Wer wegen eines Grauen Stars eine Katarakt-OP benötigt, hat auch gute Chancen auf Brillenfreiheit. So ist der Markt für Sonderlinsen mit mehreren Brennpunkten oder mit erweiterter Tiefenschärfe, die einen Brillenverzicht ermöglichen, in den vergangenen Jahren ständig gewachsen. Dabei erlauben eine Presbyopie korrigierenden Intraokularlinsen (IOL) eine immer individuellere Versorgung der Patienten, stellen aber weiterhin immer einen optischen Kompromiss dar.

Prof. Dr. Anja Liekfeld
Ärzte sollten detailliert über Vor- und Nachteile beraten und gründliche Voruntersuchungen durchführen, wie Prof. Dr. Anja Liekfeld, Chefärztin der Klinik für Augenheilkunde am Ernst von Bergmann-Klinikum in Potsdam auf einer Pressekonferenz beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ophthalmologie (DOG) erläuterte [1].
Monofokal-Linsen sind der Standard
Um die 800.000 Katarakt-Operationen werden pro Jahr in Deutschland durchgeführt. Damit handelt es sich um einen der häufigsten Interventionen schlechthin. „Größere Schnelligkeit und Präzision des Eingriffs bei verbesserten technischen Möglichkeiten haben dazu geführt, dass es mittlerweile eine für die Patienten äußerst effektive und befriedigende Operation geworden ist“, sagte Liekfeld.
In den meisten Fällen wird die altersbedingt getrübte natürliche Linse durch eine künstliche monofokale Intraokularlinse mit einem einzigen Brennpunkt (entweder in der Ferne, der Nähe oder dem Zwischen- bzw. Intermediärbereich) ersetzt. Um die außerhalb dieses Brennpunkts liegenden Bereiche scharf zu sehen, ist wegen der starren Kunstlinse eine Brille nötig.
Sonderlinsen mit mehreren Brennpunkten oder größerer Tiefenschärfe
„Sonderlinsen können die Akkommodation zwar noch nicht wirklich imitieren“, so die Potsdamer Ophthalmologin. „Als pseudoakkommodierende, multifokale Linsen können sie jedoch mehrere Brennpunkte abbilden oder als EDoF-Linsen (Extended Depth of Focus) einen erweiterten Fokus mit größerer Tiefenschärfe generieren und dadurch ein Sehen in unterschiedlichen Entfernungen ermöglichen.“
Doch dabei sind Abstriche zu machen: „Multifokale Linsen stellen immer einen optischen Kompromiss dar“, so Liekfeld. Als Nachteile gelten u.a. eventuell vermindertes Kontrastsehen, erhöhte Licht- und Blendempfindlichkeit bei Dämmerung sowie mögliche Phänomene um Lichtquellen – etwa im Fall entgegenkommender Scheinwerfer – in Form von Lichtringen (Halos) oder Lichtstrahlen (Starburst). Ebenso kann das Lesen bei Dämmerungslicht oder Kerzenschein erschwert sein.
Zunehmende Vielfalt als Herausforderung
Im Vorfeld einer Katarakt-Operation sollten Ärzte gemeinsam mit Patienten besprechen, in welchen Sehbereichen auf eine Brille verzichtet werden soll (Ferne, Bildschirm-Abstand, Nahbereich fürs Lesen oder alle Abstände gleichermaßen), wer wirklich von Sonderlinsen profitiert und was diese Linsen unter verschiedenen Bedingungen im privaten wie beruflichen Alltag leisten. Ebenso muss der Patient die je nach Linsentyp und Voruntersuchungs-Intensität variierenden Mehrkosten für die Sonderlinsen-Implantation akzeptieren, denn die GKV kommt nur für die Implantation einer Standardkunstlinse auf.
„Eine Herausforderung für die beratenden Ärztinnen und Ärzte liegt darin, dass in wenigen Jahren mittlerweile eine sehr große Zahl verschiedener Linsenmodelle mit unterschiedlichen Wirkprinzipen auf den Markt gekommen ist, gleichzeitig aber die Kenntnis dieser Wirkprinzipien eine wichtige Voraussetzung für die optimale Versorgung der Patienten darstellt", sagte Liekfeld im Gespräch mit Medscape. Die Vielfalt erlaube einerseits eine individuellere Versorgung, mache den Markt aber auch unübersichtlicher und die Auswahl des Linsentyps zunehmend anspruchsvoller. So kämen jedes Jahr weitere neue Modelle hinzu, die sich dann jeweils erst wieder neu beweisen müssten.
Optische Nebenwirkungen
Das Grundprinzip bei allen Modellen, welche das Brillentragen überflüssig machen, bleibt dabei das Gleiche: „Es müssen mehrere Brennpunkte oder ein erweiterter Fokus geschaffen werden, um mehr Spielbreite zu haben“, sagt die Expertin. „Dies allerdings wird aus physikalischen Gründen (multifokale Linsen bilden gleichzeitig mehrere Bilder auf der Retina ab) bis zu einem gewissen Grad mit Abstrichen bei der punktuellen Bildschärfe und den weiteren optischen Nebenwirkungen erkauft.“
Die Unterscheidung zwischen zuerst etablierten Multifokallinsen (MIOL) und neueren EDoF-Linsen mit erweiterter Tiefenschärfe (zur Reduzierung optischer Nebenwirkungen) hält die Potsdamer Ophthalmologin für nicht sehr glücklich: „Denn der Begriff MIOL beschreibt ein optisches Prinzip, der Begriff EDoF-Linsen aber einen Effekt, weshalb beide Gruppen – MIOL und EDoF-Linsen – besser als Presbyopie-korrigierende Intraokularlinsen (Pc-IOL) bezeichnet werden sollten.“
Mehrzahl der Patienten will Brillenträger bleiben
Im Arzt-Patienten-Gespräch sollte Liekfeld zufolge zuerst geklärt werden, ob Brillenfreiheit überhaupt ein Thema ist. Denn schätzungsweise 85 bis 90% der Katarakt-Patienten macht es nichts aus, auch nach der Operation weiter eine Brille zu tragen – für die Sehabstände, die außerhalb der Brennweite ihrer Monofokallinse liegen.
Besteht hingegen der Wunsch, nach der OP auf eine Brille möglichst zu verzichten, ist neben den individuellen – beruflichen wie privaten – Bedürfnissen auch das bisherige Brillentrageverhalten von Bedeutung: „Es muss besprochen werden, für welche Distanzen und Tätigkeiten die Brillenfreiheit für den Patienten am wichtigsten ist und aus welchen Gründen vorher eine Brille getragen wurde“, erklärt die Expertin.
So komme für stark myope Menschen eher eine Sonderlinse mit einer Betonung auf dem Nahbereich in Betracht, da sie sich mit zunehmendem Alter daran gewöhnt haben, in der Nähe auch ohne Brille scharf zu sehen.
Eingehende Diagnostik erforderlich
Prinzipiell kommen Presbyopie-korrigierende Intraokularlinsen nur in Betracht, wenn – außer der kataraktbedingt getrübten Linse – keine anderen Pathologien am Auge vorliegen. „Ausschlusskriterien“, so die Potsdamer Ophthalmologin, „sind etwa Vorschädigungen des Auges durch ein Glaukom, eine altersabhängige Makuladegeneration, ein beginnender Keratokonus oder andere Hornhautirregularitäten“.
Um die vorgenannten und weitere Pathologien auszuschließen, bedarf es einer eingehenden Diagnostik. „Unter anderem untersuchen wir dabei mittels Optischer Kohärenztomographie (OCT) die Retina und erstellen immer auch eine Hornhauttopographie“, so Liekfeld. Kein Ausschlusskriterium ist allerdings die beim (regulären) Astigmatismus vorliegende Hornhautverkrümmung – im Gegenteil: Diese Fehlsichtigkeit lässt sich durch torische Sonderlinsen ausgleichen.
Mögliche Alternative: Add-on-Linsen
Nicht auszuschließen ist, dass Patienten mit einer ihnen implantierten Sonderlinse – und insbesondere den damit zu machenden optischen Kompromissen – nicht klarkommen. Dann kann man die Linse im Nachhinein auch noch auswechseln. Allerdings sollte dies Liekfeld zufolge relativ zügig in den ersten Wochen bis Monaten nach der Implantation erfolgen, bevor die Linse stärker in den Kapselsack eingewachsen ist.
Ist man von vornherein unsicher, ob der Patient mit einer Sonderlinse klarkommt, gibt es als Alternative auch sogenannte Add-on- oder Huckepacklinsen, wie die Potsdamer Ophthalmologin im Gespräch mit Medscape erläuterte: „Dabei implantiert man wie bei der klassischen Katarakt-Operation eine monofokale Kunstlinse in den Kapselsack und setzt dann zwischen Kunstlinse und Iris eine weitere Linse, welche Multifokalität produziert, jedoch auch langfristig noch gut auszutauschen oder wieder zu entfernen ist.“
In den meisten Fällen, so Liekfeld, sollte es durch das ausführliche Arzt-Patienten-Gespräch und die gründliche Diagnostik allerdings möglich sein, im Vorfeld der OP die für den jeweiligen Patienten am besten geeigneten Kunstlinsen zu wählen.
Credits:
© Roman Zaiets
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Diesen Artikel so zitieren: Keine Brille mehr: Immer bessere Sonderlinsen führen bei Katarakt-OPs zum bestmöglichen Visus – aber Beratung ist wichtiger denn je - Medscape - 22. Okt 2021.
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