In der Arbeitswelt und auch im Privatleben findet seit einigen Jahren eine digitale Transformation statt, der sich so gut wie niemand entziehen kann. Für viele alltägliche Aufgaben, etwa für die Kommunikation mit Kollegen oder für Bankgeschäfte, setzen immer mehr Menschen Computer, Tablet oder Smartphone ein; beschleunigt wird dieser Prozess derzeit durch die aktuelle Pandemie. Es ist davon auszugehen, dass in einigen wenigen Jahren viele Tätigkeiten in der Arbeitswelt wie im Privatleben ohne smarte Geräte kaum noch möglich sein werden.
Wie jeder technische Fortschritt hat jedoch die zunehmende Digitalisierung unseres Lebens positive und negative Seiten. Ein aktuelles Stichwort lautet: Technostress. Die Sozialwissenschaftler Nico Dragano, Universität Düsseldorf, Steffi G. Riedel-Heller, Universität Leipzig, und Thorsten Lunau, Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken, haben sich näher mit diesem Thema befasst und den aktuellen Wissensstand dazu zusammengefasst. Sie publizierten ihre Erkenntnisse in Der Nervenarzt [1].
Was ist eigentlich Technostress?
Der US-amerikanische Psychologe Craig Brod war nach Angaben des Autorenteams um Dragano einer der ersten Wissenschaftler, der darauf verwiesen habe, dass Computertechnologie eine Ursache für Stress bei ihren Benutzern sein könne. Brod habe vor fast 40 Jahren den Begriff „Technostress“ eingeführt, um psychologische Reaktionen auf negative Erfahrungen mit Computern zu beschreiben.
Basierend auf klinischen Beobachtungen habe er Technostress als „moderne Anpassungskrankheit definiert, die durch die Unfähigkeit verursacht werde, mit den neuen Computertechnologien auf gesunde Weise umzugehen“. Seitdem sei das Interesse an dieser modernen Krankheit stetig gewachsen, berichten italienische Wissenschaftler um Giuseppe La Torre, Sapienza Universität Rom.
Unterteilt wird Technostress laut Dragano und seinen Kollegen in:
technische Überflutung (Techno-Overload),
technische Komplexität (Techno-Complexity),
Verunsicherung durch Technik (Techno-Insecurity),
Unsicherheit durch Technik (Techno-Uncertainty) und
technische Invasion (Techno-Invasion).
Zusätzliche Technostress-Erzeuger seien:
Unzuverlässigkeit durch Technik (Techno-Unreliability),
technische Arbeitsplatzüberwachung (Technological workplace surveillance) und
Stress durch Mensch-Maschinen-Interaktion (Stress in human-machine interaction).
Viele Faktoren haben Einfluss
Eine daraus resultierende chronische Aktivierung des menschlichen Stresssystems ist ein bekannter Risikofaktor für somatische und psychische Störungen. Zu beachten sei dabei jedoch, dass es mehrere weitere Faktoren gebe, die Einfluss darauf hätten, ob die Arbeit mit Technik als stressig empfunden werde oder nicht, betonen die Sozialwissenschaftler.
Beispiele seien die Einstellung der Mitarbeiter zu digitalen Techniken, die digitale Kompetenz, die Beteiligung an der Implementierung von digitalen Systemen und die technische Unterstützung durch den Arbeitgeber.
Außerdem habe der Begriff Technostress eine negative Bedeutung, obgleich moderne Technik auch so gestaltet und eingesetzt werden könne, dass sie die Arbeitsbelastung reduziere. Flexibilität zum Beispiel muss nach Angaben der Sozialwissenschaftler nicht zwangsläufig zu Konflikten zwischen Arbeit und Privatleben führen, sondern könne helfen, die Anforderungen aus verschiedenen Lebensbereichen besser in Einklang zu bringen.
Technostress eine Gefahr für die Psyche?
Führt Technostress zu psychischen Störungen? Diese Frage ist derzeit nicht mit ausreichender Sicherheit zu beantworten. Denn die Forschung zu Technostress als Risikofaktor für psychische Störungen stehe noch am Anfang, erklären Dragano und seine Kollegen. Empirische Studien seien rar, stützten sich oft auf kleine Stichproben und seien meist Querschnittsstudien.
Die Mehrheit dieser Studien konzentriert sich auf den Zusammenhang von IKT-Nutzung (IKT: Informations- und Kommunikationstechnologien) und Burnout. So habe zum Beispiel eine aktuelle Studie gezeigt, dass die arbeitsbedingte Smartphone-Nutzung nach Feierabend mit Burnout assoziiert sei. Die Autoren betonten daher das „Recht auf Abschalten“ nach der Arbeit, um Burnout vorzubeugen.
Autoren einer anderen Studie seien der Frage nachgegangen, ob eine Zunahme von Industrierobotern die psychische Gesundheit von Arbeitern beeinflusse. Die Autoren hatten gezeigt, dass ein Anstieg der sogenannten Roboter-Intensität (Verhältnis von Industrierobotern zur Beschäftigung) mit einer Abnahme der psychischen Gesundheit einhergehe.
Weitere Studien hätten Hinweise auf Zusammenhänge zwischen IKT und subjektiven Gedächtnisstörungen ergeben. Zusammenfassend lasse sich sagen, dass es einige wenige Studien gebe, meist Querschnittsstudien, die erste Hinweise darauf lieferten, dass Technostress die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern beeinträchtigen könne. Es seien jedoch mehr Längsschnittstudien erforderlich, um weitere und zudem sichere Erkenntnisse zu gewinnen, so die Autoren um Dragano.
Digitale Technologien am Arbeitsplatz – positive Seiten?
Digitale Technologien haben womöglich auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz. Eine Beobachtungsstudie habe zum Beispiel gezeigt, dass eine bessere Arbeitsorganisation durch IKT mit einem besseren Wohlbefinden der Mitarbeiter einhergegangen sei. Auch sei gezeigt worden, dass eine explizite E-Mail-Policy (Abrufen von Mails nur zu bestimmten Zeiten) den Stress reduzieren und das psychische Wohlbefinden fördern könne.
Insgesamt zeigten die bisher publizierten Daten, dass eine differenzierte Betrachtung der Auswirkungen digitaler Technologien erforderlich ist, fassen die Sozialwissenschaftler zusammen. Anders formuliert: Smartphone, Tablets & Co. können mal mehr Fluch als Segen sein, aber auch mal mehr Segen als Fluch.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de.
Credits:
© Mirko Vitali
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Medscape Nachrichten © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Psychische Störungen durch Handysucht und Technostress: Ist die Digitalisierung mehr Fluch als Segen? Was am meisten belastet - Medscape - 11. Jan 2022.
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