Einem Ärzteteam der Universität Maryland um Prof. Dr. Bartley P. Griffith und Prof. Dr. Muhammad M. Mohiuddin ist es gelungen, dem 57-jährigen David Bennett ein gentechnisch verändertes Schweineherz zu transplantieren. 3 Tage nach dem Eingriff gehe es dem Patienten gut, teilte das Medical Center der Universität Maryland (UMMC) in Baltimore in einer Stellungnahme mit. Zu einer hyperakuten Abstoßungsreaktion, die bei solchen Transplantationen bereits nach wenigen Stunden eintreten kann, kam es nicht.
Die Operation war die einzige Möglichkeit, das Leben des Patienten zu verlängern. Bennett litt an einer Herzinsuffizienz im Endstadium und stand aufgrund der Schwere seiner Erkrankung nicht auf der Warteliste für ein menschliches Herz. Aufgrund einer Arrhythmie konnte er auch nicht an eine mechanische Herzpumpe angeschlossen werden.
„Es hieß entweder sterben oder diese Transplantation durchführen. Ich will leben. Ich weiß, dass es ein Schuss ins Blaue ist, aber es ist meine letzte Wahl“, sagte Bennett einen Tag vor der Operation.
Griffith, Direktor des Herztransplantationsprogramms am UMMC, spricht von einer „bahnbrechenden Operation, die uns der Lösung des Problems des Organmangels einen Schritt näher“ bringt.
„Das erfolgreiche Verfahren liefert wertvolle Informationen, die der medizinischen Gemeinschaft helfen, diese potenziell lebensrettende Methode bei künftigen Patienten zu verbessern“, kommentiert Mohiuddin. Die 8-stündige Operation bezeichnet er als „Höhepunkt jahrelanger, hochkomplizierter Forschung“.
Die Xenotransplantation wurde entwickelt, um den Mangel an menschlichen Spenderorganen zu beheben. In den USA warten etwa 110.000 Patienten auf ein Organ, „etwa 25% von ihnen sterben auf der Warteliste, ohne ein Organ erhalten zu haben“, berichtet Dr. Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der FU Berlin.
Bennett wird in den nächsten Tagen und Wochen sorgfältig überwacht, heißt es in der Mitteilung des UMMC. „Wir gehen vorsichtig vor, aber wir sind auch optimistisch, dass dieser weltweit erste Eingriff in Zukunft eine wichtige neue Option für Patienten darstellen wird“, wird Griffith zitiert.
Patient erhält experimentelles Immunsuppressivum
Am Silvesterabend hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA eine Notfallgenehmigung für den Eingriff erteilt. Bei der Operation kam erneut (wie schon bei der Transplantation der Schweineniere bei einer hirntoten Patientin) ein Organ aus dem genetischen Zuchtprogramm GalSafe der Firma Revivicor zum Einsatz. Revivicor ist ein Tochterunternehmen von United Therapeutics aus Silver Spring/ Maryland.
Im Spenderschwein wurden 3 Gene ausgeschaltet, die für eine schnelle Antikörper-vermittelte Abstoßung von Schweineorganen durch den menschlichen Körper verantwortlich sind. Um ein übermäßiges Wachstum des Schweineherzens zu verhindern, wurde ein weiteres Gen stillgelegt. 6 humane Gene für die Immunakzeptanz des Schweineherzens wurden dagegen in das Erbgut eingefügt.
Neben herkömmlichen Medikamenten gegen Abstoßungsreaktionen kam ein experimentelles Immunsuppressivum der Firma Kiniksa Pharmaceuticals zum Einsatz.
Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing betont, dass es „noch keine Zulassung für diesen neuartigen CD40-CD40L-blockierenden Antikörper gibt, dies also im Kontext der Xenotransplantation einen doppelten First-in-man-Versuch darstellt“. Bislang, so Wendtner, sei der CD40-blockierende Antikörper KPL-404 nur in einer Phase-1-Studie bei gesunden Probanden auf Verträglichkeit geprüft worden, eine Phase-1/2-Studie bei Patienten mit rheumatoider Arthritis starte gerade erst.
Wie genau das Schweineherz modifiziert worden war, ist noch unklar: „Leider wurden die genauen Veränderungen dieses Tieres der Firma Revivicor nicht genannt. Diese beinhalten meist aber eine Inaktivierung von porzinen Zuckermolekülen auf der Zelloberfläche sowie die Expression von humanen Genen, welche die Aktivierung des Komplementsystems, des Blutgerinnungssystems sowie einer zellulären Abstoßung verhindern“, erklärt Dr. Konrad Fischer, Leiter der Sektion Xenotransplantation an der TU München.
Riesenfortschritt und Meilenstein der Transplantationschirurgie
„Aus unserer Sicht ist dies ein großartiger Erfolg für die Xenotransplantation und die jahrzehntelangen Bemühungen, Abstoßungsreaktionen zu charakterisieren und diese durch genetische Modifikationen des Schweins zu verhindern. Die Xenotransplantation erreicht nun die klinische Anwendungsphase und kann das Leben von zahlreichen Menschen retten“, kommentiert Fischer die Ergebnisse.
Auch Denner spricht von einem „Riesenfortschritt in der Transplantationsmedizin vergleichbar mit der ersten Allotransplantation durch Christian Barnard 1967“.
Und Prof. Dr. Uta Dahmen, Leiterin Experimentelle Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Jena, nennt den Eingriff einen „Meilenstein in der Transplantationschirurgie“.
Präklinische Studien auch in Deutschland
Dieser ersten klinischen Xenotransplantation sind zahlreiche präklinische Studien an nicht-humanen Primaten vorangegangen, nicht nur in Baltimore, sondern auch in Deutschland (wie Medscape berichtete). Diese Studien haben gezeigt, dass ein Schweinorgan längere Zeit im Pavian funktionieren kann, in München konnten bis zu 195 Tage erreicht werden, berichtet Denner.
„Dabei wurden wichtige Informationen gesammelt hinsichtlich der notwendigen genetischen Modifikationen, der zu verwendeten Immunsuppressiva, und es wurde gezeigt, dass das zu transplantierende Organ frei sein muss von bestimmten Herpesviren“, erklärt Denner.
Bei entsprechender Verfügbarkeit von tierischen Organen könnte die Transplantation zu einem planbaren Eingriff werden, meint Dahmen. „Theoretisch könnte allen Patienten, die ein Organ benötigen, ein solches mit gleichbleibender hoher Qualität angeboten werden. Sämtliche ethischen Allokationsprobleme – welcher Patient kommt warum in den Genuss einer knappen Ressource und welchem Patienten wird oder muss diese Ressource vorenthalten werden – wären damit prinzipiell gelöst.“
Dem „Proof of Principle“ müssen jetzt klinische Studien folgen
Laut Fischer ist es für eine abschließende Bewertung des Versuchs aber noch zu früh. Die Überlebenschancen für den Empfänger seien schwer einzuschätzen, sagt Dahmen. „Es ist bereits beachtlich, dass der Patient die ersten Tage nach dem Eingriff offensichtlich gut überstanden hat. Anscheinend konnte also die Gefahr der Antikörper-vermittelten hyperakuten Abstoßung erfolgreich abgewendet werden.“
Es bleibe abzuwarten, ob dieser Erfolg von Dauer sei und ob sich andere Abstoßungsformen wie die akute und chronische Abstoßung im weiteren Verlauf entwickeln und ob diese dann behandelbar seien.
Wendtner erwartet, dass die B-Zell-Blockade maximal ist „und damit auch unter dieser Immunsuppression die Antikörper-Produktion jenseits von Autoantikörpern zum Erliegen kommt“. Konkret bedeute das, dass Immunglobuline, die für die Infektabwehr essenziell sind, fehlen und zur Infektabwehr substituiert werden müssen.
„Nachdem in Tierexperimenten gezeigt wurde, dass der Entzug von CD40-blockierenden Antikörpern unmittelbar mit einer Abstoßungsreaktion des Xenotransplantats einhergeht, könnte eine Infektprophylaxe durch lebenslange Substitution von Immunglobulinen, aber auch die zusätzliche Gabe von entsprechenden Antibiotika ein notwendiges Übel dieses ansonsten innovativen Transplantationsansatzes sein“, sagt Wendtner.
Dahmen weist daraufhin, dass das Überleben eines Patienten für 3 Tage nicht gleichbedeutend mit der Einführung eines neuen Verfahrens in die klinische Routine sei: „Nach diesem ‚Proof of Principle‘ müssen komplexe und sehr kostenträchtige klinische Studien durchgeführt werden, um den Nutzen dieses Verfahrens zu zeigen. Dazu gehört als Erstes der Beweis von Langzeitüberleben dieses ersten Patienten, bevor man ein weiteres Organ in einen zweiten Patienten transplantiert.“
Schweineniere bei hirntoter Patientin war Schritt auf dem Weg
Ende Oktober 2021 war es Transplantationschirurgen an der New York University Langone Health gelungen, eine gentechnisch veränderte Schweineniere für 54 Stunden mit dem Kreislauf einer Hirntoten zu verbinden – ohne dass es zu einer Immunattacke kam.
Wie Medscape berichtet hatte, war die Schweineniere durch das Ausschalten bestimmter Gene dem menschlichen Organ ähnlicher gemacht worden, um so eine Abstoßungsreaktion durch das menschliche Immunsystem zu verhindern. Derart modifizierte Organe wurden bereits mit großem Erfolg in präklinischen Studien mit nichthumanen Primaten eingesetzt.
Auch wenn die Operation keinen medizinischen Wendepunkt darstellte – denn dafür dauerte das Experiment nicht lange genug – dennoch: Mehrere seriöse Forscherteams publizierten zu möglichen regulatorischen Wegen, ersten Indikationen und klinischen Studien für eine Xenotransplantation von soliden Organen.
Experten wie Dr. Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der FU Berlin, wertete die Transplantation der Schweineniere vor diesem Hintergrund als „weiteren Schritt auf dem Weg der Einführung der Xenotransplantation unter Verwendung von Schweineorganen in die Klinik“.
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: Schweineherz als Lebensretter? „Xenotransplantation in der Klinik angekommen“ – Einschätzungen zur Pionier-OP in den USA - Medscape - 12. Jan 2022.
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