Cushing-Syndrom: Cortisol-Überschuss schadet Gedächtnis und Psyche langfristig

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

16. Dezember 2021

Typisch für das Cushing-Syndrom sind Gewichtszunahme, Verlust der Muskulatur, schlechte Wundheilung und Infektanfälligkeit. Welche geistigen und seelischen Schäden Cushing verursacht, ist weniger bekannt. Die dauerhafte Cortisol-Überproduktion beeinträchtigt Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Sprachvermögen, räumliche Wahrnehmung und psychische Stabilität teilweise aber ganz erheblich – und das noch Jahre nach einer erfolgreichen Therapie.

Das zeigt eine aktuelle Übersichtsarbeit von Prof. Dr. Ilonka Kreitschmann-Andermahr und ihren Kollegen [1]. Kreitschmann-Andermahr, Leiterin der Ambulanz an der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Universitätsklinikum Essen, und ihr Team haben 27 Studien ausgewertet und untersucht, welche psychischen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Cushing auftraten. Sie fanden heraus, dass das Gedächtnis und die räumlich-visuelle Verarbeitung am nachhaltigsten beeinträchtigt waren.

 
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass ein Überschuss an Cortisol die Gefühlswelt sowie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprachvermögen und Wahrnehmung gehörig aus dem Gleichgewicht bringen kann. Prof. Dr. Ilonka Kreitschmann-Andermahr
 

Zuviel Cortisol kann das Gehirn und die neuropsychischen Funktionen in Mitleidenschaft ziehen. „Das liegt daran, dass viele Gehirnzellen – insbesondere in dem für die Gefühlswahrnehmung wichtigen inneren Rand des Schläfenlappens, dem sogenannten Hippocampus – auf ihrer Oberfläche Andockstellen für Cortisol ausbilden“, erklärt Kreitschmann-Andermahr in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Diese Stellen sind wichtig für das Denkvermögen und seelische Vorgänge.

Weitere Rezeptoren in anderen Arealen des Gehirns spielen eine Rolle bei rationalen Bewertungen, der Deutung von Zusammenhängen und der Gedächtnisbildung. „Es ist leicht nachzuvollziehen, dass ein Überschuss an Cortisol die Gefühlswelt sowie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprachvermögen und Wahrnehmung gehörig aus dem Gleichgewicht bringen kann“, erklärt Kreitschmann-Andermahr, die auch Vorstandsmitglied der DGE ist.

Neuropsychologische Trainingsprogramme können helfen

Bildgebende Untersuchungen zeigen, dass sich bei Patienten mit einem dauerhaft zu hohen Cortisolspiegel diese Hirnstrukturen zurückbilden: „Chronischer Cortisol-Überschuss kann das Gehirn verändern, so dass es schwieriger wird, zu denken und sinnvolle Entscheidungen zu treffen“, sagt Kreitschmann-Andermahr.

 
Chronischer Cortisol-Überschuss kann das Gehirn verändern, so dass es schwieriger wird, zu denken und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Prof. Dr. Ilonka Kreitschmann-Andermahr
 

Erholt sich die Gedächtnisfunktion, nimmt auch das Volumen des Hippocampus und anderer Hirnregionen wieder zu. Die DGE weist deshalb darauf hin, wie wichtig eine intensive Nachsorge von Patienten mit Morbus Cushing ist und verweist auf die eben erschienenen internationalen Therapieempfehlungen.

Erfreulicherweise bessern sich die neuropsychologischen Funktionen von Patienten mit einem Morbus Cushing nach erfolgreicher Behandlung im Lauf der Zeit wieder. Besteht zusätzlich eine Depression, muss diese zuerst behandelt werden, denn „unbehandelte Depressionen können Gedächtnis- und andere Hirnleistungsstörungen verstärken“.

Bleiben trotzdem schwere Beeinträchtigungen bestehen, könnten eine neuropsychologische Diagnostik und entsprechende Trainingsprogramme hilfreich sein, sagt Kreitschmann-Andermahr.

„Die aktuellen Consensus-Empfehlungen unterstützen eine rasche Diagnostik und Therapie. Wir raten, diese in entsprechenden Zentren durchführen zu lassen“, sagt Prof. Dr. Stephan Petersenn, Pressesprecher der DGE und Leiter der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg.

 
Die aktuellen Consensus-Empfehlungen unterstützen eine rasche Diagnostik und Therapie. Wir raten, diese in entsprechenden Zentren durchführen zu lassen. Prof. Dr. Stephan Petersenn
 

Wichtig sei aber auch die Aufklärung über die vielfältigen Symptome. Insbesondere bei ihrer Kombination sollte der behandelnde Arzt an die Erkrankung denken. „Auch die Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem geben wichtige Hinweise“, betont Petersenn.

Tumor der Hypophyse ist meist die Ursache der Überproduktion

Zu den Ursachen für einen anhaltenden Cortisol-Überschuss gehören – neben Stress – entweder eine sehr hohe Zufuhr von Cortison-haltigen Medikamenten (exogenes Cushing-Syndrom) oder eine krankhafte körpereigene Überproduktion (endogenes Cushing-Syndrom).

In 80 bis 85% der Fälle wird die Überproduktion durch einen Tumor der Hypophyse verursacht. „Im Tumor des Vorderlappens der Hypophyse wird ein Überschuss des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) gebildet. Das ACTH regt die Nebennierenrinde zu einer übermäßigen Cortisol-Produktion an“, erklärt Kreitschmann-Andermahr.

Das endogene Cushing-Syndrom ist viel seltener als die exogene Variante. Schätzungen gehen von jährlich 3 neu diagnostizierten Patienten pro eine Million Einwohner aus.

Morbus Cushing zieht weitere Krankheiten nach sich: eine erhöhte Anfälligkeit für Bluthochdruck, Glukosestoffwechselstörung sowie Osteoporose. Auch die Sterblichkeit ist erhöht.

In der Regel wird der Tumor chirurgisch entfernt, meist minimalinvasiv. Bei der transsphenoidalen Hypophysen-Operation erfolgt der Zugang zur Schädelbasis durch die Nase. Ist das nicht oder nur unvollständig möglich, stehen andere Therapieoptionen zur Verfügung: Medikamente, eine Strahlentherapie und die Entfernung der Nebennieren.

 

Kommentar

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