Rotlicht bringt Sehkraft zurück: Kurze tägliche Bestrahlung der Augen wirkt wie ein Booster für die alternde Netzhaut

Sheena Meredith

Interessenkonflikte

13. Dezember 2021

Eine Studie des University College London (UCL) könnte einen Durchbruch für die Augengesundheit bedeuten. Nach dieser Untersuchung könnte bereits eine 3-minütige morgendliche Bestrahlung mit Rotlicht einer bestimmten Wellenlänge über mindestens eine Woche nachlassende Sehkraft wieder deutlich verbessern. Zu diesem Ergebnis kommen britische Forscher in einer in Nature Scientific Reports veröffentlichten Studie [1].

Netzhaut altert schneller als andere Organe

Etwa 12 Millionen Briten über 65 werden aufgrund ihrer Netzhautalterung eine gewisse Sehverschlechterung erleben. Teilweise geht dies auf einen Rückgang der mitochondrialen ATP-Produktion (Adenosintriphosphat) zurück, welche die Energie für die Zellfunktionen liefert. Da die Mitochondrien-Dichte in den Fotorezeptoren hoch ist, altert die Netzhaut schneller als andere Organe.

Dies gilt besonders in den Zapfen, die für das Farbensehen zuständig sind und einen hohen Energiebedarf haben. Mit zunehmendem Alter kann die ATP-Produktion um bis zu 70% sinken, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Fotorezeptor-Funktion führt und allmählich sowohl die Netzhautsensibilität als auch das Farbensehen beeinträchtigt.

Das Forscher-Team aus London hat schon früher gezeigt, dass selbst eine kurze Exposition gegenüber tiefrotem Licht die Mitochondrien der Netzhaut wieder „anschalten“ und die ATP-Produktion steigern kann, was zu einer deutlichen Verbesserung der nachlassenden Sehkraft bei Menschen über 40 führt.

3-minütige energiearme Bestrahlung

In ihrer jüngsten Studie untersuchten sie die Wirkung einer einmaligen 3-minütigen Bestrahlung mit Rotlicht der Wellenlänge 670 nm und einer geringen Energie von 8 mW/cm2 statt der bisher verwendeten 40 mW/cm2. Das Licht wurde von einem Gerät, das einer LED-Taschenlampe ähnelt, abgegeben und über das dominante Auge gehalten. 

Die Teilnehmer waren 13 Frauen und 7 Männer zwischen 34 und 70 Jahren, bei denen bisher keine Augenkrankheit vorlag und deren Farbsehvermögen normal war. Sie nutzten das Licht zwischen 8 und 9 Uhr morgens für 3 Minuten. Nach 3 Stunden wurde ihr Farbsehvermögen getestet. 10 der Teilnehmer wurden zudem auch eine Woche nach der Exposition untersucht. 

„Wiederaufladung“ der Netzhaut

Die Ergebnisse zeigten nach der Exposition mit Rotlicht eine durchschnittliche Verbesserung des Farbensehens um 17%. Dieser Effekt hielt eine Woche an. Bei einigen älteren Teilnehmern lag die Verbesserung bei 20%.

Bei den Kontrolltests wurden die Farbkontrastschwellen morgens und 3 Stunden später ohne Rotlichtbestrahlung gemessen, wobei sich kein Unterschied zwischen den beiden Messungen ergab. Eine Untergruppe der Teilnehmer wurde wiederholt um 8, 11, 14 und 17 Uhr getestet, um mögliche Verschiebungen der Farbkontrast-Empfindlichkeit unabhängig von der Rotlicht-Exposition im Tagesverlauf zu registrieren, doch zeigten sich dabei keine signifikanten Unterschiede. Die Tests bestätigten somit, dass die in der Hauptgruppe beobachteten Verbesserungen auf die Rotlichtexposition bei einer Wellenlänge von 670 nm zurückzuführen waren.

Prof. Dr. Glen Jeffery vom Institut für Augenheilkunde am UCL, der die Untersuchung geleitet hat, erklärt in einer Pressemitteilung: „Das geschwächte Energiesystem in den Netzhautzellen lässt sich offenbar mit einem einfachen LED-Gerät einmal wöchentlich wie eine Batterie wieder aufladen.“

 
Das geschwächte Energiesystem in den Netzhautzellen lässt sich offenbar mit einem einfachen LED-Gerät einmal wöchentlich wie eine Batterie wieder aufladen. Prof. Dr. Glen Jeffery
 

Morgendliche Exposition entscheidend

Angeregt durch Experimente mit Fliegen, bei denen Netzhautzellen zu verschiedenen Tageszeiten unterschiedlich reagierten, verglichen Jeffrey und sein Team auch eine Rotlichtexposition am Morgen mit der am Nachmittag. Nach einem mehrmonatigen Intervall, das ausschließen sollte, dass die Wirkung des ersten Tests noch einen Einfluss haben könnte, wurden 6 der Teilnehmer der gleichen 3-minütigen Strahlung ausgesetzt. Jetzt allerdings zwischen 12 und 13 Uhr. Diesmal hatte das Rotlicht keine Wirkung auf das Farbsehen.

„Der Zeitpunkt der Rotlichtexposition ist entscheidend“, so die Schlussfolgerung der Untersucher. Offenbar ist 670-nm-Licht nur am Morgen wirksam. „Diese zeitabhängige Wirkung kann womöglich auf die Schwankungen der Mitochondrienfunktion im Tagesverlauf zurückgeführt werden. Die Lichtexposition ist vermutlich nur wirksam, wenn sie an einem bestimmten Punkt dieses Zyklus einsetzt. Da es offenbar Zeiten gibt, zu denen die Mitochondrien für eine derartige „Aufladung“ besonders empfänglich sind, werden nun die verschiedenen Empfindlichkeiten sorgfältig kartiert, um den optimalen Zeitpunkt für eine Rotlichtexposition herauszufinden. 

 
Der Zeitpunkt der Rotlichtexposition ist entscheidend. Prof. Dr. Glen Jeffery
 

„Wie konnten schon bei den Fliegen erkennen, dass die Mitochondrien wechselnd aktiv sind und nachmittags nicht in gleicher Weise auf Rotlicht reagieren. Diese Studie bestätigt genau dies“, sagte Jeffery.

Die Autoren schlussfolgern: „Eine einmalige Bestrahlung mit 670-nm-Licht am Morgen mit nur 8 mW/cm2 kann die Funktion der Zapfen bei älteren Menschen auf ein Niveau heben, das dem wesentlich jüngerer Menschen entspricht. Es kann zudem bis zu eine Woche anhalten.“

Die altersbedingt nachlassende Sehkraft ist „weltweit ein großes Problem für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Millionen Menschen“, sagte Jeffery weiter. „Eine solche einfache Maßnahme für die breite Masse würde sich erheblich auf die Lebensqualität im Alter auswirken und wahrscheinlich zu einer Verringerung der gesamtgesellschaftlichen Kosten führen, die aufgrund der Probleme infolge verminderter Sehkraft entstehen.“

 
Eine solche einfache Maßnahme für die breite Masse würde sich erheblich auf die Lebensqualität im Alter auswirken (...). Prof. Dr. Glen Jeffery
 

Rotlicht, das man am Körper trägt

Die Autoren gehen davon aus, dass die Ergebnisse zu einer frei zugänglichen und preiswerten Behandlung der Augen für den Hausgebrauch führen werden. Zu diesem Zweck hat Jeffery mit der Firma Planet Lighting UK in Wales an der Entwicklung eines Geräts für den allgemeinen Gebrauch ohne kommerziellen Gewinn gearbeitet.

Gegenüber Medscape sagte er: „Ich habe mit dem Unternehmen vereinbart, dass ich ihnen die für die Herstellung der Brille erforderlichen Kerndaten zur Verfügung stelle, unter der Bedingung, dass sie sie mit minimalem Gewinn produzieren und einen Teil davon wieder in die Forschung investieren.“

Anstelle des in der Studie verwendeten monokularen Handgeräts wird die kommerzielle Version eine Brille mit LEDs vor jedem Auge sein. „Sie sehen sehr professionell aus. Ich habe die Prototypen selbst getestet.“

In Zukunft könnte es weitere Anwendungen für die Rotlichttherapie geben. „Wir suchen noch nach weiteren Anwendungsmöglichkeiten für das Rotlicht. Sie wirkt auf Mitochondrien, die den Stoffwechsel und die Alterung steuern. Wir verlangsamen damit einen Aspekt des Alterns, nämlich die Geschwindigkeit, mit der Zellen in der Netzhaut absterben. Im Laufe des Lebens kommt es zu einem Verlust von 30%, der sich unter dem langwelligen Licht jedoch deutlich verringert. Wir befassen uns daher auch mit dem Thema der Umweltbeleuchtung, was natürlich eine wichtige Frage ist.“ 

 
Wir verlangsamen damit einen Aspekt des Alterns, nämlich die Geschwindigkeit, mit der Zellen in der Netzhaut absterben. Prof. Dr. Glen Jeffery
 

Obwohl sich die Produktion aufgrund der Pandemie und des Mangels an elektronischen Bauteilen aus Fernost verzögert hat, wird erwartet das Gerät unter dem Namen „eyepower red“ Anfang 2022 in den Handel bringen zu können.

„Schon in naher Zukunft könnte man sich einmal wöchentlich 3 Minuten lang diesem Rotlicht aussetzen, während man z.B. Kaffee macht oder auf der Fahrt zur Arbeit in der Bahn einen Podcast anhört. Ein solch einfacher Zusatz könnte die Gesundheit der Augen und das Sehvermögen weltweit verbessern.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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