Alte Kopiergeräte, Berge von Zeitschriften im Wartezimmer oder tütenweise benutztes Hygienematerial: In Arztpraxen gibt es viele Ansatzpunkte, die Nachhaltigkeit zu steigern. Aber leider fehlt ein Indikator, der anzeigt, wie nachhaltig Heilberufler tatsächlich arbeiten. „Deshalb haben wir die niedergelassenen Ärzte, Zahnärzte und auch die Apotheker um eine Selbsteinschätzung ihrer Praxis beziehungsweise ihres Geschäfts gebeten“, berichtet Nora Zumdick. Sie ist Referentin für Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik bei der Ärzte- und Apothekerbank (apoBank).
Rund 4 Wochen vor der 26. Weltklimakonferenz in Glasgow veröffentlichte die apoBank eine Umfrage unter insgesamt 500 niedergelassenen Ärzten und Apothekern zum Thema Nachhaltigkeit [1]. Das Ergebnis: Für 61% hat das Thema eine hohe und für 28% gar eine sehr hohe Relevanz.
Auf einer Skala von 1 (nicht nachhaltig) bis 10 (sehr nachhaltig) bewerten Health Professionals ihre Praxen und Apotheken durchschnittlich mit 6,2. Die größten Treiber für mehr Nachhaltigkeit sind dabei die eigene Überzeugung oder die soziale Verantwortung gegenüber der nachfolgenden Generation.
Verantwortung, Vorbild – und sinkende Betriebskosten
Vor allem Hausärzte halten offenbar die Nachhaltigkeit im Blick, so die Umfrage. Mehr als ein Drittel von ihnen räumt ihr im persönlichen Umfeld einen sehr hohen Stellenwert ein. Jeder 3. sieht die eigene Praxis denn auch als sehr nachhaltig aufgestellt, „der höchste Wert im Berufsgruppenvergleich“, so die apoBank.
Wahrscheinlich sieht die Berufsgruppe bei ihren Patienten viel öfter Auswirkungen der Umweltverschmutzung als etwa ein Zahnarzt, mutmaßen die Studienautoren. Entsprechend fühlen sich 84% der Hausärzte persönlich dafür zuständig, bei ihren Patienten für eine nachhaltige Lebensführung zu werben.
Fast alle abgefragten ökologischen Maßnahmen werden von mindestens der Hälfte der Niedergelassenen mehr oder weniger berücksichtigt. Besonders wichtig ist speziell das Entsorgungsmanagement mit Mülltrennung, Recycling oder mit der Nutzung von Mehrwegprodukten. 47% der Befragten gaben an, das Entsorgungsmanagement stark zu berücksichtigen, nur 2% berücksichtigen den Aspekt nicht.
Gleich darauf folgt der bewusste Energieverbrauch (von 31% stark und bei 3% der Interviewten gar nicht berücksichtigt) und der Grundsatz „digital vor analog“ (für 29% äußerst relevant, und für 4% ohne Bedeutung).
Nach der eigenen Motivation befragt, nennt die Mehrheit neben intrinsischen Faktoren wie persönliche Überzeugung (81%) und soziale Verantwortung (76%) auch die Senkung der Betriebskosten (55%) und die Vorbildfunktion für die Patienten und Kunden (28%).
Als Hürden auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sehen die Befragten vor allem den Mangel an Alternativen (56%). Auf dem 2. Platz rangiert der zu hohe organisatorische Aufwand (56%), gefolgt von den Kosten (47%). „Die Wirtschaftlichkeit der eigenen Praxis oder Apotheke müssen die Niedergelassenen stets im Auge behalten. Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit sind davon selbstverständlich nicht ausgenommen“, kommentiert Daniel Zehnich, Bereichsleiter Gesundheitsmärkte und Gesundheitspolitik bei der apoBank.
Zahlreiche Hürden bei der Umsetzung
Allerdings müssten Chefs in Praxen und Apotheken nicht gleich das Rad neu erfinden, um bei der Nachhaltigkeit voranzukommen, sagt Zumdick zu Medscape. „Oft können schon kleine Maßnahmen helfen, um den ökologischen Fußabdruck zu verringern.“
Nutzt die Praxis Ökostrom? Hat sie Bewegungsmelder als Parkplatz-Beleuchtung oder ständiges Licht? Wird der Wasserverbrauch reguliert? Müssen wirklich ein Dutzend verschiedener Zeitschriften im Wartezimmer liegen und allwöchentlich ersetzt werden? Inhaber brächten auch nicht gleichzeitig alle Geräte zu modernisieren, erklärt Zumdick. Es reiche, wenn Neuanschaffungen energieeffizient seien.
Nicht alle Befragten äußerten sich indessen zuversichtlich, was die Finanzierung gesteigerter Nachhaltigkeit in Praxen und Apotheken angeht. „Es fehlen gute, umsetzbare, nicht mit hohen Kosten verbundene Tipps für Apotheken“, moniert etwa eine Apothekerin. Und eine Fachärztin reklamiert: „Ich würde meine Praxis gerne papierloser gestalten, scheitere jedoch an den von mir zu tragenden Kosten für die technische Umsetzung.“ Ein Zahnarzt mahnt indes: „Der Einsatz einer nachträglichen Gebäudedämmung für eine Praxis muss sich wirtschaftlich und ökologisch rechnen, nicht erst nach 100 Jahren!“
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Diesen Artikel so zitieren: Vorbild für Patienten sein und Betriebskosten senken: Zahlreiche Argumente sprechen für mehr Nachhaltigkeit in Praxen - Medscape - 3. Nov 2021.
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