Eine Assoziationsstudie zur Wirkung von Omega-3-Fettsäuren war für Prof. Dr. Hans-Christoph Diener der Auslöser für eine Literaturrecherche – mit einem erschütternden Ergebnis.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Ich weiche heute von meinem gewohnten Schema ab, nämlich über interessante Studien in der Neurologie im letzten Monat zu berichten. Denn im Dezember 2021 war keine Studie dabei, von der ich den Eindruck hatte, dass sie Ihre klinische Tätigkeit in irgendeiner Form beeinflussen würde.
Ich bin aber auf eine ganz interessante Publikation in JAMA gestoßen [1]. Es handelt sich um eine Studie mit über 30.000 Patienten, in der untersucht wurde, ob Omega-3-Fettsäuren das Entstehen einer Depression im Vergleich zu Placebo verhindern können.
Diese Studie war negativ, aber sie hat mein Interesse geweckt bezüglich dieser Fragestellung. Was sind die biologischen Wirkungen von Fischöl, also Omega-3-Fettsäuren, und was weiß man über diese Thematik auch in Bezug auf die Neurologie.
Ich habe in MEDLINE etwa 33.000 Zitate gefunden und diese natürlich nicht alle gelesen. Aber was mir auffiel, waren Assoziationsstudien, also Studien, die beschreiben, dass möglicherweise die Einnahme von Omega-3-Fettsäuren mit einem geringeren Risiko für bestimmte Krankheiten einhergeht.
Das Ganze begann mit Beobachtungen bei Eskimos in Grönland und Alaska nach dem 2. Weltkrieg, weil dort auffiel, dass sich diese Menschen viel von Fisch und Robbenfleisch ernähren und eine sehr niedrige Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen haben.
Es gab dann eine unendliche Zahl von Assoziationsstudien und ich lese Ihnen mal kurz vor, bei welchen Krankheiten vermutet wurde, dass Omega-3-Fettsäuren einen positiven Effekt haben. Das sind:
kardiovaskuläre Erkrankungen
dann hauptsächlich Hyperlipidämie
Typ-2-Diabetes,
verschiedene Malignome
kognitive Beeinträchtigungen
Alzheimer-Erkrankung
Depression und Angsterkrankungen
Herzinsuffizienz
Bandscheibenvorfälle
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom
Beschwerden während der Menopause
rheumatoide Arthritis
Asthma
Parodontitis
Epilepsie
Verträglichkeit von Chemotherapie
prämenstruelles Syndrom
nichtalkoholische Fettleber
Was ist das Problem?
Das Problem ist, das es sich um Assoziationsstudien handelt. Man hat große Populationen, z. T. über 400.000 Menschen verglichen, und zwar die Menschen, die vermehrt Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen, und diejenigen, die es nicht tun. Man hat dann immer wieder positive Assoziationen gefunden. Aber Assoziation heißt nicht, dass ein kausaler Zusammenhang besteht.
Wirklich frustrierend sind die Ergebnisse der randomisierten placebokontrollierten Studien. So gibt es eine Metaanalyse zum Einsatz von Omega-3-Fettsäuren bei kardiovaskulären Erkrankungen [2]. Eingeschlossen wurden 86 Studien mit über 162.000 Patienten.
Hier ergab sich kein Nutzen für die Gesamt- und kardiovaskuläre Sterblichkeit, kein Nutzen für die Reduktion von Herzinfarkt und Schlaganfall. Es fand sich lediglich ein Trend für eine reduzierte Sterblichkeit bei koronarer Herzkrankheit, aber die NNT liegt bei 334, das heißt, es müssten 334 Menschen über Jahre hinweg Omega-3-Fettsäuren zu sich nehmen, um 1 tödliches kardiales Ereignis zu verhindern.
Es gibt insgesamt 6 Studien zur Alzheimer-Erkrankung und 3 weitere Studien zur Demenz mit Patientenzahlen zwischen 600 und 800. Diese waren ebenfalls ohne Effekt.
Dann gibt es noch eine ganze Reihe von placebokontrollierten Studien, nämlich 31, zur Frage der Therapie oder der Verhinderung von Depression und Angsterkrankung [3]. Diese Studien mit über 50.000 Patienten haben ebenfalls keinen Effekt gezeigt.
Mein Fazit
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Werbung für Omega-3-Fettsäuren, sei es im Fernsehen, sei es in der Yellow Press, sei es in Anzeigen, und der tatsächlichen wissenschaftlichen Evidenz.
Zumindest für uns in der Neurologie gibt es keinen Beleg dafür, dass Omega-3-Fettsäuren einen Nutzen haben. Das gilt für Schlaganfälle, Demenz, Alzheimer-Krankheit, Depression und Angsterkrankungen.
Eine wichtige Botschaft ist: Eine Assoziation in populationsbezogenen Studien bedeutet nicht einen kausalen Therapieeffekt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Medscape © 2022
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Frust-Fazit zu Omega-3-Fettsäuren – „kein Nutzen … und erhebliche Diskrepanz zwischen Werbung und Evidenz“ - Medscape - 24. Jan 2022.
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