Sigmoidoskopie rettet viele Leben; Neue Leitlinien zur COVID-Impfung beim Myelom; Nebenwirkungen bei CAR-T-Zell-Therapie

Dr. Susanne Heinzl

Interessenkonflikte

9. November 2021

Im Onko-Blog dieser Woche geht es u.a. um das Screening beim Kolorektalkarzinom. Eine italienische Studie zeigte, dass der Effekt einer Sigmoidoskopie auf die Inzidenz 15 Jahre und die Sterblichkeit an Kolorektalkarzinom 19 Jahre nachweisbar ist. Bestimmte genetische Formen eines DLBCL bei Patienten unter 60 Jahren sprechen gut auf eine Zugabe von Ibrutinib zur R-CHOP an. Jüngere Überlebende eines B-NHL haben ein höheres Risiko als Ältere altersassoziierte Erkrankungen zu erleiden. Das European Myeloma Network hat Empfehlungen zur COVID-19-Impfung von Patienten mit multiplem Myelom und seinen Vorerkrankungen erarbeitet. Und die ASCO hat Empfehlungen zum Umgang mit immunvermittelten Nebenwirkungen der CAR-T-Zelltherapie veröffentlicht.

  • Kolorektalkarzinom: Screening mit Sigmoidoskopie senkt Krebsinzidenz und Sterblichkeit über lange Zeit

  • Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom: Ibrutinib bei jüngeren Patienten mit bestimmten genetischen Subtypen wirksam

  • B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom: Jüngere Überlebende haben höheres Risiko für weitere Erkrankungen im Alter

  • Multiples Myelom: Consensus-Papier des European Myeloma Networks zur COVID-19-Impfung

  • CAR-T-Zell-Therapie: ASCO-Leitlinie zum Umgang mit immunvermittelten Nebenwirkungen

Kolorektalkarzinom: Screening mit Sigmoidoskopie senkt Krebsinzidenz und Sterblichkeit über lange Zeit

Eine Sigmoidoskopie im Alter zwischen 55 und 64 Jahren kann die Inzidenz eines Kolorektalkarzinoms und die dadurch bedingte Sterblichkeit effektiv senken. Der Effekt war bis zu 15 bzw. 19 Jahre nachzuweisen. Diese Langzeitergebnisse der randomisierten kontrollierten SCORE-Studie hat eine italienische Arbeitsgruppe in Annals of Internal Medicine publiziert.

Mehrere große, randomisierte Studien zum Darmkrebs-Screening mit Sigmoidoskopie hatten nach einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 10 bis 12 Jahren in der Intention-to-treat-Analyse eine erhebliche Verringerung der Inzidenz (zwischen 18 und 26%) und der Sterblichkeit (zwischen 22 und 31%) an einem Kolorektalkarzinom gezeigt. Dieser Effekt blieb nach Langzeitbeobachtungen in 3 dieser Studien bis zu 15 bis 17 Jahre erhalten.

In der SCORE-Studie wurden 34.272 Personen im Alter von 55 bis 64 Jahren randomisiert in 6 Zentren in Italien entweder mit einer einmaligen Sigmoidoskopie untersucht oder wie üblich versorgt (Kontrollgruppe).

Im Vergleich zur Kontrollgruppe war die Darmkrebs-Inzidenz nach 15 Jahren um 19% und die Sterblichkeit nach 19 Jahren um 22% niedriger. Mehr als 80% der verhinderten Todesfälle sind auf die Prävention eines Kolorektalkarzinoms auf die Entfernung von Adenomen beim Screening zurückzuführen.

„Diese Ergebnisse stimmen mit den Erkenntnissen aus den anderen 3 Studien überein und belegen einen lang anhaltenden, fast 20-jährigen Nutzen des Sigmoidoskopie-Screenings“, so die Autoren des begleitenden Editorials.

Sie sind der Meinung, dass die in den Leitlinien festgelegten Screening-Intervalle von 5 Jahren für die Sigmoidoskopie und 10 Jahren für die Koloskopie verlängert werden können. Dies könne Kosten und Risiken senken ohne den Nutzen der Vorsorgeuntersuchungen zu beeinträchtigen.

Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom: Ibrutinib bei jüngeren Patienten mit bestimmten genetischen Subtypen wirksam

Patienten im Alter unter 60 Jahren mit diffus großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) vom genetischen Subtyp MCD, BN2 und N1 profitieren von einer zusätzlichen Gabe des Brutontyrosinkinase-Inhibitors Ibrutinib zur R-CHOP-Therapie. Dies fanden nun Forscher des US-amerikanischen National Cancer Institutes (NCI) in einer neuen Analyse der im Mai 2019 mitgeteilten Ergebnisse der Phase-3-Studie PHOENIX, die sie in Cancer Cell publiziert haben.

Das DLBCL ist das häufigste Lymphom, es macht weltweit 40% der Lymphomfälle aus. Standardtherapie ist das R-CHOP-Schema aus Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednison.

Die 3 molekularen Untergruppen GCB, ABC und nicht klassifiziert sprechen jedoch unterschiedlich auf die Chemotherapie an. Die Untergruppen ABC und GCB können weiter in 7 genetische Untertypen unterteilt werden, die ebenfalls unterschiedlich auf Chemotherapie reagieren.

Ibrutinib war die erste zielgerichtete Therapie, die beim DLBCL untersucht wurde. Eine Phase-2-Studie ergab, dass Ibrutinib bei Patienten mit rezidiviertem DLBCL und ABC-Typ in 37%, aber nur bei 5% mit GCB-Typ den Tumor verkleinerte.

In der Phase-3-Studie PHOENIX zeigte die Zugabe von Ibrutinib zu R-CHOP bei Patienten mit neu diagnostiziertem Nicht-GCB-DLBCL insgesamt keinen Überlebensvorteil.

Weitere Analysen der NCI-Forscher ergaben nun, dass in der PHOENIX-Studie Patienten mit ABC-DLBCL am besten von Ibrutinib profitierten. Patienten im Alter unter 60 Jahren mit dem MCD-Subtyp erreichten unter Ibrutinib und R-CHOP eine ereignisfreie Drei-Jahres-Überlebensrate und eine Gesamtüberlebensrate von 100% im Vergleich zu einem ereignisfreien Drei-Jahres-Überleben von 48% und Drei-Jahres-Gesamtüberleben von 69,6% mit R-CHOP allein. Auch beim dem Subtyp N1 lagen die Überlebensraten mit Ibrutinib und R-CHOP bei 100%, mit R-CHOP allein bei 50%.

B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom: Jüngere Überlebende haben höheres Risiko für weitere Erkrankungen im Alter

Jüngere Überlebende nach B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom (B-NHL) hatten im Vergleich zu älteren Überlebenden ein höheres relatives Risiko an akutem Nierenversagen, Pneumonie und Ernährungs-bedingten Mangelzuständen zu erkranken. Dies berichtet eine Arbeitsgruppe aus Utah (USA) in Cancer Epidemiology, Biomarkers & Prevention . Vor einigen Wochen hatte sie in Cancer Med . bereits mitgeteilt, dass die jüngeren Überlebenden auch ein höheres Risiko hatten, kardiovaskuläre Erkrankungen zu erleiden.

In der Studie hatten die Forscher die Daten von 2.129 B-NHL-Überlebenden aus dem Utah Cancer Registry analysiert, die zwischen 1997 und 2015 diagnostiziert worden waren. Jedem Überlebenden wurden bis zu 5 krebsfreie Personen aus der Allgemeinbevölkerung zugeordnet (insgesamt 8.969 Personen).

Alters-assoziierte Erkrankungen identifizierten sie u.a. anhand von Krankenakten. Als jüngere B-NHL-Überlebende galten Patienten mit einer Diagnose im Alter unter 65 Jahren, als Ältere mit einer Diagnose ab 65 Jahren.

Das relative Risiko für akutes Nierenversagen, Pneumonie und Ernährungs-bedingte Mangelzustände mindestens 5 Jahre nach der Diagnose waren bei jüngeren NHL-Überlebenden höher als älteren NHL-Überlebenden jeweils im Vergleich zur Kontrollkohorte.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung betrug die Hazard-Ratio für

  • ein akutes Nierenversagen bei jüngeren Überlebenden 2,24, bei Älteren 1,13

  • Pneumonie 2,42 bzw. 1,44

  • ernährungsbedingte Mangelzustände 2,08 bzw. 1,25.

Dies kann nach Aussage der Autoren teilweise auf die aggressiveren Behandlungsschemata zurückzuführen sein, die jüngere Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom im Vergleich zu älteren Patienten erhalten.

Osteoporose sowie chronische Nierenerkrankungen wurden bei den jüngeren Überlebenden nicht häufiger als bei Älteren beobachtet.

Multiples Myelom: Consensus-Papier des European Myeloma Networks zur COVID-19-Impfung

Das European Myeloma Network (EMN) hat ein Consensus-Papier zur COVID-19-Impfung bei Patienten mit multiplem Myelom und seinen Vorläufererkrankungen erarbeitet und in Lancet Haematology publiziert.

Das EMN empfiehlt, dass alle Patienten mit monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz, mit monoklonaler Gammopathie mit klinischer Signifikanz, mit smoldering multiplem Myelom und multiplem Myelom gegen COVID-19 geimpft werden sollen.

Vorzugsweise sollte die Impfung stattfinden

  • Vor Beginn einer aktiven Erkrankung

  • Während einer gut kontrollierten Erkrankung zu Zeiten minimaler Resterkrankungsnegativität, vollständiger Remission oder in sehr guter partieller Remission

  • Vor Therapiebeginn, vor Stammzellentnahme und mehr als 3 Monate nach autologer hämatopoetischer Stammzelltransplantation

  • In therapiefreien Zeiten (Ausnahme: Lenalidomid-Erhaltungstherapie)

Bei Patienten mit schlecht eingestellter Erkrankung oder laufender Therapie kann eine Impfung nach individuellem Ermessen erwogen werden, jedoch ist die Induktion einer schützenden Immunantwort weniger wahrscheinlich

Patienten mit einer zuvor bestätigten COVID-19-Infektion sollten ebenfalls geimpft werden (eine Dosis kann ausreichend sein).

Faktoren für ein schlechtes Ansprechen sind zu berücksichtigen, dazu gehören unkontrollierte Erkrankung, Immunparese, Zahl der bisherigen Therapielinien, Alter und bestimmte Therapien wie z.B. CD38-Antikörper oder CAR-T-Zelltherapie.

Die routinemäßige Untersuchung der Immunantwort auf eine Impfung wird zwar von den CDC und anderen Organisationen nicht unterstützt, sie ermöglicht jedoch die Erkennung von Patienten ohne oder mit nur einer geringen Anti-SARS-CoV-2-Immunantwort.

Bei Immunschwäche sollte eine dritte Impfdosis verabreicht werden. Unzureichend geschützte Patienten sollten die Regeln zur Verringerung des Infektionsrisikos einhalten. Sie sind auf eine Herdenimmunität angewiesen und profitieren von der Impfung der Partner und engen sozialen Kontakten.

Die Gabe protektiver monoklonaler Antikörpern kann bei immunsupprimierten Patienten in Betracht gezogen werden, die an COVID-19 erkrankt oder die mit dem Erreger in Kontakt gekommen sind.

CAR-T-Zell-Therapie: ASCO-Leitlinie zum Umgang mit immunvermittelten Nebenwirkungen

Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat am 1. November 2021 im Journal of Clinical Oncology eine Leitlinie zum Umgang mit immunvermittelten Nebenwirkungen einer Behandlung mit CAR-T-Zellen publiziert. Die Leitlinie wurde von einem multidisziplinären Gremium aus medizinischen Onkologen, Neurologen, Hämatologen, Notfallmedizinern, Pflegekräften und Studienleitern mit Hilfe eines systematischen Literatur-Reviews und eines Consensus-Prozesses entwickelt.

Insgesamt wurden 35 auswertbare Studien gefunden. Aufgrund des Mangels an Arbeiten mit hoher Evidenz basieren die Empfehlungen der Leitlinie auf dem Experten-Consensus.

Die Leitlinien enthalten 3 allgemeine Empfehlungen:

  • Bei Patienten mit einer aktiven Infektion sollte die Infusion von CAR-T-Zellen verschoben werden, bis die Infektion erfolgreich behandelt oder kontrolliert worden ist.

  • Eine Influenza- und COVID-19-Impfung von Patienten und Familienmitgliedern wird empfohlen.

  • Eine Beurteilung durch und/oder Verlegung an ein spezialisiertes Zentrum mit Erfahrungen in der Behandlung von CAR-T-Toxizitäten ist zu überleben. Bei ambulanter Behandlung sollten die Patienten für 4-8 Wochen nach der Therapie das Behandlungszentrum innerhalb von 2 Stunden erreichen können.

Für jede CAR-T-Zell-bedingte immunologische Nebenwirkung hat das Gremium Handlungsanweisungen erarbeitet, die jeweils tabellarisch zusammengefasst sind.

Allgemein gilt bei spezifischen CAR-T-Zell-bedingten Nebenwirkungen, dass die Behandlung von kurzfristigen Toxizitäten bei den meisten Patienten mit Supportive Care möglich ist. Sie kann jedoch bei Patienten ohne adäquates Ansprechen pharmakologische Interventionen erfordern.

Bei verlängertem oder schwerem Zytokin-Freisetzungssyndrom soll Tocilizumab mit oder ohne Glukokortikoide eingesetzt werden.

Patienten mit mittelschwerem bis schwerem Immuneffektorzell-assoziiertem Neurotoxizitätssyndrom sollen mit Kortikosteroiden und bestmöglicher Supportive Care behandelt werden. Steroide sollten rasch ausgeschlichen werden, sobald sich die Symptome auf Schweregrad 1 verbessern.

Ebenfalls am 1. November 2021 hat die ASCO eine aktualisierte Version der Leitlinie zum Umgang mit immunvermittelten Nebenwirkungen von Immuncheckpoint-Inhibitoren publiziert.

 

Kommentar

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