Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat während seiner Sitzung im November gegen Biogens umstrittenes Alzheimer-Präparat Aducanumab (Aduhelm®) gestimmt. Es gilt als sehr unwahrscheinlich, dass das Medikament im Rahmen der Dezembersitzung zur Zulassung empfohlen wird.
Enttäuschung beim Hersteller
In einer Pressemitteilung teilte Biogen mit, dass das Unternehmen ein negatives Votum zum Zulassungsantrag für Aducanumab in Europa erhalten habe.
„Obwohl wir über das Votum enttäuscht sind, glauben wir fest an die Stärke unserer Daten und daran, dass Aducanumab das Potenzial hat, für Menschen und Familien, die von der Alzheimer-Krankheit betroffen sind, einen positiven und bedeutsamen Unterschied zu machen“, sagte Dr. Priya Singhal, MPH, Leiterin der Abteilung Global Safety and Regulatory Sciences und Interimsleiterin für Forschung und Entwicklung bei Biogen, laut der Mitteilung.
Der EMA-Ausschuss wird voraussichtlich auf seiner Dezembersitzung, sprich vom 13. bis 16. Dezember 2021, eine formelle Stellungnahme zum Zulassungsantrag abgeben.
„Biogen wird weiterhin mit der EMA und dem CHMP zusammenarbeiten, um die nächsten Schritte auf dem Weg zu einem Zugang zu Aducanumab für Patienten in Europa zu erwägen“, erklärte das Unternehmen.
Auf der kürzlich abgehaltenen Konferenz „Clinical Trials on Alzheimer's Disease“ gab Biogen neue Phase-3-Ergebnisse bekannt, die weitere Belege für die Wirkung von Aducanumab hinsichtlich einer Verringerung von Amyloid-Beta-Plaque und der nachgeschalteten Tau-Pathologie liefern sollen.
Lob für die EMA – und Kritik an der FDA
In einer Erklärung des gemeinnützigen UK Science Media Centre sagte Prof. Dr. Robert Howard vom University College London, das Ergebnis der CHMP-Abstimmung „ist absolut die Entscheidung, die wir von dem beratenden Expertengremium der EMA erwartet hätten, und sie steht im Einklang mit dem beratenden Ausschuss der FDA, der vor 12 Monaten einstimmig gegen die Zulassung von Aducanumab gestimmt hat, weil die Wirksamkeit in den zulassungsrelevanten Phase-3-Studien ENGAGE und EMERGE nicht nachweisbar war“.
„Die beschleunigte Zulassung von Aducanumab durch die FDA mit der alleinigen Begründung, es sei vernünftig zu erwarten, dass eine Verringerung des Amyloidspiegels zu einer Verbesserung des Verlaufs der Alzheimer-Krankheit führen würde, obwohl alle Beweise darauf hindeuten, dass es keine sinnvolle Korrelation zwischen der Verringerung des Amyloidspiegels und der Verbesserung der Symptome gibt, war höchst umstritten und hat die Unparteilichkeit der FDA und ihrer Mitarbeiter in Frage gestellt“, so Howard.
Er gehe davon aus, dass das EMA-Gremium bei seiner Sitzung im Dezember keine Zulassung für Aducanumab erteilen werde.
„Aducanumab ist eine Behandlung ohne überzeugende Wirksamkeit, mit schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen und hohen finanziellen Kosten. Auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse und im besten Interesse der Alzheimer-Patienten, ihrer Familien und derer, die sie pflegen, sollten die EMA und die MHRA [Medicines and Healthcare products Regulatory Agency] keine Zulassung für Aducanumab erteilen“, so Howard.
David Thomas, Leiter der Abteilung Politik bei Alzheimer's Research UK, sagte ebenfalls, dass der Bedarf an neuen Alzheimer-Therapien groß sei, fügte aber hinzu, dass „es von entscheidender Bedeutung ist, dass die Regulierungsbehörden jede neue Behandlung als sicher und wirksam beurteilen“.
Welche Kriterien rechtfertigen eine Zulassung?
„Die Ergebnisse der Phase-3-Studien EMERGE und ENGAGE zu Aducanumab haben in der Forschungsgemeinschaft eine breite Debatte darüber ausgelöst, wie die Wirksamkeit einer neuen Alzheimer-Behandlung zu beurteilen ist“, so Thomas.
„Die Zulassung von Aducanumab durch die FDA in den USA basierte auf der Fähigkeit des Medikaments, das charakteristische Alzheimer-Protein Amyloid aus dem Gehirn zu entfernen. Als Teil dieser Zulassung verlangt die Behörde nun weitere Studien, um sicherzustellen, dass Aducanumab das Gedächtnis, das Denken und das tägliche Leben der Menschen langfristig verbessert“, sagte Thomas.
Die EMA führt nun eine eigene Prüfung der Daten durch, und „es ist wichtig, dass wir die offizielle Empfehlung des Ausschusses abwarten, die für nächsten Monat erwartet wird. In der Zwischenzeit müssen wir weiter mit Hochdruck daran arbeiten, dass die Forscher eine breite Pipeline potenzieller neuer Behandlungen für Krankheiten wie Alzheimer entwickeln und dass Gesundheitssysteme wie der NHS [National Health Service] in den kommenden Jahren bereit sind, diese zu liefern“, fügte er hinzu.
Explodieren die Kosten bei Medicare?
Noch ein Blick in die USA. Die Centers for Medicare and Medicaid Services (CMS) haben angekündigt, dass die Standardprämie für Medicare Teil B für alle Versicherten auf 170 Dollar pro Monat steigen wird, was einer Erhöhung um 15% gegenüber 2021 entspricht.
„Alle Medicare-Teil-B-Versicherten werden bald gezwungen sein, eine erhebliche finanzielle Belastung zu tragen, als direkte Folge der rücksichtslosen Entscheidung der FDA, Aducanumab zu genehmigen – ein Medikament, bei dem nicht bewiesen worden ist, dass es Alzheimer-Patienten einen klinisch sinnvollen Nutzen bringt, das aber einen unvertretbaren jährlichen Preis hat, der von Biogen auf 56.000 Dollar pro Jahr festgesetzt wurde“, sagte Dr. Michael Carome, Direktor der Health Research Group von Public Citizen, in einer Erklärung.
„Um die vielen Medicare-Versicherten zu schützen, die sich den inakzeptablen Anstieg der Prämien für Teil B um 15% nicht leisten können, müssen die CMS umgehend ankündigen, dass es Aducanumab von der Deckung im Rahmen des Medicare-Programms ausschließen wird, bis endgültige Beweise dafür vorliegen, dass das Medikament Alzheimer-Patienten einen substanziellen kognitiven Nutzen bietet“, so Carome.
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: EMA bleibt eisern: „Behandlung ohne überzeugende Wirksamkeit“: Wohl keine Zulassung für Aducanumab bei Alzheimer - Medscape - 3. Dez 2021.
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