS bewirkt eine kompensatorische metabolische Alkalose, die meist zum Hauptproblem wird. Daher sollte man an dieser Stelle besondere Vorsicht walten lassen“, riet er.
Im Jahr 2018 stellte das Team fest, dass etwa 30% ihrer 450 erwachsenen Typ-1-Diabetiker einen Cannabiskonsum erwähnten, was im Vergleich zu Nichtkonsumenten mit einem beinahe doppelt so hohen Risiko für eine diabetische Ketoazidose verbunden war.
Im Jahr 2019 bestätigten sie dann diese Risikoverdopplung durch Auswertung landesweiter Daten von T1D Exchange, einer gemeinnützigen Organisation, die sich auf Typ-1-Diabetes konzentriert.
In dieser neuen Studie wurden erstmals die Laborkorrelate von Cannabis-Konsumenten und Nichtkonsumenten bei erwachsenen Typ-1-Diabetikern mit diabetischer Ketoazidose verglichen.
Unterschiede zur diabetischen Ketoazidose
Die Wissenschaftler analysierten 172 Ereignisse von 68 erwachsenen Typ-1-Diabetikern, mit denen sie in einer Notaufnahme vorstellig wurden und unter der ICD-Diagnose „diabetische Ketoazidose“ geführt wurden. Die Auswahlkriterien waren ein Serum-Glukosewert > 250 mg/dl, eine Anionenlücke von > 10, Ketone ≥ 0,6 mmol/l (bestimmt über BHB) sowie ein toxikologisches Urin-Screening bei der Aufnahme.
Der mittlere BHB-Wert unter den Cannabiskonsumenten betrug 15,3 mmol/l und unter den Nichtkonsumenten 13,7 mmol/l, was keinen signifikanten Unterschied bedeutete. Die Autoren haben für die Gruppen keine Personenzahl angegeben, da manche zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlichen Urin-Drogenscreening-Befunden in die Notaufnahme zurückkehrten.
Nach der Adjustierung von Alter und Geschlecht lag der mittlere venöse pH-Wert bei Cannabis-Konsumenten bei 7,42 und damit deutlich über dem Wert von 7,09 unter den Nichtkonsumenten (p < 0,0001).
Die Anionenlücke im Serum betrug bei den Cannabiskonsumenten 20,9 mmol/l gegenüber 23,9 mmol/l bei den Nichtkonsumenten (p = 0,01). Das Serumbikarbonat lag bei 19,2 mmol/l bei den Konsumenten im Vergleich zu 9,1 mmol/l unter den Nichtkonsumenten, was ein hochsignifikanter Unterschied ist (p < 0,0001).
Von den 74 als diabetische Ketoazidose eingestuften Ereignissen unter den Cannabiskonsumenten wurde zum Zeitpunkt der Vorstellung bei 96% der Betroffenen ein venöser pH-Wert ≥ 7,4 und ein Serumbicarbonat ≥ 15 mmol/l ermittelt.
Auf der Basis dieser Befunde definierten die Autoren eine hyperglykämische Ketose (Serum-Glukose > 250 mg/dl, Anionenlücke > 10 und Serum-BHB ≥ 0,6 mmol/l) als HK-CHS, wenn zum Zeitpunkt der Messung in der Notaufnahme der venöse pH-Wert ≥ 7,4 und das Serumbikarbonat ≥ 15 mmol/l war.
Wenn man diese Grenzwerte zugrunde legte, gelangte man zu einem positiven Vorhersagewert für die HK-CHS von 98% bei einer Sensitivität von 97% und einer Spezifität von 95%.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Ketoazidose mit hohem pH-Wert bei Patienten mit Typ-1-Diabetes: Es könnte am Cannabis-Konsum liegen - Medscape - 18. Jan 2022.
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