Eine relativ frühe Wiederaufnahme eines aeroben Trainings, dessen Intensität die klinische Symptomatik nicht verschlimmert, lässt junge Menschen schneller von einer Gehirnerschütterung genesen als Dehnübungen, wie jetzt eine randomisierte kontrollierte Studie zeigen konnte. Die Studie stütze die sich mehrenden Evidenzen, wonach eher Bewegung statt strikter Ruhe verordnet werden sollte, um die Erholung von einer Gehirnerschütterung voranzutreiben, so die Untersucher.
Dr. Tamara McLeod, Professorin und Leiterin des Wettkampfsportprogramms an der A.T. Still University in Mesa, Arizona, USA, hofft, dass diese Ergebnisse für Ärzte Anlass genug sind, „diesen Ansatz weiterzuverfolgen“.
„Bei einer Gehirnerschütterung wird den Patienten allzu oft eine lange Liste von Dingen vorgelegt, die sie vorläufig unterlassen sollen.“ Darunter falle auch Sport, Unterricht und soziale Aktivitäten, so McLeod, die nicht an der Studie beteiligt war.
Die in The Lancet Child & Adolescent Health veröffentlichten Ergebnisse decken sich weitgehend mit denen einer eigenen, älteren Untersuchung [1]. Zugleich geht die aktuelle Studie auf die Beschränkungen des früheren Studiendesigns ein.
Aerobes Training versus Dehnübungen
Für die Studie rekrutierten Dr. John J. Leddy von der State University of New York in Buffalo und sein Team 118 jugendliche Sportler beider Geschlechter zwischen 13 und 18 Jahren, die in den letzten 10 Tagen eine sportbedingte Gehirnerschütterung erlitten hatten.
Die Untersucher an 3 kommunalen und krankenhausnahen Zentren für Sportmedizin in den USA verordneten den Sportlern nach dem Zufallsprinzip bis zu 4 Wochen lang ein täglich mindestens 20-minütiges individuelles aerobes Training unterhalb der Symptomschwelle (61 Teilnehmer) oder Dehnübungen (57 Teilnehmer). Zu den aeroben Übungen gehörten Gehen, Joggen oder Radfahren auf dem Heimtrainer.
Ein größerer Teil der Sportler, die mit Dehnübungen behandelt wurden, erholte sich im Vergleich zu denjenigen, die ein regelmäßiges aerobes Training absolvierten, innerhalb von 4 Wochen nicht (32% vs. 21%). Die mittlere vollständige Genesungsdauer betrug in der Dehnungsgruppe 19 Tage und in der Trainingsgruppe nur 14 Tage.
Bei den Sportlern, die sich genau an das ihnen zugewiesene Programm hielten, waren die Unterschiede noch ausgeprägter: Die mittlere Erholungszeit betrug dann 21 Tage in der Dehnungsgruppe gegenüber 12 Tagen in der Trainingsgruppe. In Letzterer beschrieben 9% auch nach 28 Tagen noch Symptome, während es in der Dehnungsgruppe 31% waren.
„Es ist für Mediziner wichtig zu sehen, dass eine längere Schonung und die Vermeidung körperlicher Aktivität bis zum spontanen Abklingen der Symptomatik kein akzeptabler Ansatz in der Therapie von Jugendlichen mit Gehirnerschütterung mehr ist“, so Leddy.
Erstmals Vorteile eines frühzeitigen aeroben Trainings gezeigt
Die Untersucher hatten jetzt „strengere wissenschaftliche Maßstäbe an ihre Studie als bei dem früheren RCT angelegt, indem sie Intention-to-Treat- und Per-Protocol-Analysen, tägliche Symptomberichte, objektive Messungen zur Einhaltung der Übungen und eine größere Heterogenität des Schweregrads der Gehirnerschütterung einschlossen“, so Dr. Carolyn A. Emery und Dr. Jonathan Smirl von der University of Calgary, Kanada, in einem Kommentar.
Die neue Studie sei die erste, die zeige, dass ein frühzeitiges gezieltes aerobes Training mit einer Herzfrequenz unterhalb der Symptomschwelle im Vergleich zu Dehnübungen die Erholungszeit innerhalb von 4 Wochen nach einer sportbedingten Gehirnerschütterung verkürze (Hazard Ratio 0,52), wenn man das Geschlecht, den Studienort und die durchschnittliche tägliche Trainingszeit berücksichtige.
Timing und Dosis des Trainings entscheidend
Um die Wirksamkeit von aerobem Training nach einer Gehirnerschütterung bei Erwachsenen und auch nach nicht sportbedingten Verletzungen zu belegen, seien weitere Untersuchungen erforderlich, so die Untersucher. Mögliche Gründe für den Benefit aus einem aeroben Training könnten ein erhöhter Vagotonus, eine verbesserte Regulierung des zerebralen Blutflusses oder auch eine verbesserte Nervenzellregeneration sein.
Die richtige Dosierung, das richtige Timing und die richtige Intensität des Trainings, das die Symptome nicht verschlimmert, seien wohl für den Erfolg der Maßnahme entscheidend. Andere Untersuchungen deuteten nämlich darauf hin, dass zu viel und zu frühes Training die Genesung verzögere, erklärte Emery in einem Interview. „Aber es gibt inzwischen viele Belege dafür, dass geringe und auch moderate körperliche Aktivitäten die Erholung beschleunigen“, sagte sie.
Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus https://www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: Timing und Dosis entscheidend: Nach Gehirnerschütterung bei Jugendlichen kann leichtes Training die Genesung beschleunigen - Medscape - 4. Nov 2021.
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