Facetteninfiltrationen, Nervenblockaden, Radiofrequenzablation – wenn eine konservative Behandlung Patienten mit von den Facettengelenken ausgehenden chronischen Kopf- und Nackenschmerzen nicht ausreichend hilft, entschließt man sich immer häufiger zu einer minimalinvasiven Lokaltherapie an der Halswirbelsäule (HWS).
Doch das praktische Vorgehen ist uneinheitlich, teilweise bestehen Zweifel an der diagnostischen und therapeutischen Wirksamkeit. Daher hat ein internationales Expertengremium unter Federführung von Prof. Dr. Robert W. Hurley, Anästhesiologie, Wake Forest School of Medicine, Winston-Salem, North Carolina, USA, jetzt die Evidenz ausgewertet und eine Praxis-Leitlinie mit Konsensus-Empfehlungen erarbeitet. Sie wurde am 11. November 2021 in Regional Anaesthesia and Pain Medicine veröffentlicht [1].
Um von einer Radiofrequenzablation (RFA) profitieren zu können, sollten Patienten bestimmte Kriterien erfüllen: dass die Schmerzen tatsächlich vom behandelten Gelenk herrühren, und dass eine vorausgegangene Nervenblockade eine wesentliche Besserung erbracht hat.
Wesentliche Neuerung
Entgegen bisherigen Leitlinienempfehlungen und Forderungen von Kostenträgern, etwa in den USA, macht in der Vorbereitung allerdings wohl eine einmalige probatorische Nervenblockade mehr Sinn als 2.
„Das ist eigentlich fast das Revolutionärste an diesen Guidelines, dass sie sagen: ‚Nein, macht bitte nur einen Block‘“, sagt Dr. Markus Schneider, Präsident der Interdisziplinären Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie (IGOST), im Gespräch mit Medscape.
„Das Interessante, was die Kollegen jetzt in den Guidelines gemacht haben, war, so etwas wie Strahlenbelastung und Kosten mit zu berücksichtigen“, so der in Bamberg niedergelassene Orthopäde, Unfallchirurg und Schmerztherapeut.
Im Praxisalltag erfährt zwar manch ein Patient bereits nach Blockade des medialen Spinalnervenastes (medial branch block, MBB) mit Lokalanästhetika eine nachhaltige Schmerzlinderung. Dennoch dient der MBB vor allem dazu, sich zu vergewissern, dass die Schmerzen tatsächlich vom jeweiligen Facettengelenk ausgehen. „Der Block ist eigentlich der Test, ob eine Radiofrequenztherapie indiziert ist.“
Zahl der Injektionen minimieren
Bis dato ist ein zweimaliger probatorischer MBB üblich. „Wir haben eine deutlich geringere falsch-positive Rate, wenn wir 2 konkordante Blocks haben“, erläutert der Orthopäde.
Wenngleich die zweimalige Nervenblockade möglicherweise die Erfolgsrate einer RFA erhöht, bedeutet das aber zugleich auch deutlich mehr Eingriffe. Schneider: „Man spritzt noch einmal extra rein, man hat mehr Risiko, und man hat höhere Kosten.“ Unnötig, befindet jetzt der internationale Expertenkonsens.
Zumal man für den MBB eines Facettengelenks nicht mit einer einzelnen Injektion auskommt. „Ein Level heißt trotzdem 2 Injektionen“, betont Schneider. Will man beispielsweise die sensible Versorgung der Nozizeptoren eines der beiden Facettengelenke zwischen dem 5. und 6. Halswirbel unterbrechen, muss man dafür auf der entsprechenden Seite jeweils den medialen Spinalnervenast auf Höhe von C5 und den auf Höhe von C6 blockieren. „Dann blockiere ich beide Gelenkpartner damit.“
Geringer Stellenwert intraartikulärer Glukokortikoid-Injektionen
Intraartikuläre Injektionen an der HWS, etwa mit Glukokortikoiden (GC) eignen sich zur Planung einer RFA weit weniger als der MBB. Auch von einer routinemäßigen therapeutischen Anwendung wird abgeraten.
Schneider selbst macht das kaum mehr: wegen der fehlenden Konsequenz und weil degenerativ veränderte Facettengelenke mit verschmälertem Gelenkspalt und Osteophyten dies kaum zulassen. „Da kommen Sie fast gar nicht rein.“
An den Gelenken C0/C1/C2 hätten GC-Injektionen „durchaus Berechtigung, wenn jemand wirklich etwas Hochentzündliches hat.“ Aber an den Facettengelenken, die erst ab C2 abwärts vorkommen, mache es wenig Sinn. „Glukokortikoide werden fast immer nur dann benutzt, wenn man [im Rahmen einer radikulären Therapie] an den Spinalnerven geht.“
Bei GC-Infiltrationen an der oberen HWS oder, um postinterventionellen, neuritischen Schmerzen nach RFA entgegenzuwirken, sind laut den Leitlinien kurzwirksame, lösliche Glukokortikoide zu bevorzugen.
18 internationale Fachgesellschaften beteiligt
Um die Empfehlungen zu erarbeiten, haben die American Society of Regional Anaesthesia and Pain Medicine und die American Academy of Pain Medicine 22 Experten aus 18 verschiedenen Fachgesellschaften und Regierungsorganisationen zusammengebracht.
Beteiligt war unter anderem auch die multidisziplinäre internationale Ärzte-Organisation Spine Intervention Society (SIS). „Das ist eine der Gesellschaften, die die Basics und auch die Standards setzen“, so Scheider.
Über 400 Publikationen sichteten die Wissenschaftler. Die daraus abgeleiteten Evidenz-basierten Empfehlungen zu 20 ausgewählten Fragen behandeln unter anderem die Wertigkeit von Anamnese, körperlicher Untersuchung und Bildgebung, sowie technische Aspekte der einzelnen Verfahren einschließlich Sedierung und Sicherheit.
Die anatomischen Besonderheiten der einzelnen HWS-Abschnitte wurden dabei ebenso berücksichtigt wie die sich daraus ergebenden Zugangswege, die Größe von Nadeln und Sonden und die empfohlenen Volumina bei Infiltrationen.
Bildgebung sagt wenig über Schmerzquelle aus
Übliche Basics, wie Anamnese, körperliche Untersuchung und konventionelles Röntgen, spielen bei der exakten Lokalisierung der Schmerzursache eine untergeordnete Rolle. „Es gibt keine einzelnen pathognomonischen Hinweise aus Anamnese oder körperlicher Untersuchung, die das Ansprechen auf Facettenblocks bei einzelnen Patienten mit chronischen Nackenschmerzen verlässlich vorhersagen können“, heißt es in der Leitlinie. Und: „Eine normale Bildgebung schließt eine Arthropathie nicht aus, und Gelenk-Abnormalitäten sind nicht geeignet, um ein schmerzhaftes Gelenk zu identifizieren.“
Entscheidend ist der MBB. Als Cut-off, ab dem er prognostisch als positiv gewertet werden sollte, schlagen die Autoren eine mindestens 50%ige Schmerzlinderung vor. Einerseits ist der zwar zu erwartende Behandlungserfolg der RFA bei strengen Auswahlkriterien größer. Andererseits fanden die Experten aber keine direkte Evidenz, dass noch höhere Schwellenwerte größere Erfolgsraten versprechen.
Trotzdem kann nach Radiofrequenzablation klinisch auch eine Schmerzlinderung von unter 50% relevant sein. „Wenn ich das strikt mache, mit 75 oder 80% Verbesserung, dann fallen Leute durch das Raster, denen ich helfen kann“, meinte auch Schneider. „Die sind ja oft schon zufrieden, falls sie dann 20 bis 30% Verbesserung haben, wenn sie seit Jahren leiden.“
Forderte man eine nahezu komplette Schmerzkontrolle nach Nervenblockade, würde man letztlich vielen Patienten einen möglichen Nutzen der RFA vorenthalten. Mit der Konsequenz, dass sie dann womöglich operiert würden oder Opioide erhielten.
Zunächst konservativer Therapieversuch
Der Nervenblockade sollte ein 6-wöchiger konservativer Therapieversuch mit Physiotherapie und Nicht-Opioid-Analgetika vorausgehen. Akute Nackenschmerzen klingen nämlich oft auch spontan ab.
Die Entscheidung zur RFA sollte gemeinsam mit dem Patienten und nach gründlicher Aufklärung über Nutzen und Risiko erfolgen. Der Patient muss wissen, dass er dadurch nicht unbedingt geheilt ist. Normalerweise hält die Schmerzlinderung 6 bis 14 Monate lang an.
Wiederholt man die RFA, haben die meisten Patienten nach Schleudertrauma oder mit nicht-traumatischen Nackenschmerzen für weitere 7 bis 20 Monate Ruhe. Im Laufe der Jahre nimmt die Wirksamkeit aber ab, und öfter als zweimal im Jahr sollte keine RFA erfolgen.
Mögliche Nebenwirkungen sind Schmerzen, Brennen, Kribbelparästhesien, Taubheitsgefühle, sowie Schwindel, Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen. Sie können über einige Tage oder Wochen anhalten.
Der Schwindel ist darauf zurückzuführen, dass die Gelenke dem Gehirn Signale über die Lage des Kopfes vermitteln – bei Denervation fällt ein Teil dieser Information weg. Der Schwindel klinge aber wieder ab, so Schneider. Auch könne man nicht verhindern, dass manchmal kleine Hautäste mit abladiert würden. „Dann können die Patienten mal ein Brennen im Nacken haben. Aber auch das geht nach 3 bis 4 Wochen weg.“
MBB und RFA immer mit Bildgebung steuern!
Durch Stimulation von Nerven- und Muskeln im Rahmen der RFA lässt sich die Wirksamkeit verbessern und das Risiko von Komplikationen vermindern. Zudem sollten MBB und RFA immer unter Bildgebung mittels Bildwandler (Fluoroskopie) oder Ultraschall gesteuert werden.
Ultraschallgeräte werden immer besser und bieten einige Vorteile: „Der Ultraschall ist überall verfügbar“, so Scheider. Das gilt vor allem für die Praxen. Und: „Er ist viel billiger, viel weniger aufwendig und strahlenfrei.“ Hinzu kommt die gute Darstellbarkeit der Gefäße. Akzidentelle Injektionen in die Vertebralarterien und Spinalinfarkte lassen sich so minimieren.
Bei der RFA an der HWS sollten gemäß den Empfehlungen kleinere Nadeln und Elektroden als an der Lendenwirbelsäule verwendet werden. Auch ist sorgfältig darauf zu achten, dass keine Interferenzen entstehen, wenn jemand etwa einen Herzschrittmacher oder andere elektrische Implantate hat.
Insgesamt sei die RFA weit weniger komplikationsbehaftet als die radikuläre Therapie, so Schneider. „Wir haben bei minimalinvasiven Interventionen vielleicht in 1,5% Komplikationen, und 1,1% sind vasovagale Synkopen.“
Schneider begrüßte den internationalen Expertenkonsens. Damit, dass er viele Grad-B-und C-Empfehlungen enthalte, sei man „schon ganz gut bedient“. Mehr zu erreichen sei schwierig.
Perspektiven für Deutschland
„In Deutschland wird es solche ausführlichen Leitlinien nicht geben, weil der Gesetzgeber oder die Kassen das einfach aus dem Katalog herausgenommen haben“, prognostizierte der Orthopäde. So sei eine Abrechnungsziffer für die RFA zum 1. April 2013 gestoppt worden.
Abgesehen von Selektivverträgen, etwa mit der Techniker Krankenkasse (TK), gebe es nur die Alternative „Bildwandlergestützte Interventionen an der Wirbelsäule“ im EBM. Dafür werden Stand IV. Quartal 2021 74,20 € erstattet. Dem Aufwand werde das nicht gerecht. „Man braucht den Bildwandler, man braucht 2 Personen als Hilfspersonal – einer muss überwachen, einer muss helfen. Man muss die Ausbildung machen.“
Praxis-Kurse zur Injektionstherapie an der Wirbelsäule bietet die IGOST an. Für den Selektivvertrag mit der TK müssen Ärzte dann ab Ende März 2022 das Zertifikat der IGOST vorlegen, um eine RFA abrechnen zu können.
Die Radiofrequenzablation hat stark zugenommen. „Das ist ein großer Boom, das muss man schon sagen“, so Schneider. Das liege aber daran, dass sich viel mehr Mediziner überhaupt mit Schmerz beschäftigten. „In meinen Augen ist so eine Steigerung nicht immer gleich ein Zeichen, dass das ein Wildwuchs ist.“
In den USA wurde zwischen 2008 und 2018 eine Steigerung der RFA um 112% beobachtet. Zur Entwicklung in Deutschland meinte Schneider: „Das wird sicher zugenommen haben, aber bestimmt nicht in dem Maße wie in den Vereinigten Staaten.“ Nicht zuletzt wegen der unzureichenden Erstattung.
Wirbelsäulenbeschwerden sind weltweit die häufigste Ursache für Behinderungen bei Menschen von 25 bis 64 Jahren. An der HWS sind sie zu 40% auf Veränderungen an den Facettengelenken zurückzuführen. Nach Schleudertrauma nehmen chronische Nackenschmerzen sogar bei mehr als 50% dort ihren Ausgang.
Credits:
Lead Image: Dreamstime
Medscape Nachrichten © 2021 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Heikle Interventionen bei Nackenschmerzen: Experten-Komitee hat ausgewertet, was wirklich hilft - Medscape - 2. Dez 2021.
Kommentar