Frauenherzen erkranken anders: Schon in den Zwanzigern erhöht sich ihr Blutdruck – steigt schneller als bei Männern. Was tun?

Nadine Eckert

Interessenkonflikte

13. Januar 2022

Ab der 3. Lebensdekade steigt der Blutdruck bei Frauen offenbar signifikant steiler an als bei Männern. Dies zeigt eine Analyse mehrerer US-Kohorten, die über mehr als 40 Jahre beobachtet wurden. Dieser schon früh auftretende Sexualdimorphismus könnte den Weg bereiten für kardiovaskuläre Erkrankungen, die sich bei Frauen üblicherweise anders darstellen als bei Männern, vermuten die Autoren der Studie [1].

In JAMA Cardiology schreibt die Arbeitsgruppe um Dr. Hongwei Ji von der Cardiovascular Division am Brigham and Women‘s Hospital, Harvard Medical School, Boston: „Entgegen der Annahme, dass wichtige vaskuläre Krankheitsprozesse bei Frauen um 10 bis 20 Jahre verzögert auftreten, deutet unsere geschlechtsspezifische Analyse darauf hin, dass die Blutdruckwerte bei Frauen sogar schneller ansteigen als bei Männern, und dies schon früh im Leben.“

Frauen erkranken anders als Männer

Die Auffassung, dass Frauen die gleichen kardiovaskulären Erkrankungen haben wie Männer, nur später und mit atypischen Symptomen, gilt mittlerweile als veraltet. „Wir wissen schon länger, dass Frauen andere Formen von kardiovaskulären Erkrankungen entwickeln als Männer“, erklärt Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer auf Nachfrage von Medscape

 
Wir wissen schon länger, dass Frauen andere Formen von kardiovaskulären Erkrankungen entwickeln als Männer. Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer
 

Die Endokrinologin leitet an der Medizinischen Universität Wien sowohl die Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel als auch die Gender Medicine Unit und das Genderinstitut in Gars am Kamp. 

Einen möglichen Grund für diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern sieht sie in einer unterschiedlichen Biologie und physiologischen Funktion der Gefäße. „Es ist auch möglich, dass sie unterschiedlich altern“, ergänzt Kautzky-Willer, „und dass dies dann auch pathophysiologisch eine Bedeutung hat.“

Unterschiede bleiben im Lebensverlauf erhalten

Die Ergebnisse von Ji und seinen Kollegen beruhen auf fast 145.000 Blutdruckmessungen, die von 1971 bis 2014 bei mehr als 32.000 Personen aller Altersstufen gesammelt wurden – etwas mehr als die Hälfte davon waren Frauen. Auch nach Korrektur der Daten um verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren blieben die Unterschiede in den Blutdruckverläufen zwischen den beiden Geschlechtern erhalten – und dies für den restlichen Lebensverlauf.

Dass der Blutdruck bei Frauen ab dem dritten Lebensjahrzehnt steiler ansteigt als bei Männern, zeigten auch schon frühere Kohortenstudien, etwa aus dem Vereinigten Königreich. Allerdings hätten sich die US-Autoren in der aktuellen Analyse nicht nur den systolischen und den diastolischen Blutdruck angeschaut, sondern auch den mittleren arteriellen Druck und den Pulsdruck, lobt Kautzky-Willer.

Bei Frauen eher die kleinen Gefäße betroffen

Unter anderem stellte sich so heraus, dass auch der mittlere arterielle Blutdruck – ein grobes Maß für den peripheren Gefäßwiderstand – im Lauf des Lebens bei Frauen schneller ansteigt als bei Männern. „Die höhere Rate, mit der der mittlere arterielle Blutdruck bei Frauen ansteigt, könnte auf ein Remodelling der kleinen Arterien hindeuten, speziell hinsichtlich des Media-Lumen-Verhältnisses“, spekulieren Ji und seine Kollegen. Und dies könnte zu der höheren Prävalenz koronarer mikrovaskulärer Dysfunktion (CMD) bei Frauen beitragen.

„Beim weiblichen Herzinfarkt sind es oft nicht die großen Koronararterien, die verschlossen sind, sondern mikrovaskuläre Veränderungen, Gefäßspasmen oder Dissektionen kleinster Gefäße, die aber ebenso tödlich enden können, wie bei Männern“, erklärt Kautzky-Willer im Gespräch mit Medscape.

Herzinsuffizienz: Ejektionsfraktion bei Frauen oft erhalten

Die höhere Anstiegsrate beim Pulsdruck wiederum reflektiert eine beschleunigte arterielle Versteifung, geht einher mit einem verstärkten konzentrischen linksventrikulären Remodelling und könnte dazu beitragen, dass Frauen ein höheres Risiko für eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) haben.

Auch die Herzinsuffizienz, für die ein hoher Blutdruck der wichtigste Risikofaktor sei, unterscheide sich zwischen Frauen und Männern, bestätigt Kautzky-Willer. „Oft haben Frauen eine Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion. Anders als bei Männern ist die Auswurfleistung nicht verändert, aber eine diastolische Dysfunktion und linksventrikuläre konzentrische Hypertrophie führen zu einer Füllstörung des Herzens.“

Was man mittlerweile ebenfalls wisse, sei, dass bei Frauen das Risiko, einen Herzinfarkt, eine Herzinsuffizienz oder einen Schlaganfall zu erleiden, schon bei hochnormalen Blutdruckwerten höher sei als bei Männern, so die Gender-Medizinerin weiter.

Niedrigere Grenzwerte für Frauen sinnvoll?

Für Kautzky-Willer wirft dies die Frage auf, ob bei Frauen nicht andere Blutdruck-Grenzwerte sinnvoll wären als bei Männern, und ob man bei Frauen nicht schon früher vermehrt auf den Blutdruck achten sollte. 

„Bei vielen Frauen wird irgendwann in jungen Jahren einmal der Blutdruck gemessen, beim Gynäkologen oder beim Hausarzt, und der sei dann oft niedrig, weil Frauen in jungen Jahren eben prinzipiell niedrigere Blutdruckwerte haben als Männer“, berichtet die Ärztin.

Dies kann die betroffenen Frauen in falscher Sicherheit wiegen: „Sie denken dann, sie hätten sowieso niedrigen Blutdruck und müssten sich über so etwas wie Bluthochdruck keine Gedanken machen.“

Blutdruck bei Frauen im Auge behalten

Aber in Wirklichkeit werde der Blutdruck bereits in den Zwanzigern schlechter und mit der Menopause steige er dann bekanntlich noch einmal stark an, sogar über die Werte der Männer hinaus – auch das zeige die Erhebung von Ji und Kollegen noch einmal deutlich, warnt Kautzky-Willer. „Das heißt, der Blutdruck sollte bei Frauen lebenslang beobachtet werden, denn Bluthochdruck ist bei Frauen ein ganz wichtiger und unterschätzter Risikofaktor.“ 

 
Bluthochdruck ist bei Frauen ein ganz wichtiger und unterschätzter Risikofaktor. Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer
 

 

Kommentar

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