„Weiche Triage“ begonnen; AK-Titer von Moderna – stärker als BioNtech? Wieler kritisiert Ärzteschaft; Bald Impfung in Apotheken?

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

25. November 2021

Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.

Corona-Newsblog, Update vom 25. November 2021

In Deutschland sind seit Beginn der Pandemie 100.119 Menschen in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben, allein 351 innerhalb der letzten 24 Stunden, berichtet das RKI. Innerhalb des letzten Tages haben Gesundheitsämter 75.961 weitere Positiv-Tests gemeldet (Vorwoche: 65.371), ein weiterer Rekordwert. Die 7-Tage-Inzidenz ist auf 419,7 Fälle pro 100.00 Einwohner angestiegen (Vortag: 404,5, Vorwoche: 336,9). Als 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz nennt das Institut 5,74 Fälle pro 100.000 Einwohner, Stand 24. November. Am Tag zuvor lag der Wert noch bei 5,60. Werden die Schwellenwerte 6,0 und 9,0 überschritten, drohen schärfere Maßnahmen (Medscape hat berichtet).

Laut DIVI-Intensivregister waren am 25. November 4.070 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, also 83 mehr als am Vortag. Aktuell sind 799 Betten im Low-Care- und 1.502 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 323 freie ECMO-Behandlungsplätze. Im Osten und Süden Deutschlands spitzt sich die Lage weiter zu; erneut bringen Intensivmediziner eine vielleicht bald erforderliche Triage von Patienten ins Gespräch.

 
Wir haben schon heute eine weiche Triage, die zum Beispiel dann eintritt, wenn ein Herzinfarktpatient eine Stunde im Rettungswagen herumgefahren wird, der kein Krankenhaus mit einem freien Intensivbett findet. Prof. Dr. Michael Hallek
 

„Wir haben schon heute eine weiche Triage, die zum Beispiel dann eintritt, wenn ein Herzinfarktpatient eine Stunde im Rettungswagen herumgefahren wird, der kein Krankenhaus mit einem freien Intensivbett findet“, so Prof. Dr. Michael Hallek. Er ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. Halek zufolge sei „diese Situation im Süden und Osten von Deutschland bereits eingetreten“.

  • COVID-19-Impfung: Wieler kritisiert Standesvertreter

  • Moderna: Korrelation zwischen Schutz und Titer neutralisierender Antikörper

  • Hunderttausende Corona-Tote im Winter 2021/2022?

  • Leitlinien-Update zur stationären Therapie bei COVID-19

  • Welche Public Health-Maßnahmen sind effektiv?

  • Seh- und Hörstörungen bei COVID-19 stärker beachten

COVID-19-Impfung: Wieler kritisiert Standesvertreter

In Deutschland läuft die Impfkampagne seit 335 Tagen. Mindestens 1 Impfdosis haben 58,8 Millionen Menschen (70,7% der Bevölkerung) erhalten. Von ihnen sind 56,6 Millionen (68,1%) vollständig geschützt. Und 6,6 Millionen (7,9%) wurden mit einer Auffrischungsimpfung versorgt.

RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler ist mit den Zahlen unzufrieden. Er fordert eine „nationale Kraftanstrengung“, um mehr Einwohner zu impfen. Impfstoff sei genug vorhanden. Allerdings scheitere die Kampagne „nicht zuletzt an der Vertretung der Ärzte und Ärztinnen“, so der RKI-Chef. „Sie will nicht, dass Apotheker oder zum Beispiel Tierärzte oder Pensionäre impfen, und beruft sich auf das Standes- und Haftungsrecht“, kritisiert der RKI-Präsident. „Auch wenn es vermutlich rechtliche und organisatorische Hindernisse geben würde: In der derzeit herrschenden Notlage finde ich schon bemerkenswert, dass bestimmte Interessengruppen das Eigeninteresse offenbar über das Gemeinwohl stellen.“

Wie jetzt bekannt wurde, plant Deutschlands nächster Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Apotheken stärker in die Impfkampagne mit einzubeziehen.

Moderna: Korrelation zwischen Schutz und Titer neutralisierender Antikörper

Im Rahmen der klinischen Phase-3-Studie zur Wirksamkeit von mRNA-1273 (Moderna) wurden bei Empfängern des Impfstoffs neutralisierende und bindende Antikörper als Korrelate des Schutzes untersucht. Diese Immunmarker wurden bei der 2. Impfung und 4 Wochen später gemessen, wobei alle Werte in standardisierten internationalen WHO-Einheiten angegeben wurden.

 
Es ist erstaunlich, wie stark der Antikörper-Titer den COVID-19-Schutz der Impfung bestimmt.Prof. Dr. Karl Lauterbach
 

Bei Personen mit einem Neutralisationstiter von 10 oder 100 bzw. 1000 lag die geschätzte Wirksamkeit des Impfstoffs jeweils bei 78% (95%-Konfidenzintervall: 54%-89%), 91% (87%-94%) und 96% (94%-98%).

 
Aus den Daten folgt: Jeder braucht Booster. Dr. Karl Lauterbach
 

„Es ist erstaunlich, wie stark der Antikörper-Titer den COVID-19-Schutz der Impfung bestimmt“, kommentiert der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach auf Twitter. „Aus den Daten folgt: Jeder braucht Booster“, so Lauterbach weiter. Auffrischungen hielten länger als 2 Impfungen. Und Non-Responder nach der 2. Impfung bräuchten wahrscheinlich schon sehr früh Booster. „Moderna dürfte stärker wirken als BionTech“, schreibt der Experte weiter.

Hunderttausende Corona-Tote im Winter 2021/2022?

Auch die WHO hat sich mit der aktuellen Lage befasst – und formuliert recht pessimistische Prognosen für Europa. Zu der Region zählen laut WHO-Einteilung 53 Länder, auch weiter östlich gelegene Staaten wie Russland, die Ukraine und die Türkei. Laut Analyse werde es in 49 von 53 Ländern ab sofort bis 1. März zu einer immens hohen Auslastung der Intensivstationen kommen.

Außerdem rechnen Experten damit, dass sich die Gesamtzahl aller COVID-19-Todesfälle auf mehr als 2,2 Millionen erhöhen werde. Derzeit seien in der Region Europa 1,5 Millionen Menschen in Zusammenhang mit COVID-19 gestorben.

„Um mit diesem Virus zu leben und unseren Alltag fortzusetzen, müssen wir einen Impfstoff-plus-Ansatz verfolgen“, sagt WHO-Regionaldirektor Hans Kluge. Darunter versteht er Grundimmunisierungen, Auffrischungen, aber auch bekannte Hygieneregeln.

Leitlinien-Update zur stationären Therapie bei COVID-1

Seit Beginn der Pandemie haben Forscher etliche Möglichkeiten der Therapie von COVID-19 untersucht – und viele Wirkstoffe, auf die sie große Hoffnungen gesetzt haben, sind von der Bildfläche verschwunden.

Die im März 2020 erstmals verfasste Leitlinie zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19 wurde mehrfach aktualisiert und auf den gesamten Bereich der stationären Therapie erweitert. Jetzt gibt es ein weiteres Update mit dem Ziel, die „anhaltend hohe“ Mortalität stationärer Patienten zu verringern, wie die Autoren schreiben. Alle wichtigen Empfehlungen im Überblick:

  • Bei nicht intensivpflichtigen Patienten und erhöhtem thromboembolischem Risiko könne Ärzte eine therapeutische Antikoagulation in Erwägung ziehen.

  • Bei Intensivpatienten zeigt diese Strategie keinen positiven Effekt.

  • Bei hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz werden eine Bauchlagerung und ein frühzeitiger Therapieversuch mit CPAP/nichtinvasiver Beatmung oder High-Flow-Sauerstofftherapie empfohlen.

  • Bei IgG-seronegativen Patienten und maximal Low-Flow-Sauerstoff lautet der Rat, monoklonalen Antikörper (Casirivimab und Imdevimab) einzusetzen.

  • Januskinase(JAK)-Inhibitoren sollten zusätzlich bei Patienten mit maximal Low-Flow-Sauerstoffbedarf eingesetzt werden.

  • Bei allen Patienten mit Sauerstoffbedarf raten die Autoren zu systemischen Kortikosteroiden.

  • Tocilizumab sollte laut Leitlinie bei Patienten mit hohem Sauerstoffbedarf und fortschreitender Erkrankung eingesetzt werden, aber nicht in Kombination mit JAK-Inhibitoren.

Welche Public Health-Maßnahmen sind effektiv?

Auch in diesem Winter werden Masken, Abstandsregeln oder vielleicht sogar Lockdowns das Bild prägen. Im British Medical Journal gehen Forscher jetzt der Frage nach, wie effektiv solche Public-Health-Maßnahmen wirklich sind. Basis der Arbeit waren Literaturrecherchen.

72 Studien erfüllten die Einschlusskriterien, von denen 35 Veröffentlichungen einzelne Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit und 37 Papers mehrere Maßnahmen als „Paket“ bewerteten. 8 der 35 Studien wurden in die Meta-Analyse einbezogen.

Eine Verringerung der COVID-19-Inzidenz zeigte sich in Verbindung mit Händewaschen (relatives Risiko 0,47; 95%-Konfidenzintervall: 0,19 bis 1,12), Maskentragen (0,47; 0,29 bis 0,75) und mit Abstandsregeln (0,75, 0,59 bis 0,95). „Aufgrund der Heterogenität der Studien war eine Meta-Analyse für die Ergebnisse von Quarantäne und Isolierung, allgemeinen Abriegelungen und Schließungen von Grenzen, Schulen oder Arbeitsplätzen nicht möglich“, schreiben die Autoren.

Seh- und Hörstörungen bei COVID-19 stärker beachten

Bereits zu Beginn der Pandemie suchten Ärzte nach Symptomen, um COVID-19 zu erkennen und von grippalen Infekten zu unterscheiden. Ein Übersichtsbeitrag in Scientific American kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als 10% aller Patienten Symptome im Bereich der Augen oder Ohren aufweisen.

Anstelle von Fieber, Husten oder Geschmacks- und Geruchsveränderungen können gereizte Augen, Hörprobleme oder Gleichgewichtsstörungen Hinweise auf Infektionen geben. „Die Daten … deuten darauf hin, dass diese Infektion mehr neuronale Folgen hat, als wir ursprünglich dachten“, sagt Lee Gehrke, Molekularbiologe am Massachusetts Institute of Technology, USA.

Veränderungen des Hörvermögens und des Gleichgewichts könnten ebenfalls Anzeichen einer SARS-CoV-2-Infektion sein, so Zahra Jafari, Neurowissenschaft an der University of Lethbridge in Alberta, Kanada. In einer Metaanalyse fanden sie und ihre Kollegen bei 12% der COVID-19-Patienten Schwindel, 4,5% Tinnitus-ähnliche Ohrgeräusche und bei 3% einen Hörverlust.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....