Ob bestimmte Sportarten eine Gefahr für das Gehirn darstellen, wird seit Jahren diskutiert. 1928 beschrieb der Pathologe Harrison S. Martland neurologische Störungen wie Gedächtnisverlust und Parkinsonismus bei Boxern als „punch drunk“; 1937 wurde der Begriff der „Dementia pugilistica“ eingeführt. Die Fachzeitschrift Clinics in Sports Medicine hat dem Thema vor 10 Jahren sogar eine ganze Ausgabe gewidmet.
Anlass für die seit einigen Jahren verstärkt geführten Diskussionen sind die neurologischen und neuropathologischen Befunde, die vor allem bei ehemaligen American-Football-Spielern auffallend oft festgestellt wurden. Im Sport treten ähnlich wie bei Boxern symptomatische und asymptomatische „Gehirnerschütterungen“ recht häufig auf. Neurologen sprechen von einer chronisch-traumatischen Enzephalopathie (CTE) mit typischen Symptomen wie Gedächtnisstörungen und Depressionen, aber auch mit neuropathologischen Befunden, zum Beispiel mit Tau-Ablagerungen, wie sie bei mehreren neurodegenerativen Demenz-Erkrankungen gefunden werden.
Das Kopfballspiel abschaffen?
Wie riskant für das Gehirn ist die auf der ganzen Welt so beliebte Kontaktsportart Fußball mit weltweit über 260 Millionen Spielern? Darüber wird, wie sollte es auch anders sein, vor allem im Mutterland des Kickens debattiert – nicht ohne Grund.
Allein 5 Spieler der englischen Weltmeistermannschaft von 1966 sind an Demenz erkrankt; 4 sind bereits gestorben. Der ehemalige englische Verteidiger und Mannschaftskapitän Terry Butcher etwa fordert, wie er in einem Podcast der BBC sagte, dass das Kopfballspiel schrittweise aus dem Sport genommen wird, um das Risiko von Hirnschäden und neurodegenerativen Erkrankungen zu verringern. Ähnlich äußerte sich laut The Guardian auch Dr. William Stewart von der Universität of Glasgow, der an einer der relevanten aktuellen Studien zu dem Thema beteiligt ist.
Hinweise aus wissenschaftlichen Untersuchungen
Genährt wird die Diskussion auch durch wissenschaftliche Untersuchungen und Beobachtungen. So haben in den vergangenen Jahren mehrere Studien morphologische oder klinische Hinweise auf zerebrale Störungen bei Fußball-Spielern ergeben. Vor knapp 10 Jahren etwa lieferte eine Untersuchung von im Mittel knapp 20 Jahre alten Profis ohne Gehirn-Erschütterung in der Anamnese kernspintomografische Befunde, wie sie auch bei Patienten mit leichten Schädel-Hirntraumata erhoben werden. Insgesamt konnten Befunde der Diffusionstensor-Magnetresonanztomographie als Hinweise auf eine mögliche Demyelinisierung gedeutet werden. Die Autoren um Prof. Dr. Inga Katharina Koerte von der Ludwig-Maximilians-Universität München betonten allerdings, dass die Ätiologie der zerebralen Befunde unklar sei.
Eine 2015 publizierte Studie, ebenfalls von Koerte, ergab bei ehemaligen Fußball-Profis (Durchschnittsalter 52 Jahre) magnetresonanz-spektroskopisch Zusammenhänge zwischen wiederholten Kopfstößen im Subcommotions-Bereich (RSHI: repetitive subconcussive head impacts) und zerebralen Entzündungsmarkern; möglicherweise, so Koerte und ihre Mitautoren, beeinträchtigten RSHI die „Neurochemie“ des Gehirns und gingen kognitiven Veränderungen voraus.
Und eine weitere Untersuchung von ehemaligen Fußball-Profis (Durchschnittsalter knapp 50) lieferte schließlich Zusammenhänge zwischen einer Abnahme der Cortex-Dicke, verminderten kognitiven Fähigkeiten und RSHI. Ebenfalls wenig erfreuliche Ergebnisse hatte auch eine 2016 publizierte Studie, in der Koerte und ihre Kollegen bei jugendlichen Spielern Hinweise auf einen möglichen Einfluss wiederholter Kopfstöße auf kognitive Fähigkeiten fanden.
Stark erhöhte Demenz-bedingte Sterberate
Vor zwei Jahren ergab die vielbeachtete, im New England Journal of Medicine publizierte FIELD-Studie („Lifelong Health and Dementia Risk study“), dass ehemalige Fussball-Profis eine 3,5-mal höhere Demenz-bedingte Sterberate hatten als die Allgemeinheit.
Forscher an der Universität Glasgow und der Hampden Sports Clinic untersuchten die Krankheitsgeschichte von 7.676 Männern der Jahrgänge 1900 bis 1976, die in Schottland professionell Fußball gespielt hatten. Zum Vergleich wurden Daten einer Kontrollgruppe mit 23.028 gleichaltrigen Männern herangezogen. Die wichtigsten Ergebnisse:
Innerhalb von 18 Jahren starben 15,4% Prozent der Fußballer und 16,5% der Personen der Kontrollgruppe.
Fußballer hatten ein geringeres Risiko, vor dem 70. Lebensjahr zu sterben. Auch war, vermutlich infolge ihrer intensiven sportlichen Tätigkeit, ihr Risiko geringer, an Lungenkrebs oder einer Herzerkrankung zu sterben.
Allerdings hatten die Fußballer ein höheres Risiko, an einer neurodegenerativen Krankheit zu sterben, etwa an Demenz-Erkrankungen, Parkinson, amyotropher Lateralsklerose sowie CTE.
Bei 1,7% der gestorbenen Fußballspieler war eine neurodegenerative Erkrankung die Haupttodesursache, in der Kontrollgruppe betrug der Anteil nur 0,5%.
Innenverteidiger besonders gefährdet
Vor wenigen Wochen sind weitere Ergebnisse der FIELD-Studie in JAMA Neurology veröffentlicht worden. Sie zeigen, dass das Risiko einer neurodegenerativen Erkrankung bei ehemaligen Profi-Kickern je nach Position und Dauer der Karriere variiert, nicht jedoch nach der Spielzeit. Während Torhüter, die Bälle nur selten köpfen, ein Risiko haben, das sich statistisch nicht von dem einer Kontrollgruppe unterscheidet, haben Verteidiger – die am häufigsten köpfen – ein 5-fach erhöhtes Risiko für eine neurodegenerative Erkrankung. Dieses Risiko nimmt zu, je länger die Karriere eines Spielers dauert.
Eine Besonderheit dieser Auswertung: Während sich der ursprüngliche FIELD-Bericht auf Sterbeurkunden stützte, wurden für die aktuelle Publikation alle verfügbaren Gesundheitsakten auf Demenzdiagnosen untersucht. Zu den qualifizierenden Diagnosen gehörten jedoch keine leichten kognitiven Beeinträchtigungen (MCI: mild Cognitive impairment), so dass die Studie wahrscheinlich frühe neurodegenerative Veränderungen sowohl bei ehemaligen Fußballspielern als auch bei Teilnehmern der Kontrollgruppe unterschätzte. Und spezifische Lebensstilfaktoren, Komorbiditäten oder genetische Faktoren berücksichtigen, welche das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen maßgeblich beeinflussen, blieben unberücksichtigt.
Was bringen neue Veröffentlichungen für die Praxis?
Insgesamt betrachtet häufen sich die Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Profi-Fußball und Demenzen im späteren Leben. Ob man – ausgehend von diesen Befunden – jedoch das Kopfball-Spiel tatsächlich aus dem Profi-Fußball verbannen sollte, kann kontrovers diskutiert werden. Und ob dies auch für Amateur- und Freizeit-Fußball gelten sollte, steht eh auf einem anderen Blatt.
Unstrittig dürfte sein, dass die Wahrscheinlichkeit für entsprechende Änderungen zumindest im Profi-Fußball nicht sehr groß ist. Die Angst, das überaus lukrative Spiel könnte erheblich an Attraktivität und damit an Wert verlieren, wiegt wahrscheinlich schwerer als die Sorge um die Gesundheit der Kicker.
Als Alternative bleibt, die beim Köpfen auftretenden linearen Kräfte zu reduzieren, wobei es biomechanischen Untersuchungen zufolge vor allem auf die Geschwindigkeit des Balls ankommt. Knapp 90 km/h etwa soll die maximale Geschwindigkeit des Leders sein, das ein Spieler dem Kopf spielt. Verringert werden könnte die Ball-Geschwindigkeit etwa durch Änderungen von Masse, Steifigkeit und Druck des Balls. Allerdings hätte auch dies wahrscheinlich negativen Einfluss auf die Attraktivität des Spiels.
Dieser Artikel ist im Original erschienen auf Univadis.de .
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Medscape Nachrichten © 2021
Diesen Artikel so zitieren: Demenz durch Fußball: Mehr Kopfbälle sind mit höherem Risiko assoziiert – sollten die Spielregeln geändert werden? - Medscape - 14. Okt 2021.
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