Umdenken bei Bypass-OP? Verbreitete Methode der Arterien-Gewinnung zeigt Schwächen, Risiko für Komplikationen erhöht

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

21. Oktober 2021

In den meisten Fällen werden Arterien aus dem Brustkorb als Material für koronare Bypass-Operationen herangezogen. Ob diese mit umgebendem Bindegewebe und Begleitvenen (Pedicle) oder freipräpariert (skelettiert) verwendet werden, kann entscheidend für die Offenheitsdauer und damit den langfristigen Erfolg der Bypass-Operation sein.

In einer Studie verglichen Kardiologen um Prof. Dr. Mario Gaudino, Weill Cornell Medicine, New York, USA, und Prof. Dr. David P. Taggart, University of Oxford, UK, die beiden Methoden. Sie publizierten die Studie in JAMA Cardiology  [1].

In dieser Post-hoc-Analyse von ART (Arterial Revascularization Trial) wurden 2.161 Patienten erfasst, die einen koronaren Bypass erhalten hatten – unter Verwendung einer Arterie, die von der Brustwand abpräpariert wurde (internal thoracic artery, ITA).

Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi

Wurde diese Arterie bei der Entnahme skelettiert, lag im Verlauf der nächsten 10 Jahre das Risiko für kardiologische Nebenwirkungen (major adverse cardiac events, MACE) mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,25 signifikant höher (p=0,01) als bei solchen Arterien, die als Pedicle für einen koronaren Bypass verwendet wurden. Diese MACE setzten sich aus Mortalität jeder Ursache, Herzinfarkt und erneute Revaskularisation zusammen und waren als sekundärer Endpunkt definiert.

Die Beobachtungszeit von 10 Jahren wird in der Praxis oft nicht erreicht

„Diese Studie ist äußerst interessant, weil sie auf eine mögliche Schwäche einer weit etablierten Methode hinweist“, bemerkt Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi, Direktor der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, Abteilung für Herzchirurgie und chirurgische Intensivmedizin am Campus Kerckhoff der Justus-Liebig-Universität Gießen. „Die Beobachtungszeit von Bypass-Operationen wird in der Praxis leider zu oft durch die altersbedingte Mortalität der Betroffenen verkürzt, um diese Schwäche klar zu erkennen.“

 
Diese Studie ist äußerst interessant, weil sie auf eine mögliche Schwäche einer weit etablierten Methode hinweist. Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi
 

Der primäre Endpunkt der Studie, die alleinige Mortalität jeder Ursache, zeigte mit einer HR von 1,12 (0,92-1,36 im 95%-Konfidenzintervall) unabhängig von der Routine der Operationsteams keine Signifikanz (p=0,27). Die Tendenz der Überlegenheit der Pedicles blieb allerdings erhalten, berichteten die Autoren.

Die Ergebnisse bestätigen eine weitere aktuelle Untersuchung

Bei der Studie handelt es sich um eine ungeplante Post-hoc-Analyse von ART-Daten, die die Autoren nach Bekanntgabe entsprechender, noch deutlicher ausfallenden Ergebnisse einer anderen Studie (COMPASS) auflegten: Diese Studie hatte zum 1. Mal die Ergebnisse von Bypass-Operationen mit skelettierten vs. Pedicle-ITA über 2 Jahre verglichen.

Somit bestätigen sich die Ergebnisse beider Studien gegenseitig, hebt auch Prof. Dr. Frank W. Sellke, Alpert Medical School der Brown University, Providence, USA, in seinem parallel veröffentlichten Editorial hervor [2].

„Diese übereinstimmenden Ergebnisse zweier großer unabhängiger Studien sind alarmierend“, wertet Choi die Brisanz der Veröffentlichungen, „auch wenn beide Studien nur retrospektiv angelegt waren.“

 
Diese übereinstimmenden Ergebnisse zweier großer unabhängiger Studien sind alarmierend, auch wenn beide Studien nur retrospektiv angelegt waren. Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi
 

Alle statistischen Ergebnisse wurden um mehrere Faktoren adjustiert: Alter (im Median 65 Jahre), Geschlecht (14% Frauen), New York Heart Association (NYHA)-Klasse, Diabetes, COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung), Claudicatio, vorheriger Herzinfarkt bzw. Schlaganfall, linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF), zweiseitige bzw. einseitige ITA-Entnahme und mit bzw. ohne Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine während der Operation.

Allerdings verschwand die Signifikanz zum Vorteil der Pedicles, wenn nur die Operationen von Teams der 28 eingeschlossenen Zentren betrachtet wurden, die jeweils mehr als 50 Fälle der insgesamt 2.161 analysierten Bypass-Operationen erfasst hatten.

„Dieser Einwand ist allerdings zu vernachlässigen“, urteilt Choi, „da nicht offengelegt ist, wer die Vorbereitung des Arterien-Materials zur Bypass-OP vorgenommen hat. Ich halte alle 28 an der ART-Studie beteiligten Zentren für erstklassig in der Durchführung von Bypass-Operationen.“

Experten raten zum Umdenken

Diese Ergebnisse kämen unerwartet, schreibt Sellke weiter, da die Methode der Skelettierung als höher entwickelt gilt, weil sie insbesondere mit weniger Wundheilungsstörungen im Bereich des Sternums assoziiert ist. Diese wiegen aber die erhöhte kardiologische Nebenwirkungsrate bei weitem nicht auf.

 
Obwohl wir in der Vergangenheit beide Methoden sicher etabliert haben, haben wir möglicherweise mit der Skelettierungstechnik aufs falsche Pferd gesetzt. Prof. Dr. Yeong-Hoon Choi
 

Insofern sollten Bypass-Operateure vielleicht eher als Pedicle entnommene ITAs als Material für Bypässe verwenden, bis weitere Studienergebnisse vorlägen, meint Sellke.

Dem schließt sich auch Choi an. „Obwohl wir in der Vergangenheit beide Methoden sicher etabliert haben, haben wir möglicherweise mit der Skelettierungstechnik aufs falsche Pferd gesetzt und sollten deshalb alles tun, prospektive Studien zu diesem Thema auf den Weg zu bringen.“
 

Kommentar

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