Mit Kollegen und Patienten auf Du und Du? Was Ärzte davon halten

Marc Fröhling

Interessenkonflikte

15. Dezember 2021

Immer häufiger wird am Arbeitsplatz geduzt. Doch gilt das auch für den Arztberuf? Ärzte berichten von eigenen Erfahrungen und Vorgehensweisen – bei der Anrede untereinander und auch bei langjährig bekannten Patienten.

In Deutschland verbreitet sich am Arbeitsplatz immer mehr das „Du“. Umfragen zufolge duzt inzwischen jeder dritte Angestellte Führungskräfte und die Kollegschaft. Einerseits werden so Hierarchien abgeflacht und das „Wir-Gefühl“ gefördert. Auch Probleme und Fehlverhalten lassen sich auf diese Weise leichter ansprechen, so Fachleute.

Auf der anderen Seite kann das „Du“ jedoch auch zu falscher Vertrautheit führen und dazu verleiten, zu viel Privates am Arbeitsplatz auszuplaudern. Der respektvolle Umgang miteinander wird erschwert, zudem besteht die Gefahr von verbalen Entgleisungen.

Duzen auch im Arztberuf?

Auch der Arzt und Jurist Dr. Dr. Rainer Erlinger hat sich in seiner Kolumne „Die Gewissensfrage“ im Süddeutsche Zeitung Magazin mehrmals mit der Frage nach der korrekten Anrede auseinandergesetzt. Er merkt dabei an, selbst ein großer Freund des Siezens zu sein.

Ihm zufolge gelte im Deutschen die Grundregel des Siezens, wenn nicht besondere Umstände vorliegen. Wird das Duzen als Ausnahme betrachtet und nicht inflationär verwendet, könne darüber eine Vertrautheit hergestellt werden, die in Richtung Freundschaft geht.

Erlinger bezieht sich hier allerdings auf den privaten Kontext – in diesem konkreten Fall geht es um einen Arzt, dessen ältere Nachbarn ihm aufgrund seines Berufes nicht das „Du“ anbieten möchten.

Welche Anrede wird im Arztalltag bevorzugt?

Auch im coliquio-Forum war die kollegiale Anrede im Arztalltag bereits Thema. Viele Kolleginnen und Kollegen bevorzugen demnach ein grundsätzliches „Sie“ am Arbeitsplatz – gute Kollegschaft funktioniert etwa laut hapelo aus der Anästhesiologie auch auf diese Weise. Nach langem Kennen und Schätzen kann dann irgendwann ein „Du“ daraus werden. 

dent 402, niedergelassen in der Zahnmedizin tätig, unterscheidet mit Blick auf die Ansprache 3 Ebenen: ärztliche Kolleginnen und Kollegen in einer Praxisgemeinschaft sowie langjährige Mitarbeitende werden geduzt. Um eine gesunde Distanz zu wahren und die Hierarchie nicht angreifbar zu machen, werden alle weiteren Mitarbeitenden gesiezt. Bei externen Kolleginnen und Kollegen komme es letztlich auf die individuellen Rahmenbedingungen an.

Einige Kolleginnen und Kollegen merken zudem an, dass das „Sie“ auch für die schriftliche Kommunikation gelten sollte. So wirke etwa das Duzen in Arztbriefen unprofessionell, so cyberdoctor aus der Allgemeinmedizin.

jschei und goldi2, beide aus der Allgemeinmedizin, halten es in ihren Praxen bei der gesamten Belegschaft dagegen beim „Du“. Respektvoller Umgang herrsche dennoch, Anordnungen würden ebenso durchgeführt. juerg001 , aus demselben Fachgebiet, sieht darin dagegen eine massive Abwertung des „Du“. Wechselte früher ein Chef nach langer Zeit zum „Du“, sei dies als klares Zeichen von Wertschätzung zu verstehen gewesen. Heute sei das „Du“ dagegen weitgehend wertlos.

Viele Kolleginnen und Kollegen berichten auch von Ihren Erfahrungen in Österreich und der Schweiz. So wird nach grukon aus der Notfallmedizin in Salzburg gesiezt, während in Tirol – auch am Rettungsfunk – das Du vorherrscht. Auch in der Schweiz wird unter der Kollegschaft und dem Personal laut schmidt-dorn aus der Anästhesiologie vorwiegend geduzt. Allerdings handele es sich dabei nicht um ein kumpelhaftes „Du“ wie in Deutschland, sondern vielmehr um ein distanziertes, respektvolles „Du“, mit dem man sehr gut umgehen könne.

Patientenansprache: Wie gelingt der Übergang vom Du zum Sie?

Ein weiterer Aspekt im Arztalltag ist die Anrede von Patienten. Besonders interessant ist hier die Frage nach der korrekten Anrede, wenn bereits aus Kindertagen bekannte  Patienten über die Jahre Erwachsene werden. Erlinger hat sich zu einem ähnlichen Thema geäußert und rät zu folgender Daumenregel: Da einseitiges Duzen ein Statusgefälle ausdrücke, müssen die Besonderen Umstände des Duzens „enden, sobald das Kind kein Kind mehr ist". Festmachen lasse sich das zum einen an einem bestimmten Alter, etwa 16 Jahre, oder aber an der Persönlichkeit der Teenager.

chanice aus der Frauenheilkunde und Geburtshilfe siezt alle Patientinnen ab 14 Jahren. Dies auch wegen dem Thema Verhütung, das mit Sexualität und Erwachsensein zu tun habe – und auch der Wahrnehmung als erwachsene Person. 

heiweid aus der Zahnmedizin fragt die Heranwachsenden, ob diese gesiezt werden möchten, was jedoch meist auf Ablehnung stößt. Die Handhabe erfolgt situativ und intuitiv – bislang ohne Probleme. 

Einen fachlichen Blick auf den Übergang vom „Du“ zum „Sie“ wirft paraklet aus der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie: Demnach liegt dieser Schritt in der Verantwortung des ärztlichen Personals. Vermieden werden sollte dagegen die Frage, ob Heranwachsende weiter geduzt werden möchten, da dies die hierarchische Position der jugendlichen Person selbst verkenne. Der Übergang zum „Sie“ gehöre vielmehr zur Akzeptanz der jugendlichen Entwicklung. Nicht zuletzt diene dieser Schritt der respektgetragenen Distanz, die Voraussetzung einer gelungenen Therapie ist.

hustef aus der Allgemeinmedizin weist bei diesem Thema auf regionale Besonderheiten hin: So werde etwa beim Arzt-Patienten-Kontakt im oberbayrischen Raum geduzt – alles andere wäre befremdlich. Von ähnlichen Erfahrungen in Norddeutschland kann petecihr aus der Anästhesiologie berichten. Nach arztpraxis aus der Allgemeinmedizin lässt sich ein vertrauensvolles Verhältnis nebst gesunder Distanz mit dem Hamburger Sie erreichen: Ab dem Erwachsenenalter werden die Jugendlichen gesiezt, aber dennoch beim Vornamen angesprochen.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Coliquio.de .

 

Kommentar

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