Knifflige Diagnosen: Wenn hinter neurologischen und dermatologischen Symptomen ein autoinflammatorisches Syndrom steckt

Dr. Linda Fischer

Interessenkonflikte

10. Dezember 2021

Menschen mit autoinflammatorischen Syndromen haben oftmals neurologische und dermatologische Symptome. In diesem Fall sollte bei der Diagnostik auch an seltene Erkrankungen gedacht werden. Prof. Dr. Kümpfel von der Ludwigs-Maximilians-Universität München verdeutlichte dies auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie anhand zweier Fallberichte [1].

1. Fall: Episoden mit Trigeminusneuralgie, Fieber, Urtikaria

Eine 77-jährige Patientin präsentierte sich mit einer episodenhaft auftretenden Trigeminusneuralgie sowie einer chronisch-rezidivierenden Urtikaria und rezidivierenden Fieberschüben. Immer wieder wurden erhöhte Entzündungswerte über Serumamyloid A (SAA) und C-reaktives Protein (CRP) festgestellt. Auch im Liquor zeigten sich entzündliche Veränderungen. Letztlich wurde der Verdacht auf einen Normaldruckhydrozephalus gestellt, bei zunehmender Gangstörung und kognitiven Veränderungen.

Eine Hautbiopsie ergab eine neutrophile Dermatose und den Verdacht auf ein autoinflammatorisches Syndrom. Der Verdacht bestätigte sich in einer molekulargenetischen Testung, welche eine Mutation im NLRP3-Gen zeigte und zur Diagnose Cryoporin assoziiertes periodisches Syndrom (CAPS) führte.

Cryoporin-Associated Periodic Syndrome (CAPS)

Das CAPS äußert sich phänotypisch unterschiedlich, von Kälteurtikaria bis hin zu dem schwer verlaufenden CINCA (Chronisch-infantil neuro-kutaneo-artikuläres) Syndrom mit schweren Skelettdeformitäten oder auch neurologischer Beteiligung.

Die Diagnose des CAPS wird im Wesentlichen klinisch gestellt: Neben erhöhten Entzündungswerten (SAA/CRP) müssen mindestens 2 der folgenden 6 Kriterien erfüllt sein:

  • Urtikarieller Hautausschlag

  • Kälte/Stress getriggerte Episoden

  • Sensorineuraler Hörverlust/Hörminderung

  • Muskuloskelettale Symptome (Arthralgien/Myalgien)

  • Chronisch-rezidivierende aseptische Meningitis

  • Skelettdeformitäten 

Sowohl der urtikarielle Hautausschlag als auch die chronisch-rezidivierende aseptische Meningitis waren in dem initial vorgestellten Fallbeispiel vorhanden.

CAPS kann sich im ZNS manifestieren

Bei einem CAPS kann es zu einer intrakraniellen Hypertension kommen, die im weiteren Verlauf zu Hydrozephalus und Hirnatrophie führt. Kümpfel hob deshalb hervor, dass bei den Patienten bei einer Liquorpunktion auch der Liquor-Eröffnungsdruck zu messen ist.

Bei Kindern kann es zudem zu Entwicklungsverzögerungen kommen. Auch Kopfschmerzsyndrome, rezidivierend Lepto-meningoenzephalitische Krankheitsbilder im Sinne einer aseptischen Meningitis und Vaskulitiden sind beschrieben. Häufig kommt es zu Hirnnervenaffektionen, vor allem am Hörnerv und am Sehnerv mit Papillonödem und Atrophie des Sehnerv im weiteren Verlauf. 

2. Fall: Multiple Sklerose, rezidivierende Urtikaria, Arthralgien/Myalgien

Autoinflammatorische Syndrome werden auch im Zusammenhang mit Multiple Sklerose (MS) beobachtet. In einem zweiten vorgestellten Fall wurde bei einer 47-jährigen Frau MS diagnostiziert, viele Jahre später kamen rezidivierende urtikarielle Hautausschläge und Konjunktivitiden hinzu. In der Anamnese zeigte sich, dass die Patientin bereits vor Beginn der MS rheumatologische Beschwerden hatte. Außerdem traten in der Vergangenheit immer wieder Episoden mit Arthralgien und Myalgien und erhöhte Entzündungsparameter auf.

Wie im ersten vorgestellten Fall half auch hier eine Hautbiopsie: Sie zeigte entzündliche Infiltrate, sodass der Verdacht auf eine Vaskulitis, differenzialdiagnostisch auch autoinflammatorisches Syndrom, gestellt wurde. Eine molekulargenetische Untersuchung lieferte den Nachweis einer „niedrig-Penetranz“-Mutation (Q703K-Mutation) im NLRP3-Gen. Die Diagnose: CAPS und MS.

Mutation nicht selten mit neurologischer Manifestation assoziiert

Dass die Mutation im NLRP3-Gen nicht selten mit neurologischen Manifestationen einhergeht, zeigt eine Studie mit einer 15 Personen großen CAPS-Kohorte, in deren Rahmen Forschende klinische Charakteristika herausarbeiteten, bei denen Ärztinnen und Ärzte gegebenenfalls an ein CAPS denken sollten:

  • Teils schwere Meningoenzephalitis

  • Häufig Hirnnervenbeteiligung am Nervus trigeminus

  • Häufig Optikusneuritis, Uveitis

  • Kopfschmerzsyndrome

  • 8 Personen mit zusätzlich gesicherter MS 

Fließender Übergang zwischen Autoinflammation und Autoimmunität

Das gemeinsame Auftreten neuroinflammatorischer Syndrome mit einer Autoimmunerkrankung, ist laut Kümpfel nicht selten. Gerade bei der MS können andere autoinflammatorische Syndrome auftreten, beispielsweise FMF oder TRAPS.

Die Frage, ob dies dann 2 nebeneinander stehende Erkrankungen sind oder es eine Assoziation zwischen ihnen gibt, beantwortet Kümpfel mit einem „fließenden Übergang”: Bei der MS etwa spielt neben dem adaptiven auch das angeborene Immunsystem eine Rolle und sowohl bei CAPS als auch bei der MS das Inflammasom. Eine Assoziation zwischen beiden Erkrankungen ist also vorstellbar.

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf  Coliquio.de .

 

Kommentar

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