Gefäßmediziner kritisieren den Einsatz der gesundheitspolitisch Verantwortlichen gegen die Nikotinsucht als mangelhaft. Deutschland sei bei der Rauchentwöhnung Schlusslicht in Europa, heißt es in einer aktuellen Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG). Eine Option zur Entwöhnung könnte die transkranielle Magnetstimulation werden. Zu ihr liegen nun positive Daten aus einer kontrollierten Studie mit 262 Patienten vor.
Im Einzelfall zahlen Krankenkassen sogar
Ein Expertengremium mit einem Mitglied der DGG sowie anderen Experten aus nationalen und internationalen Institutionen, hat kürzlich auf der 37. DGG-Jahrestagung über die Situation der Raucher in Deutschland informiert und Handlungsempfehlungen für gesundheitspolitische Entscheider formuliert. Die DGG rät zu einer objektiven Aufklärung über die Möglichkeiten einer Entwöhnung mit etablierten Maßnahmen wie E-Zigaretten, Tabakerhitzern oder einer Nikotinersatztherapie, wenn die Entwöhnung ansonsten nicht gelingt.
Auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind laut der DGG-Mitteilung sinnvoll. „Solche Maßnahmen werden neuerdings sogar im Einzelfall von den Krankenkassen finanziert“, so Prof. Dr. Martin Storck, Städtisches Klinikum Karlsruhe. „Kritisch anzusehen ist allerdings, dass die Gesundheitspolitik das Thema im europäischen Vergleich („tobacco regulation“) nicht ausreichend aufgreift.“ So liege Deutschland bei der Tabakentwöhnung im europäischen Vergleich an letzter Stelle.
Information der Bevölkerung: „mangelhaft"
„Für Raucherinnen und Raucher, die nicht gänzlich mit dem Rauchen aufhören können oder wollen, bedeutet der vollständige Umstieg zum Beispiel auf E-Zigaretten oder Tabakerhitzer eine erhebliche gesundheitliche Schadensminderung“ wird Storck in der Mitteilung weiter zitiert. „Die Information der deutschen Bevölkerung bezüglich dieser möglichen Risikoreduktion ist jedoch mangelhaft.“
So habe eine aktuelle Umfrage in Deutschland gezeigt, dass 61 Prozent der Befragten das gesundheitliche Risiko durch E-Zigaretten genauso, höher oder sogar viel höher als das durch Tabakzigaretten einschätzen. „Dabei sind die Methoden der Rauchentwöhnung wissenschaftlich schon lange etabliert – sie werden in Deutschland im europäischen Vergleich nur viel zu selten angewandt“, berichtet Storck. Alternativprodukte zur herkömmlichen Zigarette seien noch immer nicht als wirksame Mittel zur Rauchentwöhnung anerkannt worden.
Auch die Reform der Besteuerung ging einseitig zu Lasten der für die Rauchentwöhnung in wissenschaftlichen Studien anerkannten Ersatzprodukte. Einer aktuellen Studie aus England zufolge spielen regulatorische und gesundheitspolitische Maßnahmen bei der Rauchentwöhnung jedoch eine zentrale Rolle: Nur 34 von 100 Rauchern hätten demnach ohne Coaching mit dem Rauchen aufgehört. Nur einem sei es gelungen, ganz mit dem Rauchen aufzuhören.
Transkranielle Magnetstimulation eine kommende Option?
Eine Option zur Tabakentwöhnung könnte womöglich die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) werden. Dies lassen die Ergebnisse einer multizentrischen Studie mit 262 Patienten schlussfolgern, die kürzlich im Fachmagazin World Psychiatry erschienen ist [1].
Die Anwendung der rTMS führte nach 6 Wochen zu einer mehr als doppelt so hohen Abstinenzrate wie die Scheinstimulation (28 versus knapp 12%). „Das ist in Ergänzung zu den bisherigen Behandlungsoptionen bei Tabakabhängigkeit ein beachtliches Ergebnis“, kommentiert Prof. Dr. Walter Paulus von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) in einer Mitteilung.
In den USA hätten diese Ergebnisse bereits zur Zulassung der rTMS für die Behandlung von Rauchern geführt. Um den Stellenwert die Anwendung in Deutschland zu beurteilen, sei allerdings weitere Forschung notwendig.
An der Studie waren 262 Patienten von 12 US-amerikanischen und 2 israelischen Kliniken beteiligt. Hierbei wurde eine spezielle Form der rTMS, einer sogenannte deep TMS, eingesetzt, mit einer weniger fokal wirkenden Stimulationsspule (eine sog. H4 Spule). „Das randomisierte und Placebo-kontrollierte Design dieser Studie erfüllt die höchsten Standards und macht die Ergebnisse gegenüber früheren Untersuchungen belastbarer“, so die Einschätzung von Frank Padberg von der Psychiatrischen Uniklinik München, der das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte German Center for Brain Stimulation (GCBS) koordiniert.
Magnetstimulation mit psychotherapeutischen Kurzinterventionen
Alle Patientinnen in der aktuellen Studie hatten mindestens einen erfolglosen Versuch hinter sich, mit dem Rauchen aufzuhören. Bei 2 Dritteln der Teilnehmer waren 3 oder mehr Anläufe gescheitert.
„Eine weitere Besonderheit der Studie ist, dass zusätzlich zu dieser speziellen Form der rTMS auch verhaltenstherapeutische Kurzinterventionen eingesetzt wurden“, so Padberg in der Mitteilung. Unmittelbar vor der Behandlung wurden 5 Minuten lang suchtspezifische Symptome provoziert: Die Studienteilnehmer sollten sich die Auslöser ihres Suchtverlangens vorstellen und wurden mit einer Audiodatei und Bildern zum Rauchen konfrontiert. Danach erfolgte die Hirnstimulation (in jeder Sitzung 60 Einheiten von je 3 Sekunden Dauer mit jeweils 30 Pulsen) mittels einer Magnetspule, die über den Regionen des lateralen präfrontalen Kortex und der Inselrinde platziert wurde.
Jeder zweite Teilnehmer wurde dabei aber nur zum Schein stimuliert – diese Placebogruppe diente zum Vergleich. Nach der Stimulation wurde ein Motivationsgespräch als 2-minütige Kurzintervention geführt.
Deutliche Therapieeffekte
In den ersten 3 Wochen wurden die Probanden werktäglich behandelt, in den folgenden drei Wochen einmal wöchentlich. Nach 18 Wochen hatten es in der Gruppe der mit rTMS Behandelten laut Fragebogen 19,4% geschafft, mindestens 4 Wochen durchgehend nicht zu rauchen, was die Forscher mittels Urinproben auf Nikotinabbauprodukte kontrollierten.
In der Vergleichsgruppe lag der Anteil bei lediglich 8,7%. Nach den ersten 6 Wochen hatten sich sogar 28% der mit rTMS Behandelten von den Zigaretten befreien können, in der Placebogruppe waren es nur 11,7%. Durchschnittlich rauchten die Patienten der Verumgruppe weniger Zigaretten und hatten ein vermindertes Verlangen danach.
Der Beitrag ist im Original bei Univadis erschienen.
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Diesen Artikel so zitieren: Deutschland Schlusslicht in Europa bei der Rauchentwöhnung: Transkranielle Magnetstimulation als Hoffnungsträger? - Medscape - 9. Nov 2021.
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