Es war ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Als die beiden plastischen Chirurgen Prof. Dr. Tobias Hirsch und Dr. Maximilian Kückelhaus ihren Patienten vor gut 6 Jahren im Verbrennungszentrum des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums Bergmannsheil in Bochum zum ersten Mal trafen, war der 7-jährige Junge dem Tode geweiht. Er hatte sich nicht verbrannt, sondern litt an der genetisch bedingten Hautkrankheit Epidermolysis bullosa junctionalis (EBJ).
Sie entschlossen sich, aus genetisch veränderten Zellen im Labor eine neue Epidermis zu kultiviren und dann zu transplantieren. Im NEJM berichten die Forscher jetzt von klinischen Langzeitergebnissen ihrer experimentellen Therapie [1].
Berührungen führen zu Blasen und offenen Wunden
Zum Hintergrund: Epidermolysis bullosa junctionalis wird auch Schmetterlingskrankheit genannt, weil die Haut der Patienten so zart ist wie die Flügel eines Schmetterlings. Auf jede nicht ganz sanfte Berührung reagiert sie mit Blasen und offenen Wunden, die nur schwer wieder verheilen. Die Haut des kleinen Patienten war damals zu rund 80% zerstört, zudem litt der Junge an schwerer Sepsis und Organversagen.
Die Mediziner studierten auf der Suche nach einer lebensrettenden Maßnahme die Fachliteratur und stießen dabei auf ein Verfahren, das italienische Forscher um den Biochemiker Prof. Dr. Michele De Luca von der Universität Modena und Reggio Emilia über mehrere Jahrzehnte hinweg entwickelt und bereits an 2 Patienten, allerdings nur auf sehr kleinen Hautarealen, erfolgreich getestet hatten. Bei der Methode werden den erkrankten Kindern Hautzellen entnommen und mithilfe viraler Vektoren genetisch so verändert, dass der Defekt der EBJ korrigiert wird. Aus den genveränderten Zellen lässt man im Labor neue Epidermis wachsen, die dann auf den zerstörten Hautarealen festgetackert wird.
Rund 80% der Körperoberfläche erhielten eine neue Epidermis
Im Jahr 2017 konnten Hirsch und seine Kollegen in der Fachzeitschrift Nature berichten, dass sie dem Jungen zwischen Oktober 2015 und Januar 2016 auf einer Gesamtfläche von 0,85 m2, also auf etwa 80% seiner Körperoberfläche, die aus genveränderten epidermalen Stammzellen und Keratinozyten gezüchtete Haut in 3 Eingriffen transplantiert hatten. Damals war jedoch völlig offen, ob die Epidermis aus dem Labor über längere Zeit stabil bleiben und ihre normalen Dienste leisten würde. „Unser Eingriff war aus der Not heraus geboren, dass keine Therapie zur Heilung verfügbar war“, sagt Kückelhaus im Gespräch mit Medscape.
Im NEJM beschreibt das Team um den diesmaligen Erstautoren, der ebenso wie Hirsch inzwischen an der Fachklinik Hornheide in Münster und am Universitätsklinikum Münster tätig ist, den aktuellen Zustand des mittlerweile 13-jährigen Patienten. „Dem Jungen geht es den Umständen entsprechend gut und er besucht eine öffentliche Schule“, erzählt Kückelhaus. „Die transplantierte Haut ist voll funktionstüchtig, weswegen wir nun darüber nachdenken, die noch ausstehenden 20% seiner Hautoberfläche, insbesondere an der Brust und den Oberschenkelinnenseiten, ebenfalls zu behandeln.“ Denn diese würden nach wie vor Beschwerden bereiten und müssten intensiv versorgt werden.
Mehr als 40% der Patienten sterben noch im Kindesalter
Die autosomal-rezessiv vererbte EBJ ist eine Form der Epidermolysis bullosa, bei der sich zwischen Epidermis und Dermis auf Höhe der Lamina lucida der Basalmembran Spalten bilden. Verursacht wird die EBJ unter anderem durch eine Mutation in dem Gen LAMB3, das für das kollagenähnliche Glykoprotein Laminin-332 kodiert. Bislang konnte die Krankheit nur symptomatisch behandelt werden. Mehr als 40% der betroffenen Patienten sterben, bevor sie das Jugendalter erreicht haben – oft auch an einem durch die Krankheit ausgelösten Plattenepithelkarzinom.
Bereits in der Nature-Studie hatten die Wissenschaftler gezeigt, dass eine geringe Zahl transgener Stammzellen mit einem korrigierten LAMB3-Gen, sogenannte Holoklone, in der Lage sind, sich sowohl in vitro als auch in vivo selbst zu erneuern und den Erhalt einer funktionsfähigen Epidermis über mehrere Regenerationszyklen hinweg sicherzustellen. „Da sich die Epidermis etwa einmal im Monat komplett erneuert, hat sie bei dem Patienten inzwischen mehr als 60 solcher Zyklen hinter sich“, sagt Kückelhaus.
Die neue Haut besitzt Haare, Schweiß- und Talgdrüsen
Er und seine Kollegen transplantierten ein sehr instabiles Gebilde aus genkorrigierten Keratinozyten und epidermalen Stammzellen sowie Fibroblasten, die sich gemeinsam auf einer Fibrinmatrix befanden, auf die unter den zerstörten Hautarealen liegende Dermis des Jungen. „Damit die neue Haut anwachsen konnte, mussten wir das Kind über mehrere Wochen hinweg in ein künstliches Koma versetzen“, erzählt Kückelhaus. Trotz des starken Wundbefalls habe man im OP kaum Antiseptika verwenden können, da diese für die Transplantate toxisch gewesen wären. „Und auch intubieren konnte man den Jungen aufgrund seiner Erkrankung natürlich nur ganz, ganz vorsichtig.“
5 Jahre nach den Eingriffen haben die Wissenschaftler jetzt nicht nur gezeigt, dass die Epidermis weiterhin stabil ist. Sie wiesen auch nach, dass die Stammzellen der tiefen Haarfollikel unverändert geblieben sind, dass es keinen Austausch zwischen ihnen und den transgenen Zellen gegeben hat und dass aus den Follikeln weiterhin Haare wachsen. „Zudem ermöglicht die neue Haut die regelhafte Funktion von Schweiß- und Talgdrüsen“, berichtet Kückelhaus. „Das hat uns positiv überrascht.“ Die Hydratation der Haut des Jungen sei dadurch in einem völlig normalen Bereich. Darüber zeigte sich, dass die Gentherapie auch langfristig nicht zur Entstehung von Tumoren geführt hat.
Immun- und Sinneszellen sind in die Haut eingewandert
Das Team nahm für seine Studie auch kleinere Biopsien vor. Sie konnten beobachten, dass Langerhanszellen in die transplantierte Haut eingewandert und auch Merkelzellen vorhanden waren. Erstere sind für Immunfunktionen der Haut erforderlich, letztere für die Wahrnehmung von Berührungsreizen. „Die neue Haut des Jungen sieht makroskopisch und mikroskopisch fast wie ganz normale Haut aus“, sagt Kückelhaus. „Lediglich die Pigmentierung ist unregelmäßig und unterscheidet sich dadurch von völlig gesunder Haut.“ Der 13-Jährige gilt als der weltweit einzige Mensch, der dauerhaft mit einem fast vollständig durch genmanipulierte Zellen ersetzten Organ lebt.
Ziel sei es nun, die noch ausstehenden Hautareale des Jungen ebenfalls mit der kombinierten Gen- und Zelltherapie zu behandeln, sagt Kückelhaus. Die italienischen Kollegen um De Luca planen zudem weitere klinische Studien, bei denen auch andere Formen der Schmetterlingskrankheit im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sollen – etwa die Epidermolysis bullosa dystrophica (EBD), die mit schweren Vernarbungen und Wachstumsstörungen einhergeht.
Insgesamt sind inzwischen knapp 20 Genveränderungen bekannt, die EBD, EBJ oder die leichtere Form, die Epidermolysis bullosa simplex (EBS) hervorrufen können. Alle betroffenen Gene kodieren für Proteine, die wie eine Art Kitt wirken und normalerweise die einzelnen Hautschichten zusammenhalten. Repariert könnten sie künftig genau dieser Aufgabe wieder nachkommen.
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Diesen Artikel so zitieren: 5-Jahres-Daten: Eine Gen- und Zelltherapie kann die tödliche Haukrankheit Epidermolysis bullosa junctionalis besiegen - Medscape - 28. Dez 2021.
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