Fall: Dieser 47-Jährige sieht Doppelbilder, hat Kribbelgefühle in den Extremitäten und Gehstörungen. Wie helfen Sie ihm?

Sujatha R. Borra, Rahul R. Borra, Darshan Rola, Neal T. Patel

Interessenkonflikte

10. Januar 2022

Das Miller-Fisher-Syndrom ist noch seltener als das Guillain-Barré-Syndrom. Trotz der ähnlichen pathologischen Mechanismen dieser beiden Erkrankungen unterscheiden sich die klinischen Erscheinungsbilder drastisch. Während das Guillain-Barré-Syndrom typischerweise mit einer aufsteigenden Lähmung einhergeht, sind bei dem Miller-Fisher-Syndrom in der Regel die unteren Gesichts- und Hirnnerven betroffen, wozu sich mindestens 2 der folgenden Merkmale gesellen [3]:

  • Ataxie

  • Areflexie

  • Ophthalmoplegie und Ptose (Augenlähmung).

Die Symptome dieses Patienten legten die Diagnose eines Miller-Fisher-Syndroms nah, was dann durch die serologische Untersuchung des Liquors bestätigt wurde.

Die Charcot-Marie-Tooth-Krankheit oder „hereditäre sensomotorische Neuropathie“ ist eine weitere Erkrankung mit Schädigung der peripheren Nerven. Sie wird autosomal dominant, autosomal rezessiv oder X-chromosomal vererbt.

Eine Duplikation des PMP22-Gens auf Chromosom 17 führt zu einer abnormen Funktion der Proteine, welche die Struktur und Funktion des peripheren Nervenaxons oder der Myelinscheide der motorischen und sensorischen Nerven regulieren. Die Nerven degenerieren langsam und verursachen die typische Symptomatik einer unteren Motoneuronenläsion mit Atrophie, Schwäche und Hyporeflexie.

Deformierte Füße sind das typische Kennzeichen dieser Erkrankung. Ein Hohlfuß (Pes cavus) und Hammerzehen sind pathognomonisch für diese Erkrankung. Die Diagnose kann in der Regel bereits über eine ausführliche Anamnese und die körperliche Untersuchung gestellt werden. Wenn eine weitere Bestätigung erforderlich ist, kann durch Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit die Axonschädigung dokumentiert werden.

Da es keine kausale Behandlung gibt, geht es allein um unterstützende Maßnahmen. Eine gezielte Ergotherapie und orthopädische Hilfsmittel können einen wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung der Lebensqualität und zur Verbesserung der ADL leisten. Die körperliche Untersuchung des Patienten in diesem Fall ergab keine strukturellen Anomalien an den Füßen. Dieser Befund und das Fehlen einer CMT in der Familienanamnese schlossen diese Krankheit als Ursache für die Symptomatik aus.

Aufgrund der okulären Befunde wurde differenzialdiagnostisch auch eine Myasthenia gravis in Betracht gezogen. Diese neuromuskuläre Autoimmunerkrankung ist durch eine progrediente Schwäche der Skelettmuskulatur gekennzeichnet. Die Inzidenz für Deutschland liegt hier bei 1/100.000 Einwohner [4].

Die vorrangigsten Beschwerden bei der Myasthenia gravis sind Doppelbilder, Muskelschwäche, Müdigkeit und Schwierigkeiten beim Sprechen. Der Nachweis von Anti-Acetylcholinrezeptor(AChR)-Antikörpern ist hochspezifisch (bis zu 100%) für die Diagnose einer autoimmunologischen Myasthenia gravis [5]. Im Serum dieses Patienten wurden jedoch keine AChR-Antikörper gefunden. Außerdem hatte der Patient mit Ausnahme der Doppelbilder keines der klassischen Myasthenie-Symptome.

Eine weitere Erkrankung, die in diesem Fall der differenzialdiagnostischen Abgrenzung bedurfte, war der Botulismus, also die Vergiftung mit Botulinumtoxin, das von dem Bakterium C. botulinum produziert wird. Erwachsene nehmen das Toxin in der Regel über kontaminierte Lebensmittelkonserven und Eingemachtes auf, während Säuglinge die Sporen des Toxins eher etwa durch den Verzehr von Lebensmitteln wie Honig aufnehmen.

Das Toxin bindet an Gangliosiden auf der Oberfläche der präsynaptischen Nervenzellmembran und hemmt dadurch der Freisetzung von Acetylcholin aus dem präsynaptischen Neuron in den synaptischen Spalt. Dadurch kommt es zu Lähmungen.

In Deutschland wurden dem Robert Koch-Institut von 2001 bis 2018 jährlich zwischen 0 und 24 Fälle dieser meldepflichtigen Intoxikation angezeigt [6]. Eine solche konnte bei diesem Patienten jedoch ausgeschlossen werden, da es eine zentralnervöse Symptomatik gab und er in der Vergangenheit keine Lebensmittelkonserven genutzt hatte.

Kommentar

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