MEINUNG

Lieferprobleme bei COVID-19-Impfstoffen: „Das gab dann einen chaotischen Eindruck“

Christian Beneker

Interessenkonflikte

8. Dezember 2021

Rauf mit den Mengen, runter mit den Mengen – die Belieferung der Arztpraxen mit Impfstoff von BioNTech/Pfizer führte vor allem bei Hausärzten zu einiger Verwirrung. Warum fehlten Impfdosen zuerst? Warum gab es plötzlich mehr? Warum stockte dann wieder der Nachschub? Medscape sprach mit Dr. Hans-Peter Hubmann, Apotheker und Mitglied des Geschäftsführenden Vorstand der ABDA - Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V..

Medscape : Herr Dr. Hubmann, kürzlich las man bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, der Transport von Impfstoffen sei derzeit intransparent und schleppend. Warum bekommen die Hausärzte nicht den Impfstoff, den sie bestellt haben, rechtzeitig in ihre Praxen?

Hubmann: Den Vorwurf der Intransparenz kann ich nicht nachvollziehen. Da wird vieles auch aufgebauscht. Tatsächlich ist das Verfahren sehr transparent. Beschaffung und Transport werden in einem Gremium koordiniert aus Kassenärztlicher Bundesvereinigung, dem pharmazeutischen Großhandelsverband PHAGRO, dem Deutschen Apothekerverband und dem Bundesgesundheitsministerium, dem BMG. Da wird alles besprochen. 

Medscape : Trotzdem war der BioNTech-Impfstoff knapp.

Hubmann: Ja, wir haben ein Mengenproblem, das sich vorher nicht abgezeichnet hat. Als im Sommer noch genug Impfstoff da war, hat das BMG entschieden, 9 Millionen Dosen Impfstoffen im Rahmen der Covax-Initiative an bedürftige Länder abzugeben. Dadurch hatten wir später ein mittleres Kontingent-Problem. Beim Moderna-Impfstoff gibt es dagegen keine Lieferprobleme, und eine ausreichende Menge an Impfdosen ist vorhanden.

Medscape : Das heißt, die Kritik am Transport trifft eigentlich den Falschen?

Hubmann: Zum Teil, ja. Zum anderen Teil muss man auch sagen: Die Kommunikation des BMG war sehr schwierig. Wir hatten, als es eng wurde, etwa 25 Millionen Dosen BioNTech- und 26 Millionen Dosen Moderna-Impfstoff für dieses Jahr. Als die Nachfrage nach BioNTech nach oben ging – durch 2G und 2Gplus und weil der Druck auf Ungeimpfte erhöht wurde –, stieg die Nachfrage. Hinzu trat die STIKO-Meldung, dass Moderna nur für Personen über 30 geeignet sei.

Diese Meldung führte bei der Bevölkerung dazu, dass man am liebsten BioNTech haben wollte und Moderna als minderwertig ansah. Das zweite Problem war, dass viel Moderna-Impfstoff auf Lager war, der verimpft werden musste. Man wollte ja keine Verfallsware produzieren und hat damit BioNTech rationiert. In der Kommunikation hatte es dann den Anschein, als wäre Modena ein minderwertiger Impfstoff. Das gab dann einen chaotischen Eindruck.

Medscape : Nach der verunglückten Kommunikation legte der Minister gleich nach und erhöhte plötzlich die wöchentliche Bestellmenge auf 48 Dosen.

Hubmann: Ja, BioNTech-Lieferungen konnten auf Druck der Ärzteschaft von 2,9 Millionen Dosen auf 3,9 Millionen pro Woche vorgezogen werden. Das wären 48 Dosen pro bestellenden Arzt gewesen. Weil dann aber dann immer mehr Ärzte bestellt haben, blieb es zwar bei der Erhöhung auf 3,9 Millionen Dosen Gesamtmenge. Aber sie musste auf mehr bestellende Ärzte aufgeteilt werden. Deshalb standen für jeden bestellenden Arzt dann tatsächlich nur noch 18 bis 24 Dosen zur Verfügung.

Medscape : Vor den Praxen und Impfzentren stehen lange Schlangen Wartender. Wie viele Impfdosen stehen aktuell zur Verfügung?

Hubmann: Für die 50. Kalenderwoche ab dem 13. Dezember wird die Zahl der Dosen nach den Meldungen, die uns jetzt vorliegen, auf 5 Millionen Dosen aufgestockt werden, wobei hier noch eine Länderquote für die Impfzentren abgeht. Das würde 5 Vials beziehungsweise 30 Impfdosen pro Arzt bedeuten, je nachdem, wie viele Ärzte bestellen.

Für die Wochen darauf kann man nicht mehr verlässlich planen, weil dann die Weihnachtsferien beginnen und schon gar nicht für die Woche zwischen Weihnachten und Silvester, in der BioNTech nicht liefern wird.

Aber wie gesagt: Die Höchstbestellmengen gelten nur für den BioNTech-Impfstoff. Der nicht weniger effektive Impfstoff von Moderna ist ausreichend vorhanden, und es ist deshalb auch weiterhin keine Kontingentierung vorgesehen.

Medscape : Wie konnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Liefermenge an BioNTech plötzlich erhöhen?

Hubmann: Er hat offenbar in den Verhandlungen mit BioNTech Druck gemacht. Nach intensiven Gesprächen zwischen BioNTech und dem Bundesgesundheitsministerium konnten die Dosen jedenfalls früher ausgeliefert werden.

Medscape : Wer entscheidet, wann wie viel geliefert wird?

Hubmann: BioNTech hat Verträge mit der EU und mit der Bundesrepublik. Darin sind feste Mengen vereinbart. Der Hersteller kann also nicht willkürlich irgendwohin liefern. Aber die Bundesregiering verhandelt mit anderen EU-Ländern, die mit der Impfung schon weiter fortgeschritten sind, damit 2 Millionen weitere Dosen nach Deutschland umgeleitet werden könnten. Dazu muss man sagen: BioNTech war bisher ein extrem zuverlässiger Hersteller. Er hat immer seine Zusagen eingehalten und zum Teil mehr als vereinbart produziert.

Medscape : Bei den Liefermengen tut sich also ein wenig. Aber wie ist es zu den Lieferschwierigkeiten bei der Logistik gekommen?

Hubmann: Da gibt es logistische Hürden. Der Impfstoff muss zunächst von den Herstellern an die zentralen Stellen des Bundeslagers gebracht werden, und zwar in Ultratiefkühlung von minus 60 Grad. Und von diesem zentralen Bundeslager in Quakenbrück muss es dann an die Verteilstellen des Großhandels transportiert werden. Das geht auch nur mit speziellen Fahrzeugen.

Und von den Großhandelsverteilstellen geht es dann mit den Fahrzeugen des Großhandels zu den einzelnen Großhandelsniederlassungen. Dort wird der Impfstoff weiterhin ultratiefgekühlt gelagert. Dort wird er kurz vor der Lieferung aufgetaut und dann an die Apotheken ausgeliefert.

Medscape : Für die Bestellung braucht es eine Woche – warum so lange?

Hubmann: Die eine Woche Vorlaufzeit wird gebraucht, um in den Großhandlungen erstens zu prüfen, ob die zugesagte Menge überhaupt da ist. Und zweitens, um zu prüfen, um wie viel die Bestellmengen gekürzt werden müssen, sollten mehr Bestellungen als Liefermenge vorhanden sein.

Ihren Bedarf übermittelt die Apotheke an den Großhandel deshalb immer pro Arzt, also nicht in willkürlicher Menge. Zum Beispiel 7 Bestellungen à 7 Flaschen. Dann weiß der Großhandel, wie viele Ärzte die Apotheke versorgt. Das dient der Transparenz. Außerdem weiß der Großhandel dann, um wieviel Flaschen pro Arzt er kürzen muss, wenn zu wenig Impfstoff vorhanden ist.

Die Ärzte erhalten von der Apotheke schon immer am Mittwoch die genaue Information, wie viel Impfstoff in der nächsten Woche bei ihnen ankommt.

Medscape : Wie schwer ist es für die Logistik, wenn aus Berlin immer neue Ansagen über die Liefermenge kommen?

Hubmann: Die Transportkapazitäten stellen bei dem jetzigen hohen Bedarf eines der großen Probleme da. Es gibt zu wenig der speziellen Tiefkühlaster. Ultratiefkühlung zu gewährleisten ist schon schwierig. Für die letzten 5 Wochen hatten wir ja nur 3 Millionen Dosen pro Woche geplant.

Dass der Bedarf dann so ansteigen würde, haben wir nicht vorausgesehen. Im September hatten wir noch eine Sättigung von BioNTech-Impfstoff. Hinzu kamen die Bundestagswahl und die relativ späte Empfehlung der STIKO zur Booster-Impfung. Als sich dann die Praxen und die Impfzentren wieder füllten, war der Mangel da.

Gut, dass jetzt der Moderna-Impfstoff besser akzeptiert wird. Denn dieser Impfstoff ist ja zum Glück bislang ausreichend vorhanden.

Medscape : Sollten auch Apotheker gegen das Corona-Virus impfen?

Hubmann: Wir sind bereit zu dieser Impfung. Wir haben ja schon vor einem Jahr die Modellprojekte für Grippeschutzimpfungen in einigen Regionen gestartet – wie zum Beispiel in Bayern, im Saarland und auch in Nordrhein. Und wir haben inzwischen etliche Apotheken gut geschult.

Ich sage aber auch ganz klar: Es muss genügend Impfstoff da sein, denn wir sehen uns nicht in Konkurrenz zu den Ärzten. Ein Verteilungskampf mit den Ärzten wäre das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können. Das Impfen in den Apotheken könnte ein ergänzendes Angebot werden, wenn die Menge an Impfstoff so groß werden sollte, dass die Ärzte in den Praxen und Impfzentren sie nicht verimpfen können.

Realistisch schätze ich, dass es 3.000 bis 5.000 Apotheken im Bundesgebiet sein könnten, die impfen würden. Das wäre ein kleiner Beitrag dazu, dass wir in der jetzigen Situation schneller vorankommen.
 

Kommentar

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