Adipositas-Chirurgie als Risikofaktor für Epilepsie?

Pauline Anderson

Interessenkonflikte

17. Dezember 2021

Scheinbar besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen Adipositas-chirurgischen Eingriffen zur Gewichtsreduktion und einem deutlich erhöhten Epilepsie-Risiko. Dies legen die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie nah. Die Arbeit widmet sich jedoch nicht den möglichen Mechanismen hinter einem solchen Zusammenhang.

Für Studienleiter Prof. Dr. Jorge Burneo, Professor für Neurologie, Biostatistik und Epidemiologie und Inhaber der Stiftungsprofessur für Epilepsie an der Western University im kanadischen London, Provinz Ontario, könnte die Ursache in einem postoperativ veränderten Darmmikrobiom liegen. „Die veränderte Biologie des Darms nach einer solchen Operation könnte die Anfallsneigung bei diesen Patienten erhöhen“, erklärte er gegenüber Medscape.

 
Die veränderte Biologie des Darms nach einer solchen Operation könnte die Anfallsneigung bei diesen Patienten erhöhen. Prof. Dr. Jorge Burneo
 

Die Studienergebnisse wurden auf der virtuellen Jahrestagung 2021 der American Epilepsy Society (AES) vorgestellt [1].

„Wie aus heiterem Himmel“

Während seiner Ausbildung in Epileptologie stieß Burneo auf eine Reihe von Patienten, die praktisch „aus heiterem Himmel“ eine Epilepsie entwickelt hatten. „Das einzig Auffällige in ihrer Anamnese waren Adipositas-chirurgische Eingriffe“, sagte er. Später als praktizierender Epileptologe begegnete er dann erneut Patienten, bei denen er einen Zusammenhang zwischen Epilepsie und derartigen Operationen vermutete.

Um einen solchen fraglichen Zusammenhang zwischen den beiden Faktoren zu klären, suchten Burneo und sein Team 16.958 erwachsene Patienten aus Datenbanken des Institute for Clinical Evaluative Sciences (ICES) heraus, die sich zwischen Juli 2010 und Dezember 2016 einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen hatten. Außerdem analysierten sie die Daten einer Stichprobe von 622.514 adipösen Patienten, die sich keinem solchen Eingriff unterzogen hatten.

Keiner der Studienteilnehmer hatte zuvor Anfälle gehabt, keiner nahm Antiepileptika ein, und keiner wies eine psychiatrische Begleiterkrankung auf. Auch hatte sich niemand zuvor einer Hirnoperation unterziehen müssen, durch die ein Epilepsie-Risiko erhöht sein könnte.

Die beiden Studiengruppen ähnelten sich bei den Variablen Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) und einigen anderen Merkmalen.

Die Untersucher ermittelten bei allen Teilnehmern bis zum 31. Dezember 2019 mögliche Fälle einer neu aufgetretenen Epilepsie (2 oder mehr unprovozierte Anfälle). Während dieses Nachbeobachtungszeitraums entwickelten 73 Teilnehmer (0,4%), die sich einem Adipositas-chirurgischen Eingriff unterzogen hatten, eine Epilepsie (50,1 pro 100.000 Personenjahre).

Neben der Epilepsie beobachteten die Untersucher auch Schlaganfälle und Infektionen des zentralen Nervensystems wie Meningitis und Enzephalitis.

Erhöhtes Epilepsie-Risiko festgestellt

Die Untersucher stellten dabei ein signifikant erhöhtes Epilepsie-Risiko bei denjenigen fest, die sich wegen ihrer Adipositas einer Operation zur Gewichtsreduktion unterzogen hatten, gegenüber denjenigen, die nicht operiert worden waren (Hazard Ratio [HR] 1,45; 95% Konfidenzintervall [KI] 1,35–1,56).

Die Ergebnisse unterschieden sich hinsichtlich der verschiedenen Operationsformen wenig. Manche OP-Verfahren verringern die Fähigkeit des Körpers, Nährstoffe zu absorbieren, während andere dies nicht tun.

Darüber hinaus zeigte sich in der Operationsgruppe bei denjenigen, die während der Nachbeobachtungszeit einen Schlaganfall erlitten hatten, ein deutlich erhöhtes Epilepsierisiko (HR 14,03; 95% KI 4,26–46,25).

Dies bestätigt das bekanntermaßen erhöhte Epilepsie-Risiko nach einem Schlaganfall. Nach Burneos Zahlen entwickeln bis zu 6% dieser Patienten eine Epilepsie. Dabei ist das Risiko nach einem hämorrhagischen Schlaganfall größer als nach einem ischämischen.

Unbekannter Mechanismus

Aus der Studie geht nicht hervor, warum sich die Kontrollgruppe einem Adipositas-chirurgischen Eingriff unterzog. Außerdem fehlten Angaben zur Art der Epilepsie der Operierten. „In meiner Praxis handelte es sich bei allen operierten Patienten, die eine Epilepsie entwickelt hatten, um fokale Anfälle“, so Burneo.

 
In meiner Praxis handelte es sich bei allen operierten Patienten, die eine Epilepsie entwickelt hatten, um fokale Anfälle. Prof. Dr. Jorge Burneo
 

Der Mechanismus, der einen solchen Eingriff mit einer erhöhten Anfallsneigung verbindet, sei unklar, so Burneo, doch für ihn ist es wahrscheinlich, dass Veränderungen im Mikrobiom damit in Zusammenhang stehen, was zu den wachsenden Einsichten über die Verbindung zwischen Darm und Gehirn passt. Der drastische Gewichtsverlust nach Adipositas-Chirurgie könnte auch Elektrolytstörungen verursachen, die zu Anfällen prädisponieren, fügte er hinzu.

Zukünftige Forschungsanstrengungen sollten sich den zugrunde liegenden Mechanismen dieses Zusammenhangs widmen.

Allerdings sei bei möglicherweise bis zu 80% der Fälle der Ursprung einer Epilepsie unbekannt, sagte Burneo weiter. Mit verschiedenen Instrumenten ließen sich diverse genetische und autoimmunologische Faktoren identifizieren, die diesen Anteil auf vielleicht 60% senkten.

„Aber es bleibt immer noch ein großer Anteil von Patienten, bei denen wir im Dunkeln tappen, was die Ursache von Anfällen angeht.“ Die Adipositas-Chirurgie könnte einer dieser bislang unbekannten Faktoren sein, die das Anfallsrisiko erhöhen, so Burneo.

 
Aber es bleibt immer noch ein großer Anteil von Patienten, bei denen wir im Dunkeln tappen, was die Ursache von Anfällen angeht. Prof. Dr. Jorge Burneo
 

Beitrag zur Hypothesenbildung

Dr. Daniel M. Goldenholz, Dozent für Neurologie am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston, befasst sich mit verschiedenen Aspekten der Epilepsie. In einem Kommentar für Medscape bezeichnete er die Arbeit als „interessante und groß angelegte Analyse“. Er fügte jedoch hinzu, dass solche Studien am besten zur „Hypothesenbildung“ genutzt würden, denn es sei schwierig, die vielen beteiligten Variablen zu kontrollieren.

Dass ein postoperativer Schlaganfall mit einem möglicherweise viel höheren Epilepsie-Risiko verbunden sei, „stimmt gut mit anderen Studien überein“, die auf der diesjährigen AES-Tagung vorgestellt worden seien, sagte Goldenholz, der nicht an der Studie beteiligt war. Jetzt sei er gespannt, welche Faktoren sich nach Operationen ohne einen solchen Schlaganfall als relevant für das Epilepsie-Risiko erweisen könnten.

„Sicherlich bedarf es weiterer Untersuchungen, um die Ergebnisse sorgfältig zu validieren und die Ursachen weiter zu erforschen, wenn sich diese Ergebnisse bestätigen“, so Goldenholz.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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