Tramadol wird immer häufiger in der Behandlung chronischer, nicht krebsbedingter Schmerzen eingesetzt, doch scheint es im Vergleich zu anderen Opioiden mit einem höheren Risiko für unerwünschte Wirkungen verbunden zu sein, wie neue Daten zeigen. Die Arbeit wurde im JAMA veröffentlicht [1].
In einer Kohorte von Patienten, die wegen orthopädischer Schmerzen entweder Tramadol oder Codein verschrieben bekamen, war Tramadol mit einem signifikant höheren Risiko für Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse und Knochenbrüche verbunden. Beim Risiko für Stürze, Delir, Obstipation, Opioidmissbrauch/-abhängigkeit oder Schlafstörungen gab es jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Wirkstoffen.
Hinweise auf Risiken mehrten sich
Tramadol gilt als relativ sicheres Opioid und wurde sogar ausdrücklich von der American Academy of Orthopaedic Surgeons für Patienten mit symptomatischer Kniearthrose empfohlen. Nach Studien zum Opioidkonsum in den Jahren 2019 bis 2020 ist Tramadol das am häufigsten verschriebene Opioid in Großbritannien, den Niederlanden und Spanien, so die Autoren.
Zwischen 2013 und 2019 stieg in den USA die altersbereinigte Rate der Todesfälle infolge einer Überdosierung synthetischer Opioide von 1,0 pro 100.000 auf 11,4 auf an. Die meisten dieser Todesfälle waren auf Fentanyl zurückzuführen, doch einige standen auch mit Tramadol im Zusammenhang.
Trotz der weiten Verbreitung von Tramadol in der Behandlung chronischer, nicht krebsbedingter Schmerzen deuten neuere Untersuchungen auf nachteilige Ergebnisse im Vergleich zu anderen Wirkstoffen hin. Im vergangenen Jahr wurde in einer Studie festgestellt, dass bei älteren Tramadol-Patienten das Risiko einer Hüftfraktur im Vergleich zu Patienten, die NSAR oder Codein einnahmen, deutlich erhöht war. Eine andere Studie aus demselben Jahr zeigte, dass Arthrosepatienten, die mit Tramadol behandelt wurden, ein um 20 bis 50% höheres Risiko hatten, im ersten Behandlungsjahr zu sterben, als Patienten, die mit NSAIDs behandelt wurden.
Tramadol und Codein im Vergleich
In der aktuellen Studie untersuchten Reyes und ihr Team den Zusammenhang zwischen Tramadol und Sterblichkeit sowie anderen nachteiligen klinischen Outcomes im ambulanten Setting im Vergleich zu Codein.
Sie führten dazu an einer Datenbank der Primärversorgung eine retrospektive, populationsbasierte Kohortenstudie mit Propensity-Score-Matching durch. Die Daten boten die medizinischen Aufzeichnungen und Apothekenabgaben zu über 80% der Bevölkerung Kataloniens. Die Kohorte umfasste Personen ab 18 Jahren, denen zwischen 2007 und 2017 Tramadol oder Codein verschrieben worden war. Der Beobachtungszeitraum endete am 31. Dezember 2017.
Nach dem Propensity-Score-Matching umfasste die endgültige Analyse 368.960 Teilnehmer: 184.480 in der Tramadol-Gruppe und 184.480 in der Codein-Gruppe.
Das Durchschnittsalter der Patienten in der Tramadol-Gruppe betrug 52,7 Jahre und in der Kodein-Gruppe 53,5 Jahre. Die Prävalenz für Malignome lag bei 3,2% bzw. 3,3%. Die häufigsten Diagnosen in den Gruppen waren Rückenschmerzen (47,5% vs. 48,5%), Nacken-/Schulterschmerzen (28,6% vs. 29,5 %) und Arthrose (15,3% vs. 15,5%). Die am häufigsten verwendeten Medikamente waren Ibuprofen (34,4% vs. 34,3%) und Paracetamol (37,1% vs. 36,8%)
Höheres Risiko für unerwünschte Wirkungen
Die Einnahme von Tramadol war im Vergleich zu Codein mit einem signifikant höheren Risiko bei folgenden Parametern verbunden:
Mortalität (13,00 vs. 5,61 pro 1000 Personenjahre; Hazard Ratio: 2,31; 95%-Konfidenzintervall-KI: 2,08–2,56; absolute Rate Difference, ARD: 7,37 pro 1000 Personenjahre, 95%-KI: 6,09–8,78)
kardiovaskuläre Ereignisse (10,03 vs 8,67 pro 1000 Personenjahre; HR: 1,15: 95% KI: 1,05–1,27; ARD: 1,36 pro 1000 Personenjahre, 95%-KI: 0,45–2,36)
Frakturen (12,26 vs 8,13 pro 1000 Personenjahre; HR: 1,50; 95%-KI: 1,37–1,65; ARD: 4,10 pro 1000 Personenjahre, 95%-KI: 3,02–5,29).
Eine Subgruppen- und Sensitivitätsanalyse zeigte, dass das mit Tramadol assoziierte erhöhte Mortalitätsrisiko bei jüngeren Personen signifikant höher war als bei älteren (HR: 3,14; 95%-KI: 1,82–5,41 vs. HR: 2,39; 95%-KI: 2,20–2,60; p < 0,001 für Interaktion). Darüber hinaus hatten Frauen ein signifikant höheres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse als Männer (HR: 1,32; 95%-KI: 1,19–1,46 vs. HR: 1,03; 95%-KI: 0,93–1,13; p < 0,001 für die Interaktion).
Limitierte Aussagekraft
„Es handelt sich jedoch um eine retrospektive Kohortenstudie, und obwohl sie Informationen liefert, die sich z.B. nicht durch randomisierte kontrollierte Studien erheben ließen, sollte man seine ärztliche Entscheidung nicht ausschließlich auf diese Studie stützen“, warnte die Hauptautorin Dr. Carlen Reyes vom Institut Universitari d'Investigació en Atenció Primària (IDIAP Jordi Gol) in Barcelona.
Sie wies darauf hin, dass die Einnahme von Tramadol und Codein anhand der Anzahl der abgegebenen „Packungen“ analysiert wurde, um einen Näherungswert für die tatsächliche Einnahme zu erhalten. „Es scheint logisch anzunehmen, dass je mehr Packungen eines Medikaments abgegeben wurden, desto mehr Dosen auch vom Patienten eingenommen wurden. Aber das ist nicht immer der Fall, da Tramadol im Handel in unterschiedlichen Dosierungen erhältlich ist und unterschiedliche Dosen verschrieben werden“, sagte sie.
„Da wir die tatsächlich verordnete Dosis nicht berücksichtigt haben, können wir nur ein erhöhtes Risiko für diese Folgen vermuten und unterstreichen die Notwendigkeit weiterer prospektiver Studien mit einer spezifischeren Analyse der Dosis-Wirkungs-Beziehung, um den Vergleich zwischen Tramadol und Codein zu ermöglichen.
Mögliches Confounding
Dr. Daniel Solomon, wissenschaftlicher Leiter der Abteilung für Rheumatologie am Brigham and Women's Hospital und Professor an der Harvard Medical School in Boston, merkte in seiner Stellungnahme zu den Daten an, dass höchstwahrscheinlich nie eine große, direkte Vergleichsstudie zur Sicherheit verschiedener Opioide durchgeführt werden würde, weshalb man sich die Ergebnisse dieser Studie genau ansehen solle.
„Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass diese Art der Analyse durch ihr großes Potenzial an Residual Confounding eingeschränkt ist“, sagte er. „Mit anderen Worten: Obwohl die Autoren modernste Methoden angewandt haben, um Ungleichgewichte im Vergleich zwischen Tramadol- und Codein-Patienten herauszufiltern, gibt es reichlich Gründe für die Annahme, dass manche Ungleichgewichte bestehen geblieben sind und für die Unterschiede bei den unerwünschten Ereignissen verantwortlich sein könnten.“
Wenn man sich etwa die Verteilung der Begleiterkrankungen in den beiden Gruppen anschaue, so sehe man, dass Tramadol-Patienten häufiger an chronischen Nierenerkrankungen, Diabetes und insgesamt an mehr chronischen Begleiterkrankungen litten. „Dies lässt mich vermuten, dass die verschreibenden Ärzte bei der Auswahl der zu verschreibenden Opioide bestimmte Auswahlkriterien anwenden“, erklärte Solomon.
„Der Einsatz des Propensity-Score-Matching durch die Autoren schränkt zwar das Confounding ein, kann aber nur das Gleichgewicht bei den gemessenen Störvariablen verbessern“, sagte er. „Andere Faktoren, die in diesem Datensatz nicht bestimmt wurden, wie z.B. Blutdruck, Schmerzen, körperliche Aktivität, Tabakkonsum, BMI usw., können auch nach dem Abgleich noch für ein Ungleichgewicht sorgen.“
Aber auch nach Berücksichtigung dieser Einschränkungen blieben die Ergebnisse besorgniserregend, betonte Solomon, insbesondere die höhere Gesamtmortalität bei Tramadol- und Codeinkonsumenten. „In dieser Studie wurde leider die Todesursache nicht berücksichtigt. Damit ließe sich besser verstehen, warum die Mortalität bei Tramadol-Patienten höher ist“, fügte er hinzu. „Es könnte auch Anhaltspunkte dafür liefern, ob es sich dabei um einen echten biologischen Effekt oder um Residual Confounding handelt.
Empfundene Sicherheit
In einem begleitenden Editorial schrieben Dr. Howard S. Kim und sein Team von der Northwestern University in Chicago, dass das größte Risiko von Tramadol möglicherweise in der Wahrnehmung liege, dass es „von Natur aus sicherer ist als andere Opioide“.
„In Wahrheit führen jedoch die Wirkmechanismen und der variable Metabolismus von Tramadol in bestimmten Populationen zu erheblichen therapeutischen Unsicherheiten und einem zusätzlichen Risiko“, wie aus der aktuellen Studie hervorgehe, so die Autoren.
Wenn Ärzte feststellen, dass die Gabe eines Opioids zur Schmerzlinderung erforderlich ist, können reine Opioid-Agonisten, wie z.B. Morphin oder Hydrocodon, mit besser vorhersehbarer therapeutischer Wirkung und einem bekannten Nebenwirkungsprofil, die bessere Wahl sein. „Dies würde es Ärzten und Patienten ermöglichen, die Risiken und den Nutzen einer Opioidtherapie im Rahmen eines gemeinsamen Entscheidungsfindungsprozesses besser zu kalkulieren und die bei allen Opioiden sinnvolle Beratung über den sicheren Umgang mit ihnen, ihre Lagerung und ihre Entsorgung zu besprechen“, schreiben die Herausgeber.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
Credits:
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Diesen Artikel so zitieren: Teuer erkaufte Schmerzstillung? Unter Tramadol kommt es häufiger zu Todesfällen als unter Codein - Medscape - 11. Nov 2021.
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