Dysarthrie, Skelettdeformierungen, Epilepsie … Woran litt der „verhexte König“ von Spanien Karl II.?

Dr. Carlos Sierra

Interessenkonflikte

3. Januar 2022

Der spanische König Karl II. litt zeitlebens an einer Vielzahl von Krankheiten und Störungen. Manch einer vermutete Hexerei und teuflische Einflüsse. Ein australisches Forschungsteam der Universität Sydney und des Westmead Hospital, Australien, kam jüngst im BMJ Neurology Open zu neuen Ergebnissen [1].

Sie argumentieren, dass Karl II. an einer sehr seltenen Erbkrankheit gelitten haben könnte, die zur Gruppe der lysosomalen Speicherkrankheiten und der Glykoproteinose gehört, der Aspartylglucosaminurie – ausgelöst durch die inzestuösen Beziehungen der Habsburgerdynastie.

Die physischen und psychischen Probleme von Karl II.

Er lebte von 1661 bis 1700 und war der letzte König der spanischen Habsburger Dynastie: Karl II. Zeitlebens litt er unter einer schlechten Konstitution und Störungen wie Entwicklungsverzögerung, geistige Behinderung, Dysarthrie, Skelettdeformierungen, wiederkehrende Infektionen, Epilepsie und Unfruchtbarkeit.

Die Ursache für das Leiden von Karl II. bleibt bis heute unbekannt. Über die Jahrhunderte wurden mehrere Hypothesen aufgestellt, von denen jedoch keine das Ausmaß seiner Beschwerden vollständig erfasst. 

Zeitgenössische Quellen beschrieben den letzten Habsburger auf dem spanischen Thron als „dickköpfig“ und als „schwaches Baby an der Brust“. Im Alter von 3 Jahren waren seine Schädelknochen noch nicht miteinander verwachsen. Mit 4 Jahren konnte er nicht sprechen und wenn, dann nur mit vermindertem Redefluss, was auf eine Dysarthrie zurückzuführen sein könnte. Bis zum Alter von 6 Jahren konnte er nicht laufen. Darüber hinaus hatte er eine schwere geistige Behinderung und eine ausgeprägte psychiatrische Störung.

Weitere Symptome waren:

  • Durchfall

  • Lungeninfektionen

  • Unfruchtbarkeit

  • Krampfanfälle

  • Herpetische Ausschläge auf beiden Wangen

  • Schwere Essschwierigkeiten (Sabbern)

Am auffälligsten an Karl II. war jedoch sein Gesichtsausdruck, der durch zahlreiche Porträts gut dokumentiert ist. Er besaß einen kräftigen, kantigen Kiefer (den berühmten Habsburger Kiefer), eine große Zunge, runde, pralle Lippen, eine flache Nase und eine große, breite Stirn.

Bisherige Vermutungen klären nicht alle Krankheitsmerkmale

Hypopituitarismus in Kombination mit renaler tubulärer Azidose, Fragiles-X-Syndrom, Klinefelter-Syndrom, Hydrozephalus und XX-Männchen-Hermaphroditismus in Verbindung mit dem Fragilen-X-Syndrom wurden zur Erklärung dieses komplexen Krankheitsbildes herangezogen.

„Keine dieser Hypothesen erklärt jedoch alle Merkmale der Karl-II-Krankheit. So sind die Gesichtszüge des Fragilen-X-Syndroms zwar ähnlich, doch fehlen die klassischen Merkmale wie volle, breite Lippen, ausgeprägter Kiefer und kleine Ohren, die bei Karl II. zu beobachten waren. Auch die häufigen Durchfälle, Skelettveränderungen und Krämpfe lassen sich damit nicht erklären.

Ebenso wenig konnte Hypopituitarismus die Makrozephalie, die Gesichtszüge oder andere systemische Aspekte seiner Störung erklären. Auch die vorgeschlagene renale tubuläre Azidose oder der neuere Hydrocephalus können das ganze Bild nicht erklären“, so die Autoren um Andrew Martin gegenüber Univadis España.

Ursachen und Häufigkeit der Aspartylglucosaminurie

Aspartylglucosaminurie ist eine autosomal rezessiv vererbte lysosomale Störung, die durch einen Mangel des Enzyms N-Aspartyl-beta-Glucosaminidase verursacht wird. Es kommt zu Ablagerung und Anhäufung von Glykoasparaginen, hauptsächlich Aspartylglucosamin, in verschiedenen Geweben, einschließlich denen des Nervensystems. Die meisten Fälle wurden in Finnland beschrieben, wo es einen Fall pro 18.500 Menschen gibt. Außerhalb Finnlands ist sie viel seltener, obwohl die genaue Häufigkeit unbekannt ist.

Da die Krankheit autosomal rezessiv vererbt wird, muss eine Person das abnorme Gen (AGA-Gen) von beiden Elternteilen erhalten haben. Deshalb kommt sie in Populationen mit hoher Blutsverwandtschaft, wie z.B. den Habsburgern, häufiger vor.

Typische Merkmale der Aspartylglucosaminurie

Betroffene haben eine normale Geburt und frühe Kindheit, wobei sich die Symptome im Alter von 2-3 Jahren in Form von Sprach- und motorischen Entwicklungsverzögerungen und geistiger Behinderung zu manifestieren beginnen. Äußerlich zeigt sie sich in einem markanten Gesichtsausdruck, der aus einem Hypertelorismus der Augen, geschwollenen Augenlidern, kleinen Ohren, vollen Lippen, einem ausgeprägten quadratischen Kiefer, einem kurzen Amorbogen und einer breiten Nase besteht.

Die Patienten altern vorzeitig und können eine relative Mikrozephalie aufweisen, vermutlich aufgrund des verzögerten Schädelwachstums. Sie können auch an einer Vielzahl von Hautläsionen leiden, wie z.B. Erythemen, herpetischen Läsionen, Angiofibromen im Gesicht, Seborrhoe, Zahnfleischwucherungen, oralen Ödemen und gelegentlich Tumoren und Fisteln.

Häufig sind Knochenanomalien zu sehen, darunter deformierte Rippen, Skoliose und Verdickungen des Schädeldaches. Weitere Merkmale der Krankheit sind wiederkehrende Lungeninfektionen, Durchfall, Hypermobilität des Bindegewebes, Leistenbrüche, Bewegungsstörungen und Epilepsie.

Die geistige Behinderung ist zu Beginn in der Regel leicht, wobei die verbalen Störungen am stärksten ausgeprägt sind, und nimmt im späten Erwachsenenalter einen schweren Verlauf, der mit einer Vielzahl von psychiatrischen Symptomen einhergehen kann.

Der Krankheitsverlauf ist progressiv, und die meisten Menschen mit Aspartylglucosaminurie sterben zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr, wobei sie in den letzten Lebensjahren apathisch sein können, wie es bei Karl II. der Fall war.

Karl II. und Aspartylglucosaminurie

Solange keine überzeugenden Antworten vorliegen, müssen neue Hypothesen aufgestellt werden. Zu diesem Zweck gingen die australischen Forscher weiter und untersuchten die Habsburger-Dynastie als Ganzes.

Die umfangreiche Inzuchtgeschichte der Habsburger ist gut dokumentiert und war für ihr schlechtes Überleben verantwortlich: 29,4% der Habsburger starben vor dem ersten Lebensjahr und 50% vor dem 10. Lebensjahr. Die Inzucht war im spanischen Zweig, dessen letzter Vertreter Karl II. war, sogar noch größer, wodurch das Risiko, an einer rezessiven Erbkrankheit wie der Aspartylglucosaminurie zu leiden, erheblich erhöht wurde. Die könnte die meisten, wenn nicht sogar alle der dokumentierten Merkmale Karls II. erklären.

Darüber hinaus war Karl II. nicht der einzige Habsburger, der an psychiatrischen und neurologischen Störungen litt. Es gibt Dokumente, die dasselbe Problem bei anderen Mitgliedern dieser Familie erwähnen, wie z.B. Psychosen, häufige Epilepsie und Schwierigkeiten beim Gehen ­– was auf Ataxie hindeutet – und natürlich die charakteristischen habsburgischen Gesichtszüge, die die Aspartylglucosaminurie-Hypothese bestätigen.

Es stimmt zwar, dass nicht alle Mitglieder der Habsburger, die dieses Gesichtsmerkmal besaßen, so stark litten wie Karl II., aber das diskreditiert nicht die Möglichkeit einer autosomal rezessiven Krankheit. Ganz im Gegenteil: Heterozygote Träger des geschädigten Gens konnten zwar das für diese Familie charakteristische Gesichtsmerkmal entwickeln. Aber da sie auch eine ungeschädigte Kopie des AGA-Gens besaßen, entwickelten sie nicht die anderen oben genannten Komplikationen. 

Doch trotz der Stärke dieses neuen Vorschlags „ist es in diesem Stadium unmöglich zu beweisen, dass er wahr ist. Die spanische Linie der Habsburger ist ausgestorben, so dass es keine modernen direkten Nachkommen gibt. Am nächsten kämen die der österreichischen Linie, aber diese hatte von Anfang an eine geringere Blutsverwandtschaft, was es wiederum unmöglich macht, sicher zu sein, dass es sich bei der Krankheit Karls II. um Aspartylglucosaminurie handelte“, so die Forscher.

Dieser Artikel ist bei Univadis Spanien erschienen, wurde von Sebastian Schmidt übersetzt und bearbeitet und erschienen auf  Coliquio.de .

 

Kommentar

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