„Letzte Chance“, 1,5-Grad-Ziele zu erreichen – was Experten jetzt zur Klimakonferenz als drängendste Sofortmaßnahmen fordern

Michael van den Heuvel 

Interessenkonflikte

27. Oktober 2021

Im letzten Jahr musste die Konferenz wegen COVID-19 abgesagt werden. Jetzt treffen sich die Experten zwischen dem 31. Oktober und 12. November 2021 in Glasgow – in einer Zeit mit weiter steigenden Emissionen von Treibhausgasen, aber auch mitten in einer Energiekrise. Bei der 26. UN-Klimakonferenz (26th UN Climate Change Conference, COP26) geht es mehr denn je ums Ganze in den drängenden Fragen der Klimapolitik.

Ist COP26 die letzte Chance, bevor Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens unerreichbar werden? Darüber sprachen Experten bei einem Press Briefing des Science Media Center Germany (SMC) [1].

Trotz der klaren wissenschaftlichen Belege für die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung sind die Kontroversen der Entscheidungsträger groß. Viele G20-Staaten setzen weiterhin auf fossile Energieträger. In etlichen Nationen werden Klimaklagen gegen Regierungen eingereicht. Und viele Regierungen, bestes Beispiel ist Deutschland mit den Koalitionsverhandlungen, arbeiten an Strategien für die Zukunft.

Länder bekennen sich nur zu langfristigen Zielen

Nationale Klimaziel-Selbstverpflichtungen sollten bis 2020 eigentlich das 1. Mal nachgeschärft werden, sprich 5 Jahre nach ihrem Inkrafttreten. „Es geht alles viel zu langsam voran“, kritisiert Prof. Dr. Niklas Höhne vom New Climate Institute, Köln, und von der Wageningen Universität, Niederlande.

 
Es geht alles viel zu langsam voran. Prof. Dr. Niklas Höhne
 

In COP26 sieht er „die letzte Chance, das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten“. Positiv sei die Welle an Bekundungen zur Klimaneutralität zu vermerken. Der Experte nennt hier Europa, die USA, aber auch China. „Damit haben wir drei Viertel der globalen Treibhausgas-Emission abgedeckt.“ Er habe eine „Sogwirkung“ bemerkt: Nach Bekenntnissen der großen Nationen seien weitere Länder gefolgt, etwa Japan oder Nordkorea. Russland, die Türkei oder Saudi-Arabien würden Schritte in Richtung Nullemission gehen.

„Langfristige Bekundungen bis 2050 sind zwar gut“, fasst Höhne zusammen. Sollten sich alle Länder daran halten, komme man bis Ende des Jahrhunderts sogar auf 2 Grad. „Aber kein einziges dieser Länder hat kurzfristige Maßnahmen realisiert, um sich auf den Pfad in Richtung netto-Null zu bewegen“, relativiert er.

Die riesige Lücke gemäß Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens werde nicht geschlossen. Vorschläge der Länder würden nur dazu führen, Emissionen bis 2030 zu stabilisieren. „Für 1,5 Grad müssten sie aber halbiert werden“, so Höhnes Einschätzung.

„Es gibt Länder, die haben mehr eingereicht als im Pariser Klimaschutzabkommen vorgesehen; sie haben die Lücke tatsächlich verringert“, so die Einschätzung von Höhne. Konkret nennt er die USA, China, aber auch Kanada, Großbritannien, Argentinien, Chile. Japan, Neuseeland oder Südkorea hätten nachgebessert.

 
Kein einziges dieser Länder hat kurzfristige Maßnahmen realisiert, um sich auf den Pfad in Richtung netto-Null zu bewegen. Prof. Dr. Niklas Höhne
 

Höhne nennt aber eine Gruppe von Ländern, die internationalem Druck standhalten, etwa Russland, Australien, Indonesien, Brasilien, die Schweiz. „Solche Prozesse sind nicht im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens“, kommentiert der Experte. Indien, einer der größten Verursacher, haben noch nichts eingereicht. „Wir sind so spät dran, dass jetzt alle Länder ihre Emissionen verringern müssen“, lautet sein Fazit.

Wertvolle Zeit verschwendet

Prof. Dr. Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ) hatte die Absage der letzten Klimakonferenz im letzten Jahr als „schmerzhaft, fast einen GAU“ bezeichnet. „Es ist wertvolle Zeit verlorengegangen“, bestätigt er auch jetzt. „Die CO2-Emissionen steigen wie zuvor.“ Und im Nachgang der Pandemie beobachte er ein „Business as usal“, nämlich „gute Langfrist-Perspektiven“, aber „kurzfristig ist nichts zu erwarten“. Und weiter: „Die Probleme sind genau wie vor 3 Jahren.“  

„Langfristige Versprechen werden den Prozess nicht stabilisieren“, sagt Schwarze. Implementationsdefizite würden die Lage immer kritischer machen. „Eine weitere Vertagung wäre für mich ein Misserfolg.“ Als großen Erfolg sieht er ein mögliches Methanabkommen.

Oft zählt, was nicht auf der Agenda steht

Noch ein Blick auf die eigentliche Tagesordnung. „Natürlich wird es erst einmal um die Architektur, also um fehlende Elemente des Regelwerks gehen“, sagt Dr. Carl-Friedrich Schleussner von der Humboldt-Universität zu Berlin.

Über allem schwebten jedoch Fragen der Finanzierung, inklusive Klimaschäden und wirtschaftlichen Verlusten – bei einem Volumen von 100 Milliarden US-Dollar. In der nächsten Dekade sei es eine wichtige Frage, wie sich weitere Mittel mobilisieren ließen.

 
Wichtig ist zu zeigen, dass sich 192 Staaten einigen können. Prof. Dr. Niklas Höhne
 

„Es gibt Themen, die stehen nicht offiziell auf der Agenda, sind aber trotzdem wichtig“, ergänzt Höhne. Als Beispiele nennt er Zusagen für Kohle, für Methan oder für Verbrennungsmotoren – sowie Zusagen für mehr Finanzierung. „Wichtig ist zu zeigen, dass sich 192 Staaten einigen können.“

Hürden der Teilnahme in Corona-Zeiten

Kritik kommt nicht nur bei Sachthemen zum Tragen. NGOs hatten im Vorfeld Hürden für ärmere Länder bei der Teilnahme am Gipfel zur Sprache gebracht, weil viele Delegationsmitglieder noch keine Impfung gegen SARS-CoV-2 hätten.

Schleussner bewertet dies als „Hintergrund-Dissonanz“. Befürchtungen, Vertreter aus den Ländern des globalen Südens müssten mehrere Wochen in Quarantäne, hätten sich nicht ganz bestätigt. „Ich weiß allerdings von einigen Inselstaaten, die nicht oder kaum partizipieren können, weil der globale Flugverkehr immer noch eingeschränkt ist“, so der Experte. Doch gerade sie seien vom Klimawandel besonders betroffen.

Organisatoren würden die Konferenz deshalb aber nicht infrage stellen. Denn „Glasgow ist für den Klimaschutz eben von weltweiter Bedeutung“.
 

Kommentar

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