Im Medscape-Corona-Newsblog finden Sie regelmäßig die aktuellen Trends zu Neuinfektionen und Belegung von Intensivstationen sowie eine Auswahl von klinisch relevanten Kurzmeldungen zur Pandemie.
Corona-Newsblog, Update vom 18. November 2021
Heute meldet das Robert Koch-Institut, Berlin, mit 65.371 Neuinfektionen einen weiteren negativen Rekord seit Beginn der Pandemie. Vor einer Woche waren es 50.196 zusätzliche Fälle. Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz steigt auf 336,9 Fälle pro 100.000 Einwohner. Am Vortag hatte der Wert bei 319,5 gelegen, vor einer Woche bei 249,1. Innerhalb der letzten 24 Stunden sind 264 Patienten an COVID-29 gestorben (Vorwoche: 235).
Laut DIVI-Intensivregister waren am 17. November 3.376 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, also 96 mehr als am Vortag. Momentan sind 783 Betten im Low-Care- und 1.591 im High-Care-Bereich frei. Hinzu kommen 338 freie ECMO-Behandlungsplätze.
Brenzlige Lage auf Intensivstationen – erschreckende Hochrechnungen
Deutschland ringt um eine Strategie für den Winter
Brandrede: Wieler fordert unverzüglich Maßnahmen zur Pandemie-Kontrolle
Nicht länger abwarten – 35 Ärzte fordern von der Regierung, jetzt zu handeln
Kinder-Impfungen vor Weihnachten – und Booster-Impfungen für alle ab 18
Schlechtere Blutdruck-Kontrolle in Pandemie-Zeiten
COVID-19-Therapie: Hinweise auf Nutzen von Fluoxetin
Brenzlige Lage auf Intensivstationen – erschreckende Hochrechnungen
„Laut Daten des DIVI-Intensivregisters werden 0,8% der Infizierten intensivpflichtig“, sagt Prof. Dr. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei einem SMC-Pressebriefing. „Deshalb rollt jetzt eine große Welle auf die deutsche Intensivmedizin zu.“
„Aufgrund der aktuellen Erhebungen ist es nach wie vor so, dass 80-90% aller COVID-19-Patienten auf Intensivstationen ungeimpft sind“, so Kluge weiter. Aber man sehe zunehmend auch Impfdurchbrüche.
Als Sterblichkeit bei notwendiger Intensivbehandlung nennt der Experte 30 bis 50%; bei einer ECMO-Therapie sogar „weit über 50%“ – abhängig vom Alter, von Vorerkrankungen und vom Impfstatus.
Vor allem in Bundesländern mit hohen Fallzahlen, sprich im Süden und im Osten, sehe man bereits jetzt, dass manche Krankenhäuser Notfallpatienten nicht mehr versorgen könnten. Manche Bundesländer würden jetzt bereits Verlegungen über das Kleeblattkonzept beantragen.
Personal bleibe das zentrale Problem, so Kluge. Bis zu 30% der Betten könnten wegen des Mangels an Fachkräften nicht betrieben werden. Ursachen seien neben Krankheit auch Arbeitszeit-Verringerungen oder Tätigkeiten in anderen Branchen.
Kluges Fazit: „Als Intensivmediziner fordern wir die Politik dringend auf, Kontaktbeschränkungen auszusprechen und die Gesellschaft, sich an die AHA-Regeln zu halten. Und ich denke, wir brauchen neue, intensivierte Impfkampagnen.“
Deutschland ringt um eine Strategie für den Winter
Doch die Politik hat noch keine erkennbare Linie für den Winter 2021/2022 entwickelt. Ein geplanter Entwurf zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes sorgt weiter für Kontroversen; er wird heute im Bundestag erörtert.
Die Ampel-Koalition in spe will die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ nicht verlängern, jedoch das Infektionsschutzgesetz novellieren. Ziel ist, Maskenpflicht, Abstandsregeln, Hygienekonzepte und 2G- bzw. 3G-Maßnahmen von der eigentlichen Situation zu entkoppeln. Lockdowns oder Schulschließungen soll es nach den Plänen von SPD, Grünen und FDP nicht mehr geben.
CDU und CSU fordern, die epidemische Notlage weiter zu verlängern – und drohen, andere Pläne über den Bundesrat auszubremsen. Das Gesetz ist zustimmungspflichtig – und die Uhr tickt: Am 25. November endet die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ automatisch.
Brandrede: Wieler fordert unverzüglich Maßnahmen zur Pandemie-Kontrolle
In einer Videoschalte mit Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) fasste RKI-Präsident Prof. Dr. Lothar H. Wieler Forderungen an die Politik zusammen.
Das seit Juli 2021 bekannte Szenario aus Modellierungen ist jetzt eingetroffen.
Deutschland hat zu schnell in zu vielen Bereichen Maßnahmen gelockert, was nicht den ControlCOVID-Empfehlungen des RKI entspricht.
SARS-CoV-2-Übertragungen durch Aerosole finden vor allem in Innenräumen statt. Clubs und Bars sind Hotspots; sie müssen geschlossen werden.
Kontakteinschränkungen wirken – das ist seit der 1. Welle bekannt.
Impfquoten sind immer noch zu niedrig.
Man sollte eher auf Geimpfte als auf Ungeimpfte Rücksicht nehmen.
Booster-Impfungen sind dringend notwendig.
„Wir laufen momentan in eine ernste Notlage“, fasst Wieler zusammen. „Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.“
Nicht länger abwarten – 35 Ärzte fordern von der Regierung, jetzt zu handeln
Wissenschaft schließen sich der Kritik an. Prof. Dr. Michael Hallek von der Uniklinik Köln hat zusammen mit Kollegen Brandbrief veröffentlicht, wie Univadis.de berichtete.
Insgesamt 35 Ärzte und Wissenschaftler fordern einen sofortigen Kurswechsel bei der Corona-Politik. Die 4. Welle könne alles Bekannte „in den Schatten stellen“, warnen die Autoren. Statt mit „passivem Abwarten“ die Verantwortung zunehmend ins Private zu verlagern, müsse die Politik endlich „ihrer Verantwortung umfassend gerecht werden“. Jeder Tag des Abwartens koste Menschenleben.
Weiter heißt es in dem Brief: „Das Infektionsgeschehen breitet sich unkontrolliert aus. Das Gesundheitssystem läuft Gefahr, zusammenzubrechen. Das Personal in den Krankenhäusern ist müde und quittiert den Dienst.
Auch im ambulanten Bereich steigen die Patientenzahlen; die Infektionssprechstunden sind überfüllt. Wir empfinden eine tiefe Enttäuschung über die Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und über den wiederholt nachlässigen Umgang mit dem Wohlergehen der Menschen, die auf den Schutz des Staates angewiesen sind.“ Es sei ihnen unverständlich, „dass die Verantwortungsträger dieses Landes eine solche Situation zugelassen haben“, so die Autoren.
Kinder-Impfungen vor Weihnachten – und Booster-Impfungen für alle ab 18?
Impfungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen zur Pandemie-Kontrolle. Die Bundesregierung rechnet damit, dass 5- und 11-Jährige noch vor Weihnachten geimpft werden. Sie erwartet eine EMA-Zulassung des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer für die neue Zielgruppe Ende November. „Erstmalig verfügbar in Deutschland wird dieser Kinder-Impfstoff vorbehaltlich der Zulassung voraussichtlich ab dem 20. Dezember 2021 sein“, heißt es im Bericht.
Auffrischungsimpfungen sorgen ebenfalls für Gesprächsstoff. Heute hat die STIKO ihre Empfehlungen aktualisiert und rät nun allen Personen ab 18 zur Auffrischungsimpfung. Personen mit Immundefizienz, Personen im Alter von ≥ 70 Jahren, Bewohner und Betreute in Einrichtungen der Pflege für alte Menschen sowie Personal in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen sollten jedoch mit Priorität versorgt werden, heißt es in der Mitteilung. Das gelte auch für Ungeimpfte.
Jens Spahn (CDU) machte bereits vor der STIKO-Entscheidung klar: „Wir haben alles in allem aus heutiger Sicht bis Ende des Jahres genug Impfstoff, um das zu machen“, so der Bundesgesundheitsminister. Ziel der Regierung sind 20 bis 25 Millionen Booster Shot bis zum Jahresende.
Der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, relativierte, Auffrischungsimpfungen seien bei jüngeren, weniger gefährdeten Patienten nicht auf den Tag genau nach 6 Monaten erforderlich. Außerdem müsse man berücksichtigen, dass Booster für alle „möglicherweise zu Lasten von vulnerablen Patienten“ gehen würden.
Ein neuer Impfstoff, der auch Skeptiker überzeugt?
Die EMA hat mit der Bewertung eines Antrags auf bedingte Zulassung des COVID-19-Impfstoffs Nuvaxovid (NVX-CoV2373) von Novavax begonnen. Dies geschieht über ein beschleunigtes Verfahren. Laut EMA könnte eine Stellungnahme zur Zulassung könnte innerhalb weniger Wochen abgegeben werden, wenn die vorgelegten Daten hinreichend belastbar und vollständig sind, um die Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität des Impfstoffs zu belegen.
Doch braucht die EU einen weiteren COVID-19-Impfstoff? Möglicherweise ja, wenn auch aus ganz anderen Gründen. NVX-CoV2373 wäre der 1. Totimpfstoff, sprich ein Vakzin mit jahrzehntelang bekanntem Wirkprinzip. Umfragen des Redaktionsnetzwerks Deutschland geben Anlass zur Hoffnung, dass zumindest manche Impfgegner eher Impfstoffe mit etabliertem Wirkprinzip als mRNA- oder Vektorvirus-Impfstoffe akzeptieren. Ob sich die Hoffnung bewahrheitet, bleibt abzuwarten.
Der Impfstoff enthält winzige Partikel des Spike-Proteins und ein Adjuvans, um die Immunreaktion zu verstärken. Das Immunsystem erkennt Proteine als fremd und bildet Antikörper und T-Zellen gegen sie.
NVX-CoV2373 wird in 2 zulassungsrelevanten Phase-3-Studien untersucht:
In Großbritannien zeigte sich eine Wirksamkeit von 96,4% gegen den ursprünglichen Virusstamm und 86,3% gegen Alpha (B.1.1.7). Die Gesamtwirksamkeit liegt bei 89,7%.
Außerdem läuft die PREVENT-19-Studie in den USA und Mexiko. Hier berichtet der Hersteller von einem 100%-igen Schutz gegen mittelschweres und schweres COVID-19 bei einer Gesamtwirksamkeit von 90,4%.
Laut Pressemitteilung sei das Vakzin im Allgemeinen gut verträglich und habe eine robuste Antikörperreaktion ausgelöst.
Schlechtere Blutdruck-Kontrolle in Pandemie-Zeiten
Während der COVID-19-Pandemie ist die Zahl an Hypertonie-Patienten mit Behandlungserfolg US-weit deutlich gesunken. Das geht aus elektronischen Patientendaten hervor, die von 24 Dienstleistern erhoben worden sind; medscape.com hat berichtet.
In der Studie „BP Track“ wurden zwischen 2017 und 2020 elektronische Patientendaten von fast 1,8 Millionen Patienten mit arterieller Hypertonie erfasst. Bis Ende 2019, also kurz vor der Pandemie, hatten etwas weniger als 60% eine Blutdruckkontrolle, definiert als Zielwert unter 140/90 mmHg.
Betrachtet man den Zeitraum vom Beginn der Pandemie bis Ende 2020, so sank der Anteil aller unter Kontrolle befindlichen Patienten um 7,2% auf knapp über 50%. Bei strengeren Vorgaben von weniger als 130/80 mmHg verringerte sich der Anteil im gleichen Zeitraum sogar um 4,6%. Nur noch etwa 25% erreichten diesen niedrigeren Zielwert.
Die Autoren selbst bewerten ihre Ergebnisse als „beängstigend“ hinsichtlich der Frage, ob nach der COVID-19-Pandemie eine Welle mit koronarer Herzkrankheit (KHK), Herzinfarkten, Herzinsuffizienzen, Nierenversagen, Schlaganfällen und arterieller Verschlusskrankheit folgen wird.
COVID-19-Therapie: Hinweise auf Nutzen von Fluoxetin
Eine groß angelegte retrospektive Analyse von Krankenakten aus 87 Gesundheitszentren in den Vereinigten Staaten ergab, dass Menschen, die selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), insbesondere Fluoxetin, einnahmen, deutlich seltener an COVID-19 starben als eine entsprechende Kontrollgruppe.
Das UCSF-Stanford-Forschungsteam analysierte elektronische Gesundheitsakten aus der Cerner Real World COVID-19-Datenbank, die Informationen von fast 500.000 Patienten in den USA enthielt. Dazu gehörten auch 83.584 erwachsene Patienten, bei denen zwischen Januar und September 2020 COVID-19 diagnostiziert wurde. Von diesen wurden 3.401 Patienten SSRIs verschrieben.
Der große Umfang des Datensatzes ermöglichte es den Forschern, die Ergebnisse mit einer Gruppe von Patienten mit COVID-19 zu vergleichen, die keine SSRIs einnahmen, und so die Auswirkungen von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Komorbiditäten, die mit schwerer COVID-19 assoziiert sind, wie Diabetes und Herzkrankheiten, sowie der anderen Medikamente, die die Patienten einnahmen, herauszufiltern.
Die Ergebnisse zeigten, dass Patienten, die Fluoxetin einnahmen, ein um 28% geringeres Sterberisiko hatten; Patienten, die entweder Fluoxetin oder das SSRI Fluvoxamin einnahmen, hatten ein um 26% geringeres Sterberisiko; und Patienten, die irgendein von SSRI einnahmen, hatte ein um 8% geringeres Sterberisiko als die entsprechenden Kontrollpatienten.
Letztlich zeigt die Studie nur Assoziationen, könnte aber den Ausschlag geben, klinische Studien zu beginnen.
Credits:
© Steveheap
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Diesen Artikel so zitieren: „Schlimmes Weihnachtsfest“; STIKO ändert Booster-Empfehlung; EMA bewertet Totimpfstoff – Alternative für Skeptiker? - Medscape - 18. Nov 2021.
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