Hausarzt Dr. Lars Peters aus Peine in Niedersachsen macht Nägel mit Köpfen. Er hat vor seine Praxis ein Testzentrum gestellt und in einem leeren Getränkemarkt ein Impfzentrum gebaut. So will er helfen, die Welle der Impfwilligen abzufangen und etwas gegen die hohen Infizierten-Zahlen zu tun. Medscape sprach mit dem engagierten Hausarzt.
Medscape : Herr Dr. Peters, zusammen mit Ihrem Team haben Sie in Peine, einer 50.000-Einwohner-Stadt im Osten Niedersachsens, ein eigenes Impfzentrum auf die Beine gestellt. Und zwar in einem leeren Getränkemarkt. Wie ist es dazu gekommen?

Dr. Lars Peters
Peters: Nun, die Inzidenzzahlen schnellen in die Höhe, die symptomatischen Erkrankungen und die Krankenhauseinweisungen nehmen bundesweit zu – auch getriggert durch den nachlassenden Impfschutz. Die Welle der Impfwilligen für eine Booster-Impfung überrollt uns daher derzeit. Der Bedarf ist riesig.
Hinzu kommt, dass einige Praxen, die früher noch geimpft haben, dies jetzt nicht mehr tun oder die Kapazitäten neben dem normalen Praxisbetriebes nicht gegeben sind. Deshalb haben wir auch Zulauf von Patienten anderer Praxen. Die medizinischen Vorgaben für die korrekte Durchführung mit Aufklärung, Impfung mit einer Wartezeit von 15 Minuten und korrekter Meldung sowie Abrechnung sind hoch. Vermutlich sind deshalb auch manche Praxen ausgestiegen.
Wir machen in der Praxis etwa 150 bis 200 COVID-19-Impfungen und über 100 Grippe-Impfungen pro Woche. Und es wird immer schwieriger, das Ganze in den Praxisablauf zu integrieren. Wir haben gemerkt, dass wir eine schlagkräftigere Einheit für den ganzen Ansturm auf die Praxis benötigen.
Medscape : Wurde Ihnen der leere Getränkemarkt zur Verfügung gestellt?
Peters: Nein, das Gebäude hatte ich schon gekauft, weil ich meine Praxis erweitern will. Wir haben den rund 500 Quadratmeter großen Markt dann für das Impfzentrum mit Eigenmitteln ausgestattet. Faltpavillons, die zuvor als Wartezone vor der Praxis standen, wurden zu Impfkabinen umfunktioniert. Schreibtische, die ich schon für die neue Praxis gekauft hatte, konnten erstmals im Impfzentrum eingesetzt werden, und die 100 Stühle konnten wir uns von einem Veranstaltungszentrum leihen.
So haben wir im Laufe von etwa 7 Tagen ein Impfzentrum mit 5 Impfstraßen auf die Beine gestellt, inklusive Rezeption, Tischen zum Ausfüllen der Einwilligungsbögen, Aufklärungsraum, Notfallraum und großem Wartebereich.
Medscape : Woher nehmen Sie das Personal?
Peters: Schon seit Längerem betreiben wir auch ein Testzentrum in der Stadt, damals auch kurzfristig entstanden, um auf Wunsch der Kaufleute die Läden in der 2. Welle per Testmöglichkeit offen zu halten. Dazu haben wird eine ganze Menge Personal rekrutiert, etwa 20 bis 30 Leute: Krankenschwestern, MFAs, Abiturienten und aus anderen Berufen.
Auf diesen Pool können wir jetzt auch im Impfzentrum zurückgreifen. Als Ärztinnen und Arzt impfen meine 3 Kolleginnen und ich. Im Januar kommt eine weitere Kollegin dazu. Durch die Arbeit im Testzentrum kennt das Personal die Strukturen, die im Hintergrund stehen, und die Abläufe einer solchen Einheit schon ganz gut. Das erleichtert uns die Sache.
„Das Angebot wird überwältigend angenommen“
Medscape : Wie wird das Angebot angenommen?
Peters: Überwältigend. Bisher öffnen wir mittwochs von 14 bis 19 Uhr und boostern in dieser Zeit rund 500 Leute. Die Anmeldung läuft ausschließlich online. Wir sind bis Ende Januar nahezu ausgebucht. Die Freitage haben wir nun schon dazugenommen. Außerdem haben wir spezielle Berufsgruppen nach den Prioritätsvorgaben des RKI angeschrieben. Ich könnte mir auch Impfaktionen für Lehrerkollegien oder Arbeitnehmer der körpernahen Dienstleistungen vorstellen.
Medscape : Im Impfzentrum wird nur geboostert?
Peters: Ja, die Erst- und Zweitimpfungen machen wir weiter in der Praxis, denn diese Patienten haben einen höheren Aufklärungsbedarf – und das dauert. Das Impfzentrum haben wir auf „Boostern“ ausgerichtet.
„Wir müssen impfen, impfen, impfen!“
Medscape : Wäre es nicht Aufgabe des Landkreises gewesen, das geschlossene Impfzentrum wiederzueröffnen?
Peters : Der Landkreis ist abhängig von den Vorgaben des Landes. Die Landespolitik hatte entschieden, die Impfzentren zu schließen und abzubauen. Die Praxen plus mobile Teams des Landkreises waren für das Impfen als Ersatz vorgesehen. Ich denke, man hat den Empfehlungen des RKI politisch nicht konsequent Rechnung getragen und hat wertvolle Zeit für die Organisation von tragenden Strukturen wie zum Beispiel für Auffrischungsimpfungen verstreichen lassen.
Impfzentren haben in Peine manchmal mehr als 1.000 Impfungen pro Tag gemacht. Vielleicht war es einfach auch nicht im Fokus der Aufmerksamkeit bei der Politik wie auch bei uns Ärzten. Waren wir als Ärzte wirklich vorbereitet? Zeit bedeutet nun aber viel – nicht um Inzidenzzahlen zu drücken, sondern Erkrankungen und Hospitalisierungen zu verhindern und Menschenleben zu retten.
Alle Stellen müssen nun Hand in Hand arbeiten – Praxen, neue Impfzentrumsstrukturen, mobile Teams, Impfaktionen. Wir müssen impfen, impfen, impfen. Schauen wir nach vorn!
„Wir müssen greifbarer argumentieren“
Medscape: Können Sie die Argumente der Impfgegner nachvollziehen?
Peters: Es kostet schon Kraft, die Personen noch überzeugen zu wollen, die man bei mancher Argumentation einfach nicht mehr hat. Bestimmte Personen sind für die Impfung einfach verloren. Aus meiner Sicht sollen sich Impfskeptiker klar machen, wo ihre Freiheit des Impfverweigerns die Freiheit und das Wohlergehen anderer beschränkt. Ich weiß, dass dies schwierige ethische Fragen sind, die man nicht einfach so beantworten kann.
Um Skeptiker zu überzeugen, wird vielfach nur mit dem Gesellschaftsschutz argumentiert; vielleicht sollten wir einfach den Eigenschutz stärker in den Mittelpunkt stellen. Eine Erkrankung ist häufig kein Spaziergang. Es muss greifbarer argumentiert werden: Luftnot über Monate, Gedächtnisstörungen, Müdigkeit ...
Medsacpe : Was sagen Sie zu der Kontingentierung des BioNTech-Impfstoffes?
Peters: Auch hier sehe ich einfach das gleiche Organisationsverschulden der Politik. Mit besserer Kommunikation hätten wir uns darauf einrichten können und unsere Praxen steuern können. Wir müssen uns auch fragen: Waren wir als Ärzteschaft wirklich darauf eingerichtet?
Einzig mit dem Ablauf des Impfstoffes zu argumentieren, war eine schlechte Wahl. Das hätte man einfach besser machen können!
Die Politik hätte zum Beispiel darauf hinweisen sollen, dass der Impfstoff von Moderna gleichwertig zu dem von BioNTech ist und dass die Impfwirkung durch Kreuzimpfungen vielleicht sogar verlängert und die Immunisierung verbessert wird. Außerdem hätte ich mir für uns Ärzte eine schnelle und einfache Argumentationshilfe gewünscht, eine Handreichung von der KV oder vom RKI. Dann wären wir bedeutend schneller gewesen, um die 4. Welle noch aufzuhalten.
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Diesen Artikel so zitieren: So geht Boostern: Hausarzt ergreift Flucht nach vorn und baut eigenes Impfzentrum in Ex-Getränkemarkt: „Wir werden überrollt“ - Medscape - 24. Nov 2021.
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