Orakel am Handgelenk: Studie bestätigt Fitnesstracker Fitbit für zuverlässige Vorhersage von Vorhofflimmern – als Screening?

Interessenkonflikte

17. November 2021

Die Fitbit Heart Study wies dank eines neuartigen Software-Algorithmus einen positiven Vorhersagewert von 98% für Vorhofflimmern bei Nutzern sog. Wearables nach. Diese Software ist mit vielen Smartwatches und tragbaren Fitness-Trackern kompatibel.

„Dieser positive Vorhersagewert fällt höher aus als in früheren Studien mit anderen Algorithmen, die auf ähnliche Weise verwendet wurden. Ein solcher Ansatz scheint sich also für die breite Identifizierung von nicht diagnostiziertem Vorhofflimmern zu eignen“, sagte Studienautor Dr. Steven Lubitz, Privatdozent am Massachusetts General Hospital in Boston.

 
Ein solcher Ansatz scheint sich für die breite Identifizierung von nicht diagnostiziertem Vorhofflimmern zu eignen. Dr. Steven Lubitz
 

„Wenn dieser Algorithmus einen unregelmäßigen Herzrhythmus erkannte, entsprach dies bei der anschließenden EKG-Patch-Überwachung einem erhöhten Risiko für eine deutliche Flimmerlast von hoher klinischer Relevanz“, sagte Lubitz gegenüber Medscape.

„Nach unseren Ergebnissen bedeutet eine derart registrierte Arrhythmie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vorhofflimmern. Es sollte in diesem Fall der Arzt kontaktiert und ein EKG veranlasst werden“, so Lubitz.

„Auf die Gesamtbevölkerung bezogen geben uns diese Algorithmen nun die Möglichkeit, bei vielen Personen, die solche Geräte nutzen, ein bis dahin nicht diagnostiziertes Vorhofflimmern zu erkennen. Sie können sich dann in ärztliche Behandlung begeben, um die Morbidität infolge einer kardialen Rhythmusstörung zu verringern“, fügte er hinzu.

 
Nach unseren Ergebnissen bedeutet eine derart registrierte Arrhythmie mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vorhofflimmern. Dr. Steven Lubitz
 

Die Studienresultate wurden am 14. November anlässlich des virtuellen Jahreskongresses 2021 der American Heart Association (AHA) vorgestellt [1]. Die Studie ähnelt der Apple Heart Study von 2019, die ähnliche Ergebnisse lieferte.

Risiken von nicht diagnostiziertem Vorhofflimmern

Lubitz erklärte, dass ein nicht diagnostiziertes Vorhofflimmern zu Erkrankungen führen könne, die sich bei einer frühzeitigen Erkennung verhindern ließen. Smartwatches und Fitness-Tracker sind weit verbreitet, und viele verfügen über optische Sensoren zur Messung der Herzfrequenz. Software-Algorithmen, welche Pulsdaten passiv analysieren, können auf ein vorhandenes Vorhofflimmern hinweisen. Um jedoch falsch positive Meldungen mit anschließenden unerwünschten Folgen zu minimieren, sei die korrekte Klassifizierung entscheidend.

Entwickelt wurde dieser neuartige Algorithmus von Lubitz und seinem Team. Die Sensoren des Armbandgerätes zeichnen bei aktivierter Fitbit-App über 30 Sekunden die elektrischen Signale des Herzens auf. Ein proprietärer Algorithmus bestimmt, ob der Messwert einen normalen Sinusrhythmus oder einen unregelmäßigen Rhythmus anzeigt, der auf ein Vorhofflimmern hindeutet.

Der Algorithmus ist Eigentum von Fitbit. Das Unternehmen bemüht sich aktuell um die Zulassung seiner Anwendung durch die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA). Vergleichbare Algorithmen sind bereits im Einsatz, wie z.B. der aus der Apple Heart Study, der inzwischen recht häufig genutzt wird.

Mehr als 455.000 Studienteilnehmer

In der aktuellen Studie wurde der positive Vorhersagewert des Fitbit-Algorithmus für ein noch nicht diagnostiziertes Vorhofflimmern an einer Reihe von tragbaren Geräten getestet. Die Rekrutierung und Registrierung der Studienteilnehmer erfolgte über Anzeigen in der App sowie über das Internet.

Wenn bei einem Teilnehmer der Studie ein unregelmäßiger Herzrhythmus festgestellt wurde, konnte die Person über eine In-App-Benachrichtigung und eine E-Mail benachrichtigt und aufgefordert werden, über die Fitbit-App auf dem Smartphone einen Termin mit einem Telemedizin-Anbieter zu vereinbaren.

Den Betroffenen wurde ein Rhythmuspflaster mit integrierter EKG-Aufzeichnungseinheit zugeschickt, das sie eine Woche lang tragen sollten, um es dann per Post zurückzuschicken. Anschließend sollten sie einen 2. Telemedizin-Termin vereinbaren, um die Ergebnisse der Aufzeichnungen zu besprechen.

Alle Teilnehmer mit registrierter Arrhythmie wurden aufgefordert, 90 Tage nach der Benachrichtigung einen Fragebogen auszufüllen. Am Ende der gesamten Studie sollten zudem sämtliche Teilnehmer einen Fragebogen beantworten.

Aufgenommen wurden Probanden, die mindestens 22 Jahre alt waren, einen Wohnsitz in den USA hatten, über ein kompatibles Fitbit-Gerät (Fitness-Tracker oder Smartwatch) sowie über ein Smartphone mit installierter Fitbit-App verfügten. Ausgeschlossen wurden Patienten, die nach eigenen Angaben schon einmal Vorhofflimmern oder -flattern hatten, orale Antikoagulanzien einnahmen oder einen Herzschrittmacher oder Defibrillator trugen.

Laut Lubitz werden bei diesem Algorithmus die Pulsdaten kontinuierlich in 5-Minuten-Blöcken aufgezeichnet, die sich zu 50% überlappen. „Wenn 11 von 11 aufeinanderfolgenden 5-Minuten-Blöcken unregelmäßig sind, bedeutet dies, dass ein unregelmäßiger Herzrhythmus erkannt wurde. Der Algorithmus benötigt mindestens 30 Minuten mit einem unregelmäßigen Rhythmus, um ein Vorhofflimmern zu detektieren“, erklärte er.

Der Algorithmus funktioniere nur, wenn der Teilnehmer inaktiv sei, was von den Beschleunigungssensoren des Geräts festgestellt werde. Bei einem normalen 5-Minuten-Registrierungsblock werde der Algorithmus zurückgesetzt.

An der Studie nahmen 455.669 Personen teil. Von diesen erhielten 4.728 eine Benachrichtigung über die Feststellung von Herzrhythmusstörungen, 1.671 schlossen den ersten Telemedizin-Termin ab, worauf an 1.409 Personen EKG-Rhythmuspflaster versandt wurden. Von diesen Pflastern wurden 1.162 zurückgeschickt, und 1.057 wurden in die EKG-Analyse einbezogen, die bei 340 Personen die Diagnose Vorhofflimmern ergab.

Die Fragen am Ende der Studie wurden von 24.532 Teilnehmern beantwortet. 1.504 füllten den Fragebogen nach 90 Tagen aus, nachdem ein unregelmäßiger Herzrhythmus festgestellt worden war. Darunter waren 225 Personen mit einer Arrhythmie, die während der EKG-Endpunktanalyse festgestellt wurde.

Unregelmäßiger Herzrhythmus bei 1%

Bei etwa 1% der Teilnehmer insgesamt wurde eine Arrhythmie festgestellt. Dieser Anteil war bei Männern größer als bei Frauen (2,1% bzw. 0,6%) und lag bei Personen im Alter von 65 Jahren oder älter höher als bei Personen unter 65 (3,6% bzw. 0,7%).

Bei 32% der Personen mit Unregelmäßigkeiten, die anschließend ein EKG-Pflaster trugen, wurde durch das Monitoring ein Vorhofflimmern bestätigt. „Das ist eine deutliche Verbesserung beim Screening auf Vorhofflimmern im Vergleich zu anderen Studien, bei denen EKG-Rhythmuspflaster ohne jegliche Voruntersuchung auf Pulsanomalien verwendet wurden“, so Lubitz. „Dabei wurden in früheren Studien ohne Vorab-Screening Raten von unter 5% ermittelt.“

Der primäre Endpunkt war der positive Vorhersagewert des Algorithmus zur Erkennung von Herzrhythmusstörungen bei zugleich vom EKG-Rhythmuspflaster registrierten Vorhofflimmern. Der positive Vorhersagewert lag unabhängig von Alter und Geschlecht bei 98%.

„Das bedeutet, dass der Algorithmus ein Vorhofflimmern in 98% der Fälle korrekt erkannte, wenn es auftrat, während eine Person gleichzeitig ein EKG-Rhythmuspflaster trug“, erklärte Lubitz. „Dies ist der höchste Vorhersagewert, der bisher in Studien mit vergleichbarem Design erreicht wurde“, fügte er hinzu.

 
Der Algorithmus erkannte ein Vorhofflimmern in 98% der Fälle korrekt, wenn es auftrat, während eine Person gleichzeitig ein EKG-Rhythmuspflaster trug. Dr. Steven Lubitz
 

„Die Zahl von 32% ergibt sich aus dem Prozentsatz der Personen, bei denen ein unregelmäßiger Rhythmus auf dem Gerät festgestellt wurde und bei denen anschließend ein Vorhofflimmern mithilfe des EKG-Rhythmuspflasters erkannt wurde. Die Rhythmusstörungen könnten auch mehrere Tage vor dem Tragen des Pflasters aufgetreten sein. Diese niedrigere Zahl ist nicht überraschend, da ein Vorhofflimmern nicht permanent vorhanden ist. Es kann kommen und gehen, was diese Art des Vorhofflimmerns so schwer nachweisbar macht“, so Lubitz.

Die Patienten, bei denen das Vorhofflimmern von einem Rhythmuspflaster angezeigt wurde, hatten in 7% des Zeitraumes ein Vorhofflimmern, was einer relativ hohen Flimmerlast entspreche. Im Gegensatz dazu habe der Zeitraum in früheren Studien mit EKG-Rhythmuspflastern oft bei 1% oder weniger gelegen, „sodass wir definitiv eine Hochrisikopopulation herausfiltern“, sagte er.

„Die mediane Dauer der längsten Episode während der EKG-Pflasterüberwachung betrug 7 Stunden, was auf eine erhebliche Flimmerlast hindeutet“, kommentierte er.

Bei bestätigtem Vorhofflimmern, so Lubitz, werde der Patient einer Standardbewertung seines Schlaganfallrisikos unterzogen. Daraus leite sich dann die Entscheidung darüber ab, ob ein Antikoagulans verschrieben werden solle oder nicht.

„Wir wissen, dass ein Zusammenhang zwischen der Dauer des Vorhofflimmerns eines Patienten und dem Schlaganfallrisiko besteht, aber wir haben keinen genauen Schwellenwert. Was die Studie jedoch zeigt, ist, dass die registrierten Episoden mit Vorhofflimmern nicht auf die leichte Schulter zu nehmen sind“, erklärte er.

Auf die Frage, ob die Technologie für die Risikogruppen eines Vorhofflimmerns geeignet sei, da derartige tragbare Geräte vornehmlich von jungen Menschen genutzt würden, entgegnete Lubitz, dass auch viele ältere Menschen solche Geräte nutzten. In Zahlen waren 13% der Teilnehmer an der aktuellen Studie älter als 65 Jahre.

Vergleich mit Apple-Studie

Dr. Mintu Turakhia, Direktor des Stanford Center for Digital Health in Kalifornien, wies darauf hin, dass die Fitbit Heart Study der zuvor durchgeführten Apple Heart Study sehr ähnlich sei, die Fitbit-App bzw. der Fitbit-Algorithmus jedoch sowohl mit Apple- als auch mit Android-Geräten genutzt werden könne. Beide Studien hätten auch eine ähnliche Teilnehmerzahl, wobei in der Fitbit-Studie jedoch der Frauenanteil höher als in der Apple-Studie gewesen sei (71% bzw. 42%).

Obwohl der Anteil an Benachrichtigungen mit 0,5% in der Apple-Studie im Vergleich zu 1% in der Fitbit-Studie geringer ausfiel, war der Prozentsatz der über 65-Jährigen, bei denen ein unregelmäßiger Rhythmus festgestellt wurde, in beiden Studien mit etwa 3% ähnlich.

Der positive Vorhersagewert für ein gleichzeitiges Vorhofflimmern war in der Fitbit-Studie höher als in der Apple-Studie (98% bzw. 84%), der Anteil an detektiertem Vorhofflimmern in der anschließenden Phase mit einem EKG-Rhythmuspflaster war in beiden Studien ähnlich.

„Beide Algorithmen filtern also Personen heraus, die sich in einem frühen Stadium einer Erkrankung mit Vorhofflimmern befinden“, sagte Turakhia.

Er gab jedoch zu bedenken, dass es ein Problem mit der Bereitschaft zur Teilnahme gab: Nur 35% bis 44% der Personen, die eine Benachrichtigung über einen unregelmäßigen Herzrhythmus erhalten hatten, forderten daraufhin in den Studien ein EKG-Pflaster an. Er wies auch darauf hin, dass die Apple-Studie zu keinem Anstieg der Zahl der Arztkontakte aufgrund eines Vorhofflimmerns geführt habe. „Daran sehen wir, dass noch viel zu tun ist“, schloss Turakhia.

Veränderung beim Outcome?

Prof. Dr. Sana M. Al-Khatib, Duke University Medical Center in Durham, North Carolina, sagte zu der Studie bei der AHA: „Wir wissen, dass wir Vorhofflimmern entdecken, wenn wir screenen. Und wir wissen, dass Patienten mit Vorhofflimmern ein schlechteres Outcome haben. Wir wissen aber nicht, ob eine Behandlung dieser Patienten etwas an diesem Outcome ändern würde. Diese Studie sagt uns nicht, ob die Entdeckung des Vorhofflimmerns auf diese Weise zu einer Änderung der Behandlung dieser Patienten oder zu einer Verbesserung der Ergebnisse führt.“

Und sie fügte hinzu: „Im Verlauf der Studie gingen wirklich viele Teilnehmer verloren. Bei vielen wurde zwar ein unregelmäßiger Rhythmus festgestellt, aber nur wenige lieferten am Ende auch ein analysierbares EKG mit dem Rhythmuspflaster, was man bei der Interpretation der Ergebnisse sicherlich berücksichtigen muss.“

 
Diese Studie sagt uns nicht, ob die Entdeckung des Vorhofflimmerns auf diese Weise zu einer Änderung der Behandlung dieser Patienten oder zu einer Verbesserung der Ergebnisse führt. Prof. Dr. Sana M. Al-Khatib
 

Sie folgerte dennoch: „Für mich zeigt die Studie jedoch, dass sich mit etwas wie der App von Fitbit nach Herzrhythmusstörungen fahnden lässt.“

Da der Algorithmus nur bei Inaktivität eingesetzt werden kann, frage sie sich, ob er auch ein sympathisch bedingtes Vorhofflimmern erkennen würde, das meist durch Aktivität ausgelöst werde.

Lubitz sagte dazu, dass die meisten verfügbaren Algorithmen voraussetzen, dass die Teilnehmer zum Zeitpunkt der Pulserfassung inaktiv seien. „Das ist keine Besonderheit dieses speziellen Algorithmus. Es handelt sich eher um eine Einschränkung der derzeitigen Technologie. Aber man könnte sich für die Zukunft Szenarien oder Algorithmen vorstellen, um auch während einer Aktivität gewonnene Daten zu interpretieren.“

Paroxysmales Vorhofflimmern eher wenig erforscht

Prof. Dr. Elaine Hylek, Boston University School of Medicine in Massachusetts, moderierte das Presse-Briefing und sagte, die Ärzte wüssten gern, wie sie die Informationen aus diesen Studien nutzen sollten: „Welcher Bevölkerungsgruppe sollte dieses Screening angeboten werden? Vielleicht Personen mit dem höchsten Risiko, also mit Diabetes, Herzinsuffizienz und Bluthochdruck?“

 
Für mich zeigt die Studie jedoch, dass sich mit etwas wie der App von Fitbit nach Herzrhythmusstörungen fahnden lässt. Prof. Dr. Sana M. Al-Khatib
 

Sie wies auch darauf hin, dass es nicht sicher sei, welche klinische Relevanz ein kurzes Vorhofflimmern habe. „Das paroxysmale Vorhofflimmern ist aus meiner Sicht immer noch ein eher wenig erforschtes Gebiet. Wir können die Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf Patienten mit persistierendem und permanentem Vorhofflimmern extrapolieren, welche jedoch die Grundlage für unsere Risikomodelle zum Schlaganfall bilden.“

Hylek fügte jedoch hinzu: „Als Nutzer eines solchen Gerätes würde ich mir, wenn ich ein Vorhofflimmern angezeigt bekäme, die Frage stellen, ob ich mehr Sport treiben und mein Gewicht und meinen Salzkonsum verringern sollte, da der Blutdruck ein sehr wichtiger Auslöser des Vorhofflimmerns ist. Ich halte das für eine ziemlich aufregende Sache.“

Lubitz erklärte, die Studie sollte zeigen, ob der Algorithmus in der Lage ist, ein Vorhofflimmern bei den Nutzern solcher Geräte genau zu identifizieren. „Und wir denken, das Ergebnis lautet ja.“

Er könnte sich auch ein Szenario vorstellen, ergänzte er, in dem Ärzte Wearable-Technologie verschreiben oder Versicherer und Krankenkassen die Erstattung von derartiger Technologie zur Erkennung von Vorhofflimmern unterstützen. „Aber diese Fragen müssen noch beantwortet werden“, sagte er.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

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