Leichenfundort oder Tatort? Tipps für Notärzte bei schwierigen Einsätzen

Redaktion: Dr. Linda Fischer

Interessenkonflikte

9. November 2021

Bei einem Notarzteinsatz an einem mutmaßlichen Tatort ist umsichtiges Verhalten seitens des Rettungsteams gefragt, um die kriminalistische Tatortarbeit zur Aufklärung des Sachverhalts später nicht zu erschweren oder gar zu verhindern. Dr. Sandra Wilmes vom Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, und Kollegen haben wichtige Tipps in einem Übersichtsbeitrag zusammengefasst [1]

Bei Hinweis auf einen Tatort: Leichenschau stoppen

Ist beim Eintreffen des Arztes am Einsatzort unklar, ob es sich um einen Leichenfundort oder um einen Tatort handelt, sollte vorausschauend und vorsichtig agiert werden. Kristallisiert sich vor oder während der Leichenschau heraus, dass es sich um einen ungeklärten oder nichtnatürlichen Todesfall handelt, darf nach der Todesfeststellung keine Leichenschau durchgeführt werden bzw. wird die Leichenschau sofort abgebrochen.

Ermittlungsbehörden informieren

Polizei oder Staatsanwaltschaft, sollten sofort informiert werden. Darüber hinaus sollte sowohl am Leichnam als auch am Einsatzort nur noch so wenig wie möglich verändert werden.   

Zu den weiteren Situationen, bei denen eine vollständige Leichenschau nicht möglich ist, ohne die jedoch kein natürlicher Tod bescheinigt werden darf, zählen: 

  • Ein fäulnisveränderter Leichnam,

  • eine unklare Identität,

  • Tod in der Öffentlichkeit,

  • räumliche Enge,

  • schlechte Lichtverhältnisse

  • Unmöglichkeit der Leichenschau in Anwesenheit von Angehörigen,

  • unerwartete Todesfälle im Kindes- oder Säuglingsalter (werden grundsätzlich durch Obduktion geklärt). 

In diesen Situationen sind ebenfalls die Ermittlungsbehörden zu informieren. Außerdem ist dafür zu sorgen, dass die Leichenschau an einem hierfür besser geeigneten Ort durchgeführt wird – beispielsweise in einem rechtsmedizinischen Institut oder bei einem Bestatter.

Jeglichem Druck auf den Arzt, einen natürlichen Tod zu bescheinigen, etwa durch Ermittlungsbehörden oder Angehörige, darf nicht stattgegeben werden. Sowohl bei der Meldung an die Polizei oder die Staatsanwaltschaft als auch im Falle der Weitergabe an ärztliche Kollegen ist der Ereignisort gegen den Zutritt Unbefugter zu sichern – etwa durch die Polizei.

Veränderungen am Leichnam und dessen Umgebung dokumentieren

Für spätere Ermittlungsverfahren sollte – im Falle eines ungeklärten oder nichtnatürlichen Todes – ein Gedächtnisprotokoll bezüglich der Veränderungen erstellt werden, die am Leichnam vorgenommen wurden, beispielsweise Lageveränderung des Leichnams zu Reanimationszwecken. Mit gesundem Menschenverstand gilt es, die Umgebung zu registrieren und zu dokumentieren. Dazu gehören: 

  • Verschlussverhältnisse der Wohnung,

  • Abschiedsbriefe,

  • Medikamente bzw. geleerte Tablettenblister,

  • eine durchwühlte Wohnung,

  • Kampf- und Blutspuren,

  • Hinweise auf Drogen- und/oder Alkoholkonsum.

Umgang mit medizinischen Geräten 

Zugänge, Tuben und Elektroden sollten nach der Todesfeststellung – für die spätere Reproduzierbarkeit des Hergangs – vollständig am Leichnam belassen werden. So kann etwa die Punktionsstelle an der Ellenbeuge später eindeutig als medizinischer Zugang identifiziert und nicht mit einem intravenösen Drogenkonsum verwechselt werden.  

Auch Rippenbrüche können so später auf die Reanimationsmaßnahmen zurückgeführt – und nicht als Folge von Gewalteinwirkung gedeutet werden. Belassenes Equipment kann darüber hinaus in rechtsmedizinischen Untersuchungen Auskunft über die Güte und Gründlichkeit der notfallmedizinischen Maßnahmen geben.  

Das Zerschneiden von Kleidung ist generell zu vermeiden. Sollte dies dennoch notwendig sein, ist darauf zu achten, nicht direkt an Stellen mit Textildefekten zu schneiden, die von Schnitten, Stichen oder Schüssen stammen könnten.

Leichenfundort nicht verändern

Auch vermeintlich banale, unwichtige Details, die am Tatort verändert werden, können später zum Beispiel die Einschätzung des Todeszeitpunktes erschweren. Dazu gehörten… 

  • das Öffnen und Schließen von Türen und Fenstern,

  • das Hoch- oder Herunterdrehen von Heizungsventilen,

  • das Benutzen der Toilette,

  • das Händewaschen vor Ort. 

Es empfiehlt sich, in der Umgebung des Leichnams einen kleinstmöglichen Aktionsradius und eine Spurenfährte beim Betreten und Verlassen des Fundorts zu wählen, welche von jeder Person, die den Fundort betritt oder verlässt, genutzt und nicht überschritten wird.

Selbstschutz vor Fremdschutz

Um Gefahren zu vermeiden, ist unbedingt nach der Maxime „Selbstschutz vor Fremdschutz“ zu handeln. Zu möglichen Gefahren zählen beispielsweise:  

  • Kohlenmonoxid-Vergiftungen,

  • Stromunfälle durch ungesicherte Stromleitungen,

  • Infektionen durch Nadeln/Spritzenbesteck,

  • Verletzungen durch andere Personen. 

Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Coliquio.de.

 

Kommentar

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